Schloss Linhartovy – einst gottvergessen, vor vier Jahren wieder auferstanden
Tschechien ist ein Land voller Burgen und Schlösser. Einige von ihnen spielten eine bedeutende Rolle in der Geschichte des Landes oder zumindest in der Geschichte der jeweiligen Region. Bei Besichtigungen kann man viel Interessantes darüber erfahren. Und nicht nur das. Einige Burgen und Schlösser sind in neuzeitliche Kulturstätten umgewandelt worden. Eine von ihnen, konkret das Schloss im schlesischen Linhartovy, können Sie im Kultursalon besuchen.
Den Besuch in Linhartovy kann man nicht anders als mit einem wenigstens kurzen Exkurs in die Geschichte beginnen. Das Schloss, das von der unweit gelegenen Stadt Albrechtice verwaltet wird, liegt nur ein paar Dutzend Meter von der Grenze zu Polen entfernt. Diese wurde hier nach dem Erbfolgekrieg gezogen, den Maria Theresia um Schlesien gegen Preußen geführt und verloren hatte. Die heutige Gestalt des Schlosses ist das Resultat einer Jahrhunderte alten baulichen Entwicklung - von einer Wasserfestung vom Anfang des 15. Jahrhunderts zum adeligen Renaissanceherrensitz im 16. und zum Barockschloss im 17. Jahrhundert. Im 18. Jahrhundert, als sich Linhartovy im Besitz von Josef Graf Sedlnitzky und seiner Frau Josefa befand, war das Schloss schon als ein bedeutender Repräsentationssitz bekannt. Die Familie hat ihn bis 1930 behalten.
Im Zweiten Weltkrieg wurde das Schloss durch einen Brand beschädigt und auch danach verfiel es viele Jahre. Davon aber erst später mehr. Jetzt ist es an der Zeit das restaurierte Schloss zu betreten. Im Mai 2005 wurde es für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Kastellan Jaroslav Hrubý wartet schon:
„Ich heiße Sie herzlich willkommen im Schloss Linhartovy. Wir haben den Saal von Jan Kutálek betreten, einem der beliebtesten tschechischen Keramiker. Ich muss sagen, dass Kutáleks Keramik für mich eine Herzenssache ist. Ich habe mir eigentlich meinen Traum erfüllt, indem es mir gelungen ist, seine Werke hierhin zu holen. Wenn Sie sich die Vitrinen anschauen, werden Sie sofort sehen, dass Herr Kutálek ein behaglicher Mensch war. Seine Faune, Teufel, Wassermänner, Clowns und andere Figürchen sprechen unsere Besucher an. Unsere Idee war es, dieses Schloss vor allem für Kinder anziehend zu machen. Jedes Mal, wenn uns eine Gruppe von Kindern besucht, müssen wir das Vitrinenglas putzen, weil sie so gerne mit Fingern auf etwas zeigen. Und das ist toll.“
Jaroslav Hrubý ist der Spiritus agens in diesem Schloss, obwohl er als Kastellan nur in seinem Nebenjob tätig ist. Auch den übt er mit Leib und Seele aus, wie Sie noch hören werden. Jetzt aber wieder dorthin zurück, wo wir ihn verlassen haben. Der Ausstellungssaal, in dem Kutáleks Keramik zu sehen ist, diente ursprünglich als Schlafzimmer von Graf und Gräfin Sedlnitzky:
„Es war praktisch der einzige Raum in diesem Schloss, der ziemlich gut erhalten geblieben ist. Die anderen Räumlichkeiten befanden sich in einem erbärmlichen Zustand. In den 1950er Jahren nämlich ähnelte das Schloss einer Ruine. Es gab hier keine Fenster, keine Türen und kein Dach. Im Jahr 1950 wurde dem Schloss der Denkmalschutz entzogen und es wurde einem landwirtschaftlichen Betrieb zum Abriss angeboten. Aus dem Baumaterial sollten neue Kuh- und Schweineställe gebaut werden. Dazu ist es aber zum Glück nicht gekommen. Das Gebäude wurde einigermaßen saniert und diente als Arzneimittellager.“
Erst 2001 ging das Schloss in den Besitz der Stadt Albrechtice über. Zwei Jahre später wurde eine Bürgerinitiative gegründet, die an dem unerfreulichen Zustand des historischen Gebäudes etwas ändern wollte:
„Im Jahr 2003 hat man hier mit einer Renovierung begonnen, die zum Teil mit europäischen Geldern finanziert wurde. Anfang 2005 haben wir, sprich eine Gruppe von zehn „Narren“, entschieden, in unserer Freizeit und ohne Entgelt im Schloss aufzuräumen, die Wände zu streichen und nach und nach die Ausstellungsräume einzurichten. Heute haben wir im Haus 28 Ausstellungssäle.“
Die Räumlichkeiten beherbergen zum Teil ständige Ausstellungen, in einigen werden hingegen saisonal wechselnde Ausstellungen veranstaltet, oft auch auf verschiedene Kulturveranstaltungen abgestimmt - Kunstausstellungen, Konzerte, Theatervorstellungen und vieles mehr. Was alles in den 28 Ausstellungssälen zu finden ist, kann man kaum nennen. Hier wenigstens eine kurze Auswahl aus dem Angebot des Schlosskastellans:
