Mit jungen Spielern überraschen? Das tschechische Fußballteam und seine Chancen bei der EM

Tschechische Fußballnationalmannschaft beim Training vor dem Spiel der Gruppe F gegen Portugal bei der Europameisterschaft

Das erste Spiel der tschechischen Fußballer bei der EM steht unmittelbar bevor. Und das unter einem neuen Nationaltrainer, der erst zu Anfang des Jahres die Geschäfte übernommen hat. Was ist drin für die Mannen um den Leverkusener Stürmer Patrik Schick bei der Europameisterschaft?

Bei ihrem ersten Training am Freitag in Norderstedt wurden die tschechischen Nationalspieler begeistert empfangen. 1200 Zuschauer waren auf den Tribünen, es war ausverkauft. Am Tag zuvor hatte das Team von Trainer Ivan Hašek sein EM-Quartier in Hamburg bezogen. Bis zu ihrem Ende des Turniers wollen die Tschechen in der Hansestadt bleiben. Doch wie lange wird das sein? In der Vorrunde heißen die Gegner in der Gruppe F der Reihenfolge nach Portugal um Superstar Cristiano Ronaldo, der Überraschungsqualifikant Georgien sowie die Türkei.

Wie weit könnte es also gehen bei dem Turnier?

Tschechische Fußballnationalmannschaft bereitet sich auf die EM vor | Foto: Václav Pancer,  ČTK

„Ich halte die Gruppe für relativ spielbar. Jeder kann da rausfliegen. Ich glaube aber an die Jungs, dass sie sich gut vorbereitet haben und eine erfolgreiche EM spielen“, sagte der frühere Nationalspieler Petr Jiráček in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks.

Jiráček war von 2012 bis 2015 beim Hamburger SV, in dessen Stadion die Tschechen zwei ihrer drei Gruppenspiele bestreiten.

Tomáš Hübschman trug 58 Mal das tschechische Fußballdress und kickt auch mit 42 Jahren noch in der hiesigen ersten Liga. Seine Meinung zur Elf seines Landes und ihren Ambitionen bei der Europameisterschaft in Deutschland:

„Ihr Ziel sollte sicher der Einzug ins Achtelfinale sein. Natürlich ist das keine leichte Gruppe. Für jeden sind die Portugiesen ein Begriff. Ich würde aber auch Acht geben auf die anderen beiden Gegner. Sowohl die Georgier als auch die Türken haben hervorragende Einzelspieler und sind technisch versiert. Ich wünsche mir aber, dass das Nationalteam während des Turniers zum Geheimfavorit wird und wir an 1996 und 2004 anknüpfen können. Oder dass wir die Euphorie aufgreifen, die die tschechischen Eishockeyspieler vor kurzem bei der Heim-WM entfacht haben. Sie waren auch nicht ganz die Favoriten und haben dennoch den Titel geholt. Ich hoffe, dass sich das im Fußball wiederholen lässt.“

Hübschman erwähnt die größten Erfolge des tschechischen Nationalteams: 1996 galten die Tschechen als krasse Außenseiter, dennoch schafften sie es ins Finale. Erst da unterlagen sie Deutschland nach Golden Goal in der Verlängerung. Und 2004 überstanden sie die vermeintliche Todesgruppe mit Deutschland und den Niederlanden. Der Weg führte sie ins Halbfinale gegen den späteren Europameister Griechenland.

Schwache Testgegner

In der Vorbereitung auf die EM hat Tschechien vier Testspiele absolviert – zwei davon im März und zwei im Juni. Es waren zugleich die ersten Begegnungen mit Ivan Hašek als Nationaltrainer. Alle Partien wurden gewonnen, aber es waren eher schwächere Gegner. Übungsleiter Hašek sagte dazu bei der Pressekonferenz vor einer Woche nach dem 2:1-Sieg gegen Nordmazedonien:

„Uns ist es nicht gelungen, für die Testspiele eine europäische Top-Mannschaft zu bekommen. Daher hatten wir eher Gegner, die in dieselbe Kategorie wie Georgien fallen. Auf der anderen Seite war zu sehen, dass auch sie ihre Qualität haben.“

