Der Zeit einen Takt voraus – der Astronom Jan Táborský
Die Stadt Tábor ist bekannt vor allem durch die bedeutende Rolle, die sie in den Hussitenkriegen spielte. Das heutige Geschichtskapitel widmet sich einem Mann, der zwar dort im Jahr 1500 geboren ist, dessen Leben und Werk aber weitgehend unbekannt geblieben sind. Dass wir überhaupt etwas vom Wirken des Jan Táborský wissen, ist der Tatsache zu verdanken, dass er viele Jahre als Verwalter der berühmten Prager Astronomischen Uhr tätig war. Mit seinen vielfältigen Fähigkeiten als Kalligraph, Astronom, Mathematiker, Schriftsteller und Musiker hatte Táborský einen Anteil daran, dass die Uhr bis heute erhalten und funktionstüchtig ist. Jan Táborský war seiner Zeit einen Takt voraus.
Bei der Astronomischen Uhr am Altstädter Rathaus öffnen sich zur Freude der stets dort wartenden Touristen zu jeder vollen Stunde die beiden Fenster über der Uhrenscheibe, und in ihnen erscheint der Zug der zwölf Apostel. Dann schließen sich die Fenster wieder, ein Hahn kräht blechern, der Tod in Gestalt einen Knochengerippes dreht die Sanduhr um und läutet das Totenglöckchen.
Was noch heute für seine Einmaligkeit von Touristen bewundert wird, galt zu Beginn des 16. Jahrhunderts in ganz Europa als Wunder der Technik. Als die Astronomische Uhr, auf Tschechisch „Orloj“, Mitte des 14. Jahrhunderts entstand, sprach man von ihr als Weltwunder und einzigartigem Werk. Der technische Aufbau des Uhrwerks war so ausgefeilt, dass es nur mit genauen Kenntnissen in Betrieb gehalten werden konnte.
Im Jahr 1570 beendet der große Liebhaber und Verwalter des Uhrwerks, Jan Táborský seinen „Bericht über den Altstädter Orloj“. In mehreren Kapiteln befasst er sich darin eingehend mit der Beschreibung der verschiedenen Funktionen und dem Aufbau der Uhr. Táborský erkennt schon damals, dass es sich um ein außerordentliches Denkmal handelt, das wegen seiner Größe auch in Zukunft erhaltenswert ist. In seinem Bericht fordert er strenge Bedingungen für die Tätigkeiten des Uhrwerkverwalters:„Dieses Uhrwerk ist so eigentümlich und bedeutsam, dass ich, so oft ich auf es schaue, mir sage, dass es ein himmlisches Uhrwerk ist. Und wer es gut verwalten will, kann nichts ohne die Hilfe Gottes tun. Nur wer sich oft den Kopf zerbrechen will, kann der Verwalter dieses Uhrwerks sein.“
Jan Táborský spricht offensichtlich aus eigener Erfahrung. Sein Lebensweg vom Organisten in Mělník bis zum geachteten Verwalter des Orloj zeugt ebenso von Frömmigkeit wie von scharfem Verstand.
Dort wo heute die Glocken des Klosters in Klokoty, einem Stadtteil von Tábor ertönen, wird Jan Táborský vermutlich im Jahr 1500 geboren. Von seiner Herkunft ist wenig bekannt; lediglich seine Schwester Regina und sein Bruder Samuel, ein Rockschneider, werden erwähnt. Bereits als 19-Jähiger studiert er Astronomie und Mathematik an der Prager Universität. Anschließend ist er als Organist in Mělník tätig. In Berührung mit Gottesdienst und geistlicher Musik entwickelt sich Táborskýs Interesse an der Herausgabe von Gottesdienstliederbüchern, den so genannten Gradualen und Kantionalen.
Jan Táborský gründet 1528 eine kalligraphische Werkstatt in der Kaňhovská-Straße (heute Truhlařská) in der Prager Neustadt. Er deutet die Zeichen der Zeit richtig, die einen Aufschwung der geistlichen Liedersammlungen verheißen, wie Jana Štefancová vom Tschechischen Museum der Musik in Prag bestätigt:
„Einen großen Einfluss hatte die reformatorische Bewegung, weil zum Beispiel die Hussiten, aber auch andere, großen Wert auf die Volkslieder und das Singen in der Gemeinde legten. Und das betraf gerade auch jene Lieder, die Kantionalen.“
Jan Táborský steht der Reformation nah und profitiert von den in ganz Böhmen aufstrebenden Kirchensängerbruderschaften, den so genannten „Literatská bratrstva“, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, den geistlichen Gesang zu fördern, wie Jana Štefancová bestätigt:
„Es war eine freiwillige Vereinigung vor allem von Stadtbürgern. ihr gehörten gebildete Bürger an, daher die Bezeichnung literatus - gebildet, gelehrt. Außerdem waren Handwerker oder auch Angehörige des niederen Adels Mitglieder der Literaten-Bruderschaften. Es waren keine professionellen Musiker, sie hatten ihre Berufe, aber sie vereinigten sich in dieser Bruderschaft, um mit ihrem Gesang den Gottesdienst zu begleiten.“
Dank der finanziellen Unterstützung jener Bruderschaften entstehen große handschriftliche Kantionale, die in der Regel reich ausgestaltet werden, versehen mit Illustrationen sowie einer dekorativen Ausschmückung und einem kostspieligem Einband. Jan Táborský liefert sie nach Teplice, Klatovy und andere Städte, nicht selten schreibt er selbst die Gedichte dazu oder Texte übersetzt aus dem Lateinischen. Als seine Werkstatt und sein Ansehen wächst, bekommt er 1548 die Stadtrechte und zieht in die Prager Altstadt um, wo er mit seiner ersten Frau Kateřina und Tochter Markéta, dann später auch mit seiner gleichnamigen zweiten Frau und Tochter Mandalena ein Haus bewohnt. Der Aufstieg Jan Táborskýs lässt sich an der Verleihung des bürgerlichen Prädikates „von den Klokoter Bergen“ ablesen und der Verleihung eines eigenen Wappens, das 1556 nach der Beförderung in den Adelsstand noch verbessert wurde.
Als Jan Táborský im Jahr 1551 zum Verwalter des Orloj ernannt wird, ahnt er nicht, dass ihm und seinem Ansehen Schaden droht. Als der sonst gründliche und gewissenhafte Táborský mit Hilfe des Uhrmachers Skřívánek das Uhrwerk restauriert und wieder instand setzt, gefährdet er seine eigene Arbeit durch eine kleine Unachtsamkeit. Er lässt eine Kerze brennen. Der so ausgelöste Brand hinterlässt zwar nur einen geringen Schaden, bringt Táborský jedoch um seine Verwalterstelle. Erst nach dem Tod des Uhrmachers Tobiáš, im Jahr 1560, darf Táborský als Verwalter zu seinem Orloj zurückkehren. Bis zu seinem Tod im Jahr 1572 übt er dieses Amt mit größter Sorgfalt aus, wie aus seinen Abschlussworten in seinem Bericht über das Uhrwerk hervorgeht:„Dank getan, erwarte ich fröhlicher den Tod, dem ich mich nähere. Doch ich fürchte ihn nicht, denn am Ende meines Lebens bleibe ich durch diese Arbeit mehreren Leuten bekannt, und zeuge auch vom Prager Orloj, den ich erforscht und verwaltet habe.“
Selbst seiner Todesstunde war Jan Táborský einen Takt voraus, als er ahnte, dass sein Werk seinen Tod überdauern würde.