„Zu den neuesten gehören die Ausstellungen „Glocken, Glöckchen und Zymbeln“ oder „Flaschen, Fläschchen und Gläser“ mit Glasprodukten aus der Zeit der Österreich-Ungarn-Monarchie. In beiden sind Leihgaben aus privaten Sammlungen zu sehen. Wunderschön ist die Ausstellung über Postwesen, die aufgrund unserer hervorragenden Zusammenarbeit mit den Postmuseen in Prag und Vyšší Brod zustande kommen konnte. Interessierte Briefmarkenfreunde können auch einen Sonderstempel bekommen. Neu und schön ist auch unsere Ausstellung alter Waffen. Ende Mai haben wir nur für Kinder eine Ausstellung mit 1351 Plüschbären eröffnet. Voriges Jahr haben wir hier etwa zweieinhalb tausend Matchboxautos gezeigt.“
50 Säcke mit Teddybären und -bärchen in allen erdenklichen Farben. Ihre Installierung an allen möglichen Stellen dauerte vier Tage lang. Die Plüschtiere als Bassspieler, Schlittschuh- und Skiläufer, Piloten, Gäste einer Hochzeit, beim Oster- und Weihnachtsfest, beim Tramping oder auch im Altersheim, sind ein guter Magnet für Kinder, die mit ihren Eltern, ihrem Kindergarten oder mit ihrer Klasse zur Schlossbesichtigung kommen. Analog zu den realen Babyklappen für kleine Kinder hat man hier die so genannte Brumla-Klappe errichtet. In diese können kleine Besucher ihre Teddys legen, die zu Hause überflüssig wurden.
An Kinder wird in Linhartovy mehr gedacht als es in einem Schloss üblich ist. Jaroslav Hrubýs Traum sei es nämlich auch gewesen, die erste Kindergalerie in Tschechien zu haben. Die bereits anfangs erwähnten Keramikfigürchen gehören dazu. Und was noch?
„Mein Traum war es auch, eine Ausstellung zu haben, die sonst nirgendwo auf der Welt zu sehen ist. Und das sind diese Papierplastiken in Überlebensgröße: die 5,5 Meter große Giraffe, die Drachen, Figuren von Adeligen, Flugzeuge, Autos, Löwen, Wassermänner und weitere Märchengestalten, die im ganzen Schlossgebäude platziert sind. Die Kinder reagieren immer wieder auf die einzelnen Figuren und konzentrieren sich somit jedes Mal auf etwas Neues, so dass sie sich nie langweilen.“
Jaroslav Hrubý führt eine Kunstwerkstatt bei einer Grundschule im nahen Albrechtice. Nach der Arbeitszeit ist er als Kastellan tätig. Er selbst nennt sich „einen Narren nach der Arbeitszeit“. Man kann sich kaum wundern, dass er auch seine Schüler und Schülerinnen zum Beispiel in die Herstellung einiger der genannten Exponate aus Papier eingebunden hat. Ein Beispiel:
„Und hier steht ein Postillion in der Nähe einer Postkutsche, die von Kindern angefertigt wurde. Die ganze Kutsche ist aus Papier und kann auch fahren. Ihre Entstehung hat sechs Monate Arbeit gekostet, natürlich mit Pausen dazwischen.“
Das Motto der Ausstellungen, die im Schloss Linhartovy veranstaltet werden, wird so gewählt, damit sie das Interesse bei Jung und Alt erwecken. Kürzlich fand in der ehemaligen Bibliothek des Schlossgrafen Sedlnitzky eine Ausstellung statt, die im Zeichen des Leitmottos „Tourismus, Reiselust und Reisen“ stand. Zu sehen gab es zum Beispiel Fotos von Milan Jurčík aus dem südmährischen Zlín, die dieser im Stillen Ozean, im Atlantik und an anderen exotischen Orten der Welt fotografiert hat. Ein ganzer Schlossgang, der normalerweise für polnische Künstler reserviert wird, war vor kurzem für eine internationale Bilderausstellung mit Werken aus Russland, Lettland, der Ukraine, Weißrussland, Deutschland, Polen, Tschechien und den USA reserviert.
Gelegentlich können die Besucher auch interaktiv in ein konkretes Ausstellungsthema einsteigen wie zum Beispiel im Saal mit Glocken und Glöckchen. Hrubý erläutert:
„Hier kann man das Glück herbeiläuten, und wie unsere Besucher sagen, vom Glück habe man nie genug. Das ist meiner Meinung nach gut für die Wiederbelebung der Schlossbesichtigung. Die Besucher sind hier nicht nur Statisten. Hier ist eine Anleitung, wie man mit der Glocke Wolken grüßt.“
Und mit dem kurzen Geläute sind wir auch am Ende der Besichtigung im Schloss Linhartovy angelangt, bei der uns Kastellan Jaroslav Hrubý begleitete. Ich darf seine Einladung übermitteln. Auf dem Schloss waren mal Maria Theresia, Jean Jacques Rousseau, Denis Diderot und andere Celebrities zu Besuch. Jetzt wartet es auf Sie. Im Schlossgarten treffen sie auf einen uralten Zeitzeugen: die Eiche, die hier Ende des 13. Jahrhunderts ihre Wurzeln geschlagen hat.