Auf den Wellen der Musik ins neue Jahr spaziert

Für den Neujahrstag haben wir ein spezielles Programm vorbereitet. Sein Leitmotto verrät schon viel: „Auf den Wellen der Musik ins neue Jahr spaziert“. Die Musik, die Sie bei uns hören werden, stammt von Komponisten, die allgemein als Deutsche oder Österreicher gelten, aber noch etwas Weiteres gemeinsam haben, das seltener erwähnt wird - sie oder ihre Vorfahren haben böhmische beziehungsweise mährische Wurzeln. Oder aber sie haben zu Zeiten der Donaumonarchie hierzulande Wurzeln geschlagen.

Schloss Jánský Vrch  (Foto: Miroslav Kobza)
Unsere musikalische Zeitreise starten wir auf Schloss Jánský Vrch / Johannesberg, die schon von weitem sichtbare Dominante oberhalb der nordmährischen Stadt Javorník / Jauernig. Das Schloss steht am Ort einer mittelalterlichen Burg, die im Lauf der Jahrhunderte mehrmals bis zu seiner heutigen Gestalt umgebaut wurde. Aus diesem entlegenen Ort wollte der Schlossbesitzer, Fürstbischof von Breslau, Philipp Gotthard von Schaffgotsch, ein europäisches Musikzentrum machen. 1770 traf er im schlesischen Opava / Troppau auf den damals 31-jährigen Österreicher August Carl Ditters und bot ihm die Stelle des Kapellmeisters an seinem Sommersitz auf dem Johannesberg an. Der junge Musiker und Komponist, der schon mit rund 20 Jahren viele Länder als Violinvirtuose bereiste, passte dem Schlossherrn gut ins Konzept. Ditters kam mit einer Reihe begabter Musiker, die er aus Wien und aus seinem bisherigen Engagement im rumänischen Oradea kannte.

Ditters baute in Jauernig ein Haus, das dort bis heute steht. Er heiratete die junge Ungarin Nicolina Trink, mit der er dort ununterbrochen 29 Jahre lebte. Belegt ist seine Zusammenarbeit mit seinem tschechischen Kollegen - dem Komponisten Jan Krtitel Vanhal. Beide sollen einer Legende zufolge in einem Quartett aufgetreten sein mit der Besetzung: Haydn (Geige), Ditters und Mozart (Viola) sowie Jan Křtitel Vaňhal (Violoncello).

1773 wurde Ditters geadelt und nannte sich fortan Ditters von Dittersdorf. Bis heute erinnert an ihn das von ihm gegründete Dorf Detrichov, das frühere Dittersdorf. Sein Lebensende verbrachte der Kapellmeister mittellos und schwer krank. Die letzten drei Jahre vor seinem Tod im Jahr 1799 lebte Ditters als Gast bei Baron Ignaz von Stillfried, Besitzer der südböhmischen Herrschaft Červena Lhota / Rotlhota, auf dem Neuhof bei Deschna. Dort komponierte er weiter und diktierte seinem Sohn seine Erinnerungen, die er zwei Tage vor seinem Tod beendete. Seine letzte Ruhestätte fand er auf den Friedhof von Deschna. Carl Ditters von Dittersdorf komponierte 44 Opern, 112 Symphonien, 35 Konzertkompositionen für verschiedene Instrumente, 4 Oratorien, 7 Messen, 12 Quintette, 6 Quartette und eine ganze Reihe von weiteren Kompositionen.

Nun, wir verlassen Carl Ditters von Dittersdorf. Unser nächstes Ziel liegt aber nicht weit von Javorník.