Ivan Hašek | Foto: Václav Pancer,  ČTK

Laut Fußballexperte Mirko Vasić vom Tschechischen Rundfunk (Radiožurnal Sport) wissen er und die restlichen Sportjournalisten im Land unter anderem wegen der schwachen Testgegner nicht so recht, was von der Mannschaft um Kapitän Tomáš Souček zu erwarten ist. Außerdem sagt er:

„Ein weiterer Punkt ist, dass sich auch die Spielidee in den Tests nicht ganz erkennen ließ. Schon seit längerer Zeit hat die tschechische Nationalmannschaft Probleme mit der Offensive oder wenn der Gegner tief steht. Natürlich gibt es dort Spieler wie Patrik Schick, der zu absoluten Elite im Team gehört, aber er braucht Unterstützung für seine Angriffsbemühungen. Das Zusammenspiel ist nicht zu vergleichen mit – jetzt nehme ich ein extremes Beispiel – den Spaniern, die den Ball lieben und technische Finessen zeigen. Tschechien hat nur wenige konstruktive Spielertypen.“

Gleich die Auftaktbegegnung am Dienstagabend gegen Portugal in Leipzig ist die schwerste Prüfung für die Tschechen.

„Da sind die Erwartungen eher gering, auch wenn die Spieler mit Selbstvertrauen in die Partie gehen. Das Team dürfte defensiv agieren. Danach hängt es davon ab, welches Ergebnis gegen Georgien gelingt. Das wird vielleicht das Schlüsselspiel. In der abschließenden Begegnung gegen die Türkei könnte sich entscheiden, ob der erste oder zweite Platz in der Gruppe und damit eine sichere Qualifikation für das Achtelfinale möglich ist oder ob man über den dritten Platz noch hoffen kann. Aus den sechs Gruppen qualifizieren sich nämlich nicht alle Drittplatzierten für das Achtelfinale“, so Vasić.

Mirko Vasić | Foto: Tschechischer Rundfunk

Zugleich sagt Sportreporter, dass er dem tschechischen Team durchaus die Chancen einräume für einen weiteren Weg durch das Turnier nach der Vorrunde. Er verweist dabei auf den Faktor des Trainerwechsels zu Beginn des Jahres:

„Es ist das erste Turnier unter Ivan Hašek. Da gibt es eine gewisse Aufbrauchstimmung. Er war Kapitän der tschechoslowakischen Nationalmannschaft bei der WM 1990. Es wird sich erst noch zeigen, wie er seine Ideen auf das Team übertragen kann, obwohl die Vorbereitung nicht völlig überzeugend war.“

Teamgeist als Hoffnung

Gerade die letzten Europa- und Weltmeisterschaften haben indes vorgeführt, dass der Erfolg nicht immer nur über attraktiven Angriffsfußball führt. Eine stabile Verteidigung und schnelles Umschalten haben nicht selten den Ballbesitzfußball aus dem Konzept gebracht, vor allem wenn dieser ideenlos vorgetragen wurde. Die deutsche Elf kann davon ein Lied singen. Liegt da nicht vielleicht auch eine Chance für das tschechische Team, selbst wenn man sich nach einem kreativen Mittelfeldspieler vom Schlage eines Tomáš Rosický, Pavel Nedvěd oder Karel Poborský sehnt? Mirko Vasić:

„Eine solche Taktik lässt sich für einige Spiele sicher erwarten. Aber das Umschalten muss schnell gehen, und dann müssen die Fähigkeiten von Patrik Schick eingesetzt werden – oder auch von Jan Kuchta, der sich ebenfalls in solchen Situationen zu behaupten weiß und das von seinem Verein Sparta Prag kennt. Eine weitere Möglichkeit wäre Mojmír Chytil von Slavia Prag, der aber etwas andere Vorzüge hat. Entscheidend dafür wird auch sein, wie die Außenverteidiger agieren oder, wie man heute sagt: die Flügelverteidiger. Auf der einen Seite wird das wahrscheinlich Vladimír Coufal sein, der dies von seinem Heimatverein West Ham kennt. Auf der anderen Seite ist schwer zu sagen, ob David Douděra von Slavia Prag zum Einsatz kommt oder David Jurásek, der aber seit seinem Wechsel zu Hoffenheim nicht so häufig gespielt hat. Aber eine solche Spielidee könnte funktionieren.“

