„In Tschechien gibt es keine naturnahe Forstwirtschaft“
Neben der Politik wurde in Tschechien zuletzt ein Thema besonders hoch gekocht: die Bekämpfung des Borkenkäfers im Böhmerwald. Hier stehen sich seit einigen Jahren zwei Parteien fast unversöhnlich gegenüber: die Regionalpolitiker und Beschäftigten der Holz verarbeitenden Industrie auf der einen sowie die Wissenschaftler und Naturschützer auf der anderen Seite. Seit der Ernennung des neuen Nationalpark-Leiters Jan Stráský spitzte sich der Konflikt in den vergangenen Wochen noch weiter zu. Am Gründonnerstag hat Umweltminister Chalupa dann entschieden, die rasanten Pläne von Stráský etwas zu stutzen. Doch an dem Vorhaben, vom Borkenkäfer befallene Bäume auch in den strengsten Schutzzonen zu fällen, hat sich nicht viel geändert. Über das Thema sprach Radio Prag mit Professor Josef Fanta.
„Ja, im Grunde genommen befinden wir uns in einer solchen Situation. Anfang der 1950er Jahre hatten wir hierzulande eine sehr gute Schule für ökologische Forstwirtschaft, die auf demselben Niveau war wie die naturnahe Waldwirtschaft in Deutschland. Diese Schule wurde von den Kommunisten abgeschafft. Seit der Zeit gibt es bei uns keine gute Ausbildung und Erziehung im Bereich der ökologischen Forstwirtschaft. Das widerspiegelt sich auch in der ganzen Diskussion.“
Haben Sie selbst die Forstwirtschaft studiert?„Ja, das war in den 1950er Jahren, in denen ich unter anderem mit den Professoren Svoboda, Zlatník, Mezera studiert habe. Mit den Kenntnissen von damals habe ich mein ganzes Leben lang gearbeitet. In den letzten 33 Jahren lebte ich in den Niederlanden – einem Land, das sich von Deutschland oder den Ländern Mitteleuropas schon unterscheidet. Ich habe meinen niederländischen Kollegen gelehrt, was eine naturnahe Waldwirtschaft ist. Sie haben es letzten Endes übernommen. Vor zwei Monaten hatten wir eine Tagung im Böhmerwald. Zu Gast waren auch zwei niederländische Kollegen, die vor den tschechischen Förstern Vorträge hielten über die naturnahe Waldwirtschaft.“
Das klingt fast absurd oder?„Das ist tatsächlich eine absurde Situation. Doch bedenken Sie: Die Niederlande oder Deutschland haben eine kontinuierliche Entwicklung durchgemacht, hierzulande war das nicht der Fall. Hier herrschte zunächst der Kommunismus, und nach der Wende von 1989 stand wiederum die Wirtschaftsreform im Vordergrund. Es gab keinerlei Kontinuität und das Resultat ist die heutige Situation.
Sie haben die Situation im und um den Nationalpark Böhmerwald bestimmt schon eine Zeit lang beobachtet. Was sagen Sie zur Haltung des Nationalpark-Leiters, der von der Notwendigkeit überzeugt ist, dass Bäume auch in den strengsten Schutzzonen gefällt werden müssen?
„Das ist doch Unsinn. Im 21. Jahrhundert in einem Nationalpark gegen die Natur zu kämpfen, ist blanker Unsinn. Ich habe kein anderes Wort dafür. Aber eigentlich hängt das mit der kulturellen Entwicklung zusammen. In den 1960er und 70er Jahren hat man in Westeuropa gesehen, dass man mit denselben Methoden und Mitteln im Wirtschaftsbereich nicht weiterkommt, dass man ein politisches Paradigma haben müsse, wie man mit der Umwelt, mit der Natur, mit der Landschaft umgehen sollte. Dies wurde dann auch in den 1970er und 80er Jahren in Deutschland, in den Niederlanden, in Frankreich und in anderen Ländern zur Kenntnis genommen und respektiert. Hierzulande passierte so etwas nicht. Das bedeutet, dass wir in der kulturellen Entwicklung in Tschechien zirka 40 Jahre hinterherhinken. Da müssen wir aufholen.“Sehen Sie in der Diskussion über den Borkenkäfer, die sich in den letzten Wochen zugespitzt hat, eine Möglichkeit, die Situation von außen zu beeinflussen?„Meiner Meinung nach ist vor allem der Standpunkt des Umweltministers ausschlaggebend. In meinen Augen aber ist es für Tschechien bereits eine internationale Blamage, weil man in Europa schon darüber spricht, was hier passiert. Und wir leben nicht mehr in der kommunistischen Zeit, wo die Grenzen dicht waren. Jetzt verbreiten sich Informationen sehr schnell auch dank des Internets. Ich glaube, dass Minister Chalupa darüber sehr gut nachdenken muss, wie er sich entscheiden wird.“ (Umweltminister Chalupa nahm einige Tage nach diesem Gespräch zur Borkenkäfer-Thematik Stellung, Anm. d. Red.).