In Vysoká, einem Dorf an der Grenzlinie Böhmens, Mährens und des Glatzer Landes, sind die Spuren der Familie des Musikromantikers Franz Schubert zu finden. An seine Vorfahren erinnert die Statue „Christus auf dem Olivenberg“, die 1780 Schuberts Großvater Karl auf dem Bergkamm oberhalb des Dorfes aufstellen ließ. Der Vater des Komponisten, Franz Theodor Schubert, kam 1763 in Neudorf zur Welt. Mit 14 Jahren machte er am Jesuitengymnasium in Brno / Brünn seinen Abschluss. Sein Bruder Karl besuchte dasselbe Gymnasium ein paar Jahre früher und ging nach Wien, wo er Lehrer wurde. Franz Theodor kam nach, wo er später als Lehrer die im nordmährischen Zlaté Hory geborene Elisabeth Fietz heiratete.

Der Komponist Franz Schubert erblickte am 31. Januar 1797 das Licht der Welt als dreizehntes von 16 Kindern seiner Eltern in Lichtenthal bei Wien. Schubert war ein musikalisch hoch begabtes Kind. Sein tschechischer Lehrer Karel Ružička vermittelte dem künftigen Komponisten Musikunterricht beim bekannten Wiener Hofkapellmeister Antonio Salieri. Genealogen suchten nach Vorfahren, von denen Schubert sein Musiktalent geerbt haben könnte. Sein Vater hatte nämlich wenig Verständnis für die Vorliebe des Sohnes. Auch die Mutter war nicht musikalisch. Mütterlicherseits entdeckte man aber den Großonkel Johann Georg Fietz, er war 40 Jahre lang als Organist in Zlaté Hory tätig. Von ihm mag der Komponist von 9 Symphonien, 17 Quartetten, unzähligen Kompositionen für Klavier, Sonaten, 7 Messen und rund 600 Liedern sein musikalisches Talent geerbt haben.

Franz Schubert ist 31 Jahre jung gestorben und hat aller Wahrscheinlichkeit nach nie Vysoká, also den Geburtsort seines Vaters, Großvaters und Urgroßvaters persönlich besucht. Trotzdem erinnert an ihn eine Gedenktafel in der dortigen Dreifaltigkeitskapelle. Außerdem will man in Vysoká ein Franz-Schubert-Museum errichten.

Etwas südöstlich von Vysoká liegt am Fuß des Altvatergebirges Šumperk / Märisch-Schönberg, die Geburtsstadt von Leo Slezak. Die deutsche Familie mit dem tschechischen Namen Slezak kam in die überwiegend deutschsprachige Stadt Mährisch-Schönberg irgendwann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das einst verschlafene Nest erlebte gerade eine stürmische Entwicklung zum bedeutenden Industriezentrum der Monarchie. Vor allem wegen der schnell wachsenden Textilfabriken wurde die Stadt auch „Mährisches“ oder „Österreichisches Manchester“ genannt. Die Slezaks kauften in Sumperk eine Mühle, doch die Geschäfte liefen nicht gut. Am 18. August 1873 wurde der Sohn Leo Slezak in die Müllersfamilie geboren. Materielle Not, schlechte Leistungen in der Schule und mangelnde Disziplin waren die Gründe, warum der junge Slezak die Realschule vorzeitig abbricht. Er verlässt Schönberg und schlägt sich allein durch. Schließlich lernt er drei Jahre lang Maschinenschlosser im südmährischen Brno / Brünn.

Leo Slezák
Slezak ist aber auch begeisterter Theaterfan und wird über einen Chorsänger des Stadttheaters Statist. Dort hört ihn per Zufall der Bariton Adolf Robinson und erkennt das Potential von Slezaks Stimme. Robinson nimmt Slezak als Schüler auf und bildet ihn aus.