Tschechische Fußballnationalmannschaft bereitet sich auf die EM vor | Foto: Václav Pancer,  ČTK

Dafür muss aber auch die Abwehr stehen. Trainer Hašek setzt da auf junge Kräfte wie zum Beispiel Robin Hranáč von Viktoria Pilsen…

„Er hat hervorragend bei Pilsen gespielt. Neben ihm ist Ladislav Krejčí eine Wahl, der nun von Sparta Prag zu Girona in die spanische Liga gewechselt ist. Falls das Nationalteam mit drei Verteidigern spielt, ist da noch Tomáš Holeš, aber ebenso weitere“, sagt Vasić.

Der Journalist zitiert des Weiteren den ehemaligen Nationalspieler Karel Poborský und dessen Aussagen über die aktuelle Elf des Landes:

„Poborský war ja technisch versiert und ein offensiver Lenker. Aber selbst er sagt, er sehe derzeit in dem Team keine solchen Spielertypen und man müsse – so drückte er es fast wörtlich aus – einzig auf den Teamgeist setzen. Und dann könne auch ein gutes Ergebnis herauspurzeln, um ihn zu zitieren.“

Apropos Poborský: Er wurde bei der EM 1996 zum Star. Auch damals trat Tschechien mit einem jungen Team an. Im aktuellen Turnier hat Hašek den jüngsten Kader der EM-Teilnehmer zur Verfügung mit einem Altersdurchschnitt von 25,8 Jahren. Geschickt reduziert er dabei den Druck auf seine Spieler, indem er ein größeres Ziel ausgibt. Sein Assistent Jiří Veselý formulierte dies in einem Gespräch für die Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks:

„Ivan hat von Beginn an seine Vision ausgegeben. Er will, dass das Team bei der WM 2026 auf dem Höhepunkt seiner Leistung ist. Das heißt aber natürlich nicht, dass wir die EM als Vorbereitungs-Camp betrachten, sondern wir wollen auch hier Erfolg haben. In der Zusammensetzung des Kaders spiegelt sich jedoch die Vision.“

Dabei betont Sportreporter Vasić, dass nach den vielen Jahren ein Erfolg der Nationalmannschaft für den tschechischen Fußball sehr wichtig sein könnte:

„Denn auf Vereinsebene gab es zuletzt einen Trend nach oben. Ich erinnere an die Erfolge von Slavia Prag und Sparta Prag sowie von Viktoria Pilsen in den europäischen Pokalwettbewerben in der abgelaufenen Saison. Die Basis ist also gut. Die Fans kommen auch in die Stadien, vor allem in die der großen Vereine, und sie sind begeistert von dem, was sie in der Liga an spielerischem Niveau erleben. Und das müsste nun auch in die Nationalmannschaft übertragen werden. Denn sie ist für einige Fans ein bisschen eine Nebensache im Vergleich zu ihrer Vereinsanhängerschaft.“

Und da liegt auch der größte Unterschied zum Eishockey. Zwar gehen mehr Menschen in Tschechien regelmäßig kicken, als dass sie auf dem Eis dem Puck hinterherjagen würden. Doch die Fan-Basis für die Fußball-Nationalmannschaft ist kleiner als die für die Kollegen vom Eishockey. Deswegen denkt Mirko Vasić:

„Falls die Ergebnisse kommen, die Mannschaft attraktiv spielt und die Spieler abliefern, dann wird die Begeisterung der Leute auch wieder kommen.“

Autor: Till Janzer | Quellen: ČTK , Český rozhlas
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