Wenn man Karel Klostermann liest, erfährt man, dass es Borkenkäferplagen schon im 19. Jahrhundert gab. Hat es ähnliche Katastrophen schon oft gegeben?„Natürlich. Ich bin 80 Jahre alt und habe ähnliche Probleme schon viermal erlebt. In den 1930er Jahren war es die Nonne – Lymantria monacha – die die Wälder befallen hatte. Nach 1947 war es wiederum der Borkenkäfer. Später wirkten sich die Emissionen auf die Wälder im Norden des Landes aus. Und dies ist jetzt die vierte Plage. Es ist eine ganz natürliche Sache unter den Umständen, die man in der Forstwirtschaft zustande gebracht hat. Es geht um die Fichtenmonokulturen - der Borkenkäfer ist überall dort, wo es Fichten gibt. Wenn so günstige Bedingungen für die Vermehrung des Käfers geschaffen wurden, dann ist die Verschlimmerung der Plage kein Wunder.“
Wäre das Problem nicht so groß, wenn die Fichten nicht gleichen Alters wären?„Natürlich nicht. Die natürlichen Fichtenwälder bestehen meistens aus Bäumen verschiedenen Alters – es gibt junge Bäume, Bäume mittleren Alters sowie alte Bäume. Das bedeutet, dass der Wind sowie der Borkenkäfer den Wald nicht so leicht schädigen können.“
Stimmt es, dass auf den höchsten Berggipfeln nie mehr etwas wachsen wird, wenn sämtliche Bäume nun gefällt werden?
„Nein, dem ist nicht so. Wir haben gute Ergebnisse verschiedener Forschungen, die sehr gut zeigen, dass auf jedem Hektar unter dem toten Wald Tausende junge Sämlinge wachsen. Es wachsen da nicht nur Fichten, sondern auch Aspen, Birken und manchmal auch Buchen. Der Wald hat die Kraft, zurückzukommen. Im Bayerischen Nationalpark können wir das gut sehen; dasselbe sehen wir auch im Harz. Zu sehen ist es auch in den Alpen und heutzutage auch schon im Riesengebirge, wo wir 1990 8.000 Hektar Wald zustande gebracht haben.“Sie haben als international anerkannter Experte zuvor dem Chef des Nationalparks Böhmerwald einen Brief geschrieben. Worum ging es in dem Brief und haben Sie inzwischen eine Antwort bekommen?
„Nein, habe ich nicht. Worum geht es: Von meinen niederländischen Kollegen habe ich eine Nachricht erhalten, in den Niederlanden gebe es zurzeit drei Millionen Euro, um die Entwicklung einiger großer Naturgebiete - der Wildnis, wie man es heute modern nennt - zu unterstützen. Und eben der Nationalpark Šumava könnte einen Teil dieser finanziellen Mittel bekommen. Darüber habe ich in den Briefen an den Umweltminister und den Chef des Nationalparks geschrieben; bisher habe ich keine Antwort bekommen. Das ist wahrscheinlich ein Zeichen.“
Bei der Bekämpfung des Borkenkäfers wird manchmal argumentiert, dass weniger Touristen kommen würden, wenn der Wald so hässlich sei.„Ich besuche regelmäßig den Nationalpark Bayerischer Wald und weiß auch aus den Gesprächen mit den Besuchern, dass sie gerade aus dem Grund kommen, um zu gucken, wie es wieder bergauf geht. Natürlich war es zuerst ein Schock, weil die Leute gewöhnt sind, einen grünen Wald zu sehen. Aber 120 Jahre alte Bäume bleiben nicht immer 120 Jahre alt, einmal gehen sie zugrunde – durch den Wind, den Borkenkäfer oder wenn sie allzu alt sind, sterben sie ab. Man muss damit rechnen, dass ein Wald dem Wandel unterzogen ist, er ändert sich ständig, einmal ist es ein alter Wald, ein anderes Mal stehen kleine Bäume da. Das muss man mitnehmen. Ich weiß, auch in diesem Land sind schon Leute, die sich durch die toten Bäume nicht schockieren lassen. Sie wollen sehen, was darunter wächst, ob ein neuer Wald entsteht. Und er entsteht. Es wird eine größere Zahl von Baumarten geben und mehr Vielfalt – das ist das, wonach wir im Nationalpark streben.“
Professor Josef Fanta ist ein international anerkannter Experte im Bereich der Forstwirtschaft. In den 1960er Jahren arbeitete er als Wissenschaftler im Nationalpark Riesengebirge. Nach der Okkupation der Tschechoslowakei durch die Warschauer-Pakt-Mächte aber wurde er zu Beginn der 70er Jahre von seinem Stuhl gefegt. Professor Fanta lebte danach im Exil. Seit 1978 lehrte und forschte er an der Universität in Amsterdam. Es war sein Verdienst, dass sich die niederländische FACE-Stiftung in den 1990er Jahren an der Erneuerung des Waldbestands im Riesengebirge nachhaltig beteiligt hat. Professor Fanta war eine Zeit lang Mitglied des Wissenschaftsrats im Nationalpark Böhmerwald.