1896 debütiert Leo Slezak in Brünn als Lohengrin. Die Titelrolle der Oper von Richard Wagners bringt ihm hohe Anerkennung ein. Zwei Jahre später geht er an die Königliche Hofoper nach Berlin. Weil man dort nur Nebenrollen für ihn hat, verlässt er Berlin schon ein Jahr später in Richtung Breslau. Dort lernt er seine künftige Frau, die Schauspelering Ellisabeth Wertheim kennen. 1901 kommt Slezaks Tochter Margaretta zur Welt, die später als Sopranistin berühmt wird. 1902 wird der Sohn Walter geboren, der künftige Hollywood-Schauspieler. Damals begann auch Leo Slezaks großartige Weltkarriere. Er wurde auf den berühmtesten Opernbühnen einschließlich der New Yorker Metropolitan Opera begeistert gefeiert.

Šumperk-Theater
Als Leo Slezak seine mährische Geburtsstadt wieder besucht, ist er bereits ein Opernstar. Dreimal findet er den Weg zurück in seine Heimat: 1903, 1920 und zum letzten Mal 1928. Am 1. Juni 1946 stirbt Slezak, doch sein Name war danach in seiner Heimat so gut wie nie mehr zu hören. Nach dem Krieg galt seine sudetendeutsche Abstammung als Makel. Erst in den letzten 20 Jahren wird in Šumperk wieder an den berühmten Sohn der Stadt erinnert. Im dortigen Theater hat der weltberühmte Opernsänger und Filmschauspieler mittlerweile eine Gedenktafel.

Im selben Jahr wie Leo Slezak erblickte ein Komponist und Sänger das Licht der Welt, den man später als einen der bedeutendsten Vertreter der so genannten „Silbernen Operetten-Ära“ bezeichnet: Leo Fall, geboren am 2.Februar 1873 im mährichen Olomouc / Olmütz. Er war Sohn des Militärkapellmeisters Moritz Fall, der auch gerne komponierte. Sohn Leo trat schon bald in die Fußstapfen seines Vaters. In Olmütz besuchte er das Gymnasium, aber schon mit 14 Jahren wechselte er ans Musik-Konservatorium nach Wien. Nach dem Studienabschluss wird Leo Fall Mitglied eines Militärorchesters, geleitet von Franz Lehár Senior.

Vater Moritz Fall gründete dann eine Kapelle in Berlin, worauf ihm der der Sohnemann in die deutsche Metropole folgte. Eine Weile bleiben sie zusammen, 1894 wird Leo Fall Dirigent, zwei Jahre später Chefdirigent im Hamburger Theater. Er versucht sein Glück zunächst als Opernkomponist, jedoch ohne Erfolg. Er wendet sich darauf der Operette zu - mit Riesenerfolg. Mit seiner Operette „Der fidele Bauer“ aus dem Jahr 1907 stößt er eine Tür auf: Von nun an gehörte Leo Fall zu den prominentesten und weltweit erfolgreichsten Operettenkomponisten seiner Zeit.

Friedhof Theresienstadt
Der jüdischen Familie Fall war indes das typische Schicksal des 20. Jahrhunderts beschieden. Leos ebenfalls in Olmütz geborener Bruder Siegfried wurde als Musikarrangeur, Korrepetitor und Pianist bekannt. Einer Version über seinen Tod nach soll er 1943 in Theresienstadt gestorben sein. Eine andere besagt, dass Siegfried Fall gemeinsam mit seinem Bruder Richard in Frankreich verhaftet wurde und später in Auschwitz starb.

Der jüngste der drei Söhne, Richard Fall, kam 1882 in Jevíčko zur Welt und wurde wegen seiner nicht-arischen Abstammung von den Nazis ermordet. Auch er hatte das Talent für Musik geerbt und ging als Komponist in die Geschichte ein. Er fing mit Märschen an, es folgten einige Operetten und schließlich Filmmusik. Nach dem Kriegsbeginn flüchtete Richard Fall nach Frankreich, von wo aus er weiter in die USA wollte, da er schon einige Zeit in Hollywood tätig war. Im November 1943 wurde er in Frankreich aber von den Nazis aufgespürt und nach Auschwitz deportiert. Dort sind seine letzten Spuren zu finden.