Bootsbau, Marionettenherstellung und vieles mehr beim gegenseitigen Kennenlernen
Und nun geht es in unserem Programm weiter. Wir laden Sie zu einem Schulbesuch ein! Keine Angst, es geht nicht um die Ergebnisse des jüngsten PISA-Berichts, der dieser Tage weit und breit diskutiert wird. In der nun folgenden Sendereihe "Begegnungen" besuchen wir die Mittelschule für Kunstgewerbe in Prag, wo kürzlich tschechische und deutsche Schüler an einem Projekt zusammenarbeiteten. Ihre Begleiterin ist Jitka Mladkova.
Im Angebot der Mittelschule für Kunstgewerbe in Prag gibt es eine ganze Menge von Fächern, wie z.B. Möbelgestaltung und -konstruktion, Werbegraphik, Bühnentechnik, Holzschnitzerei, Spielzeuggestaltung und andere mehr. Fast alle kann man nach dem Abschluss an verschiedenen Hochschulen studieren. So breit gefächert war das im Jahr 2001 gestartete und für drei Jahre anberaumte Projekt "Grenzen checken" wiederum nicht. Es entstand auf Initiative der deutschen Seite, die auch einen entsprechenden Antrag beim Programm Xenos der Europäischen Kommission gestellt hatte. Das Ziel des Projektes war es, Auszubildende aus Deutschland und Tschechien für zweiwöchige Praktika in einer Schule oder Berufsschule ins jeweilige andere Land zu bringen. Aus Berlin waren es Schüler und Schülerinnen u.a. aus einer Ausbildungsstätte, die junge Frauen zu Bootsbauerinnen ausbildet.
Als es gelungen war, das Projekt durch Sponsoren bzw. Privatinitiativen abzusichern, hat man von Deutschland aus nach einem Partner bzw. nach Partnerschulen Ausschau gehalten. Darüber habe ich mich mit der Projektleiterin Tatjana Freygang unterhalten:
Wenn das Projekt gebilligt ist, dann muss man einen entsprechenden Partner finden. Wie war es bei der Suche, wie sind Sie auf diese Kunstgewerbeschule in Prag gestoßen?
"Es war eine sehr spannende Sache. Ich selbst habe das Projekt nicht beantragt, sondern bin als Projektleiterin eingesetzt worden, als das Projekt von der EU bewilligt wurde. Es galt dann, neue Partner bzw. Länder zu finden, mit denen wir kooperieren. Wir hatten zunächst gedacht, mit Italien und Tschechien zusammenzuarbeiten und hatten uns auch an viele Einrichtungen gewandt, die Jugendliche ausbilden. Mit Italien hatten wir kein Glück. Die Praktika selbst wurden nicht von der EU finanziert. Die mussten wir selbst über Drittmittel und Fördermittel finanzieren. Dann habe ich mich für Tschechien entscheiden und bin hier in Prag auf die Suche gegangen. Ich habe verschiedene Berufsschulen besucht und hatte das große Glück, in dieser kunstgewerblichen Mittelschule, in der wir uns jetzt befinden, eine sehr engagierte Lehrerin zu finden, Frau Kottova. Dank ihres Einsatzes und ihres Mutes und auch dank der Unterstützung des Schulleiters Herrn Kovarik war es möglich eine Kooperation zu beginnen. Die hat auch gleich im Oktober 2002 angefangen und wir sind mit unseren Berliner Schülern hierher gekommen."
Sie haben gesagt: Ich habe mich für Tschechien entschieden. Darf ich fragen, warum gerade für Tschechien?
"Für mich lag es auf der Hand, dass es schon viel Austausch zwischen westeuropäischen Länder gibt - zwischen Frankreich und Deutschland oder Spanien und Italien, und dass die Tendenz immer in diese Richtung ging. Und da ich auch wusste, dass Tschechien in kurzer Zeit der EU beitreten wird, war mir klar, dass da eine neue Möglichkeit ist. Im Austausch ist also noch nicht viel passiert. Ich wollte dazu beitragen, dass die jungen Leute aus beiden Ländern sich besser kennen lernen, indem sie zusammen arbeiten und Freizeit miteinander verbringen."
Nun war das also ein Novum - Tschechien als Partnerland für den Austausch. Wie war die Reaktion der kompetenten Personen und der potentiellen Austauschteilnehmer, d.h. der Schüler selbst?
"Die Kooperation kam sehr schnell und sehr unkompliziert auch mit anderen Schulen zustande. Das war mit großer Aufgeschlossenheit verbunden, aber auch mit großer Furcht, was da auf sie zukommt, weil einige Schulen noch nie mit ausländischen Schulen zu tun gehabt haben. Sie haben sich also auf ein Abenteuer eingelassen. Für die Teilnehmer, die sich aus Haupt- und Realschülern im ersten Jahr zusammensetzen, war das ebenso ein Abenteuer. Sie konnten kaum Englisch, von Tschechisch ganz zu schweigen. Es gab also Sprachbarrieren. Dann wussten sie auch nicht, was sie erwartet. Prag war für sie nur ein wunderschöner Ort. Ihre Kenntnisse waren sehr touristisch. Es waren also ziemlich offene Erwartungen. Wir versuchten auch ein Begleitprogramm zu gestalten, um ihnen auch den Blick hinter die Kulissen zu ermöglichen. Die Schüler sollten auch das wahre Prag mit Unterstützung der hiesigen Partner kennen lernen."
Das Projekt hatte von Anfang an verschiedene Inhalte. Nach den erfolgten Auswertungen der ersten Jahrgänge habe man festgestellt, so Frau Freygang, dass sich die angehenden Tischler in dem Praktikum nicht ausreichend gefordert fühlten. Das Projekt wurde daher erweitert. Im Mai dieses Jahres baute man gemeinsam zwei Ruderboote in Berlin unter Anleitung eines Bootsbaumeisters. Mit von der Partie waren insgesamt 26 Jugendliche und 18 erwachsene Ausbilder und Pädagogen. Dieses Konzept wurde dann auch auf Prag übertragen, Boote wurden aber diesmal nicht gebaut. Mehr von Tatjana Freygang:
"Jetzt ist es so, dass wir in Prag keine Boote bauen können. Wir haben versucht ein Projekt zu finden. Wir wollten gerne die Bootsflotte vergrößern, aber es ist uns nicht gelungen, weil hierzulande kein Ausbildungsprojekt dazu gibt. Wir haben uns erneut mit der kunstgewerblichen Schule zusammengetan und uns entschlossen, Marionetten zu bauen. Das gehört zur tschechischen Tradition, es gibt viele Kenntnisse und Know-how in diesem Bereich. Da können die Auszubildenden sehr viel lernen. Dieses Projekt wurde langfristig vorbereitet, und zwar mit deutsch-tschechischen Teams in zwei Wochen auch durchgeführt. Es wurden zwei Marionetten hergestellt, die auch symbolisch sozusagen die deutsch-tschechische Zusammenarbeit verkörpern sollen, nämlich Marlene Dietrich und Jan Hus."
Warum hat man gerade diese Wahl getroffen? Warum ausgerechnet diese zwei Persönlichkeiten?
"Wir hatten eine sehr große Auswahl an Persönlichkeiten und haben lange darüber nachgedacht, denn es sollten Persönlichkeiten sein, die für etwas Positives, für demokratisches Verhalten, stehen, denn unser Projekt ist ein Antirassismusprojekt. Wir wollen versuchen, Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit mit unseren Austauschmaßnahmen abzubauen. Wir haben in die Geschichte geschaut und nach jemandem gesucht, der für uns vorbildlich sein kann. Da sind wir auf tschechischer Seite auf einige Namen gestoßen und haben uns dann für Jan Hus entschieden, weil er eine interessante Geschichte hat. Damit haben wir uns auch mit den Jugendlichen beschäftigt. Auch Marlene Dietrich war uns symbolhaft. Eine positive Person, die sich z.B. sehr engagiert gegen den Faschismus eingesetzt hat."
Wie gesagt, vor drei Jahren ist Tatjana Freygang mit ihren Ideen in mehreren Ausbildungsstätten in Prag auf offene Türen gestoßen, darunter auch in der Mittleren Fachschule für Kunst und Gewerbe. Die Lehrerin Marie Kottova erinnert sich:
"Frau Freygang war auf der Suche nach einer Schule, und als sie zu uns kam, war sie begeistert von all den Fachabteilungen, die wir hier haben."
Frau Freygang hat gesagt, dass man auf der deutschen Seite mit dem Projekt immer wieder ein Abendteuer erlebt. War das für Sie hier auch etwas wie Abenteuer?
"Ja, es war etwas abenteuerlich, aber auch eine Chance etwas Neues kennen zu lernen."
Wie war das Interesse Ihrer Schüler an dem Projekt teilzunehmen?
"Das Interesse war sehr groß. Unsere Schüler haben große Lust etwas Neues zu erleben."
Wie war es mit der Sprachbarriere?
"Unsere Schüler lernen in der Schule nur wenig Deutsch und auch relativ wenig Englisch. Die Sprachbarriere ist tatsächlich groß, aber trotzdem haben wir es mit dem Projekt versucht. Während des Projektes habe ich gesehen, dass diese Sprachbarriere letzten Endes kein Problem war. Junge Leute sind schon erfinderisch bei der Verständigung und wissen sich auf verschiedene Art und Weise auszudrücken."
Es ist sicher nicht leicht, in einer fremden Schule in einem fremden Land ein Praktikum zu machen. Die Berliner Erik Eckstein und Patrick Huth haben es gut geschafft:
"Für uns war es ein Abenteuer in dem Sinne, dass wir nicht wussten, war uns erwartet. Man macht sich schon Gedanken darüber, wie die Arbeit laufen wird, welche Probleme kommen, wie man mit der Gruppe klar kommt, wie wird es mit der Verständigung sein usw. Für einige für uns war es das erste Mal, dass sie nach Tschechien gekommen sind."
So war es am Anfang. Wie ist es jetzt, nach zwei Wochen Aufenthalt in Prag?
"Für mich war es eigentlich fast normal, denn ich bin nicht das erste Mal hier, sondern das vierte Mal. Mich hat die Fahrt begeistert, die Landschaft und die Berge."
Das ist eher eine touristische Einschätzung. Wie sah es hier direkt vor Ort aus? Wie war die Zusammenarbeit mit den tschechischen Kollegen?
"Am Anfang war es ein bisschen schwierig. Die Verständigung, meine ich. Hier verstehen sie nicht viel Deutsch, daher war es ein bisschen problematisch, aber nach einer Weile ging es."
Daniel Gonzales, der das Fach Möbelbau lernt, gehörte zu jenen Tschechen, die im Vorjahr mit ihren Kollegen in Berlin zwei Ruderboote bauten. Ihn fragte ich stellvertretend, wie ihm dieses Praktikum gefiel?
"Die Arbeit hat mir Spaß gemacht. Ich konnte viel Neues dazu lernen. Außerdem haben wir uns gemeinsam auch gut amüsiert, z.B. auf Partys."
In einer Schule hat bekanntlich der Schulleiter das Sagen. Und so fragte ich abschließend Pavel Kovarik, Leiter der Kunstgewerbeschule in Prag, nach dem seinem Interesse das zu Ende gehende Projekt eventuell fortzuführen. Hier ist seine Antwort:
"Gerne würden wir die Zusammenarbeit fortsetzen. Momentan sind wir schon in die Vorbereitung eines neuen Projektes mit dem Titel "Pinocchios Abenteuer in Europa" involviert, an dem Schulen aus Frankreich, Italien, Litauen und eben unsere Schule teilnehmen werden. Dabei geht es wieder um Marionetten. Außerdem arbeiten wir mit Schulen aus Schweden und anderen deutschen Städten zusammen, und wenn Frau Freygang mit einem neuen interessanten Projekt für das kommende Jahr kommt, dann machen wir wieder gerne mit."