Jung und unerwünscht? Jugendarbeitslosigkeit in Tschechien
Trotz Wirtschaftsboom und Niedriglohn - rosig ist die Situation auf dem tschechischen Arbeitsmarkt keineswegs. Immerhin haben der anhaltende wirtschaftliche Aufschwung und der milde Winter die Arbeitslosenquote nun auf 7,7 Prozent sinken lassen - vor einem Jahr waren es noch 9,1 Prozent gewesen. Ein besonderes Problem, und das nicht nur in Tschechien, ist jedoch die Jugendarbeitslosigkeit.
"Die Firmen brauchen junge Leute, aber solche mit einem breiteren Horizont - sie müssen Fachleute in ihrem Beruf sein, aber auch andere Fähigkeiten mitbringen, Fremdsprachenkenntnisse, Organisationstalent und ähnliches. Auch wenn es Nachfrage nach jungen Leuten gibt, liegt das Problem oft in der fehlenden Praxis. Und das Ausbildungssystem vernachlässigt die Praxis zumeist."
Das Schulwesen und die Berufsausbildung in Tschechien haben mit den schnellen Veränderungen des Arbeitsmarktes in den letzten 15 Jahren nicht Schritt halten können. Aktive Arbeitsmarktpolitik muss bereits bei der Ausbildung ansetzten, meint Jana Majerova - etwa mit Beratung und Information. Die Lage dürfe nicht nur daran gemessen werden, ob ein Jugendlicher gerade einen Job hat oder nicht:
"Man muss das Problem in einem breiteren Kontext sehen. Es geht letztlich darum, ob die jungen Leute auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes richtig vorbereitet sind - und zwar so, dass sie eine Arbeit finden, die sie interessiert und zu der sie auch eine Ausbildung haben. Information und Beratung ist daher eine unersetzliche Aufgabe des Arbeitsamtes, das dann auch Requalifikationen anbieten kann, wenn die Ausbildung nicht der Nachfrage in der jeweiligen Region entspricht."
Wie die Situation vor Ort aussieht, das weiß Marie Guttova vom Arbeitsamt im nordböhmischen Decin, unweit der sächsischen Grenze. Die Arbeitslosigkeit in der Region ist hoch. Für die Jugendlichen ist es hier besonders schwer, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
"Der Bezirk Decin liegt hinsichtlich der Arbeitslosigkeit landesweit an fünfter Stelle von 77 Bezirken - das ist also ein großes Problem. Positiva sehen wir aber darin, dass die Jugendlichen inzwischen eine höhere Schulbildung erreichen. Auch wenn Hochschulstudenten oftmals nicht mehr in die armen Regionen zurückkehren, wo es keine Arbeit für sie gibt - das ist für uns ein ernstes Problem. Aber wir sind ein Grenzbezirk, viele junge Leute sammeln Erfahrungen in Deutschland, junge Mädchen arbeiten als AuPair - das ist für uns positiv: Sie kommen zurück und können die Sprache - und ohne Sprachen geht heute einfach gar nichts mehr."
Sich qualifizieren, Erfahrungen sammeln, Praxis bekommen - das ist für Marie Guttova das wichtigste Rezept für einen Einstieg in den Arbeitsmarkt. Gerade in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit ist es aber oft schwer, den Teufelskreis aus fehlenden Perspektiven und fehlendem Mut zu durchbrechen:"Den höchsten Arbeitslosenanteil gibt es bei den gering qualifizierten Jugendlichen. Zumeist geht es dabei um Mehrfachprobleme - nicht nur um die Bildung, sondern auch Familienhintergrund, Wohnort, Umfeld - die ganzen soziokulturellen Einflüsse. Heute haben wir schon arbeitslose Mehrgenerationen-Familien, wo die Jugendlichen keine Vorbilder mehr daheim haben. Es sind dann oft die Eltern, die die Jugendlichen mit 15 Jahren zum Arbeitsamt schicken, schon mit perfekt ausgefüllten Papieren für Arbeitslosenhilfe. Von Arbeit wollen die Jugendlichen dann gar nichts mehr hören."
Es gebe inzwischen schon eine ganze Generation, die sich daran gewöhnt habe, ihren Lebensunterhalt von den Unterstützungszahlungen zu bestreiten, berichtet Marie Guttova von ihren Erfahrungen aus Decin. Oft geht es daher darum, zunächst überhaupt einen Zugang zum Arbeitsleben zu vermitteln:
"Wir hatten im vergangen Jahr ein regionales Programm für Langzeitarbeitslose, die mehr als drei Jahre ohne Arbeit waren, darunter auch Jugendliche. Wir haben dabei die Entstehung von Arbeitsplätzen gefördert, bei denen gerade diese Leute eingestellt wurden. Es gab ein Zuschuss in Höhe des Minimallohnes, so dass das den Arbeitgeber zunächst einmal nichts gekostet hat. Er musste sich nur verpflichten, sich wirklich ein Jahr dieser Person zu widmen und den Menschen wieder zur Arbeit hinzuführen. Und wir waren wirklich überrascht, dass eine ganze Reihe der Langzeitarbeitslosen aus dem Programm dann wirklich dauerhaft Arbeit gefunden haben und es geschafft haben, das Damoklesschwert über ihren Köpfen zu zerbrechen."Laut Gesetz gehören Jugendliche bis 25 Jahren in Tschechien zu den besonders benachteiligten Gruppen auf dem Arbeitsmarkt. Sie haben Anspruch auf besondere Förder- und Requalifikationsmaßnahmen. Oft führen auch ungewöhnliche Wege zum Erfolg. Gute Erfahrungen gibt es mit einem Programm für sonst praktisch unvermittelbare ehemalige Drogenabhängige. Sie haben Tannenzapfen gesammelt und in geschützten Werkstätten zu Friedhofskränzen verarbeitet - für einige von ihnen der Ausgangspunkt zu einer Rückkehr ins normale Berufsleben. Es gibt Umschulungen zum Friseur, zum Masseur oder zur Kosmetikerin. Ein polnisches Arbeitsamt hat kürzlich sogar einen Diskjockey-Lehrgang angeboten. Nicht alles davon macht aber Sinn, meint Marie Guttova vom Arbeitsamt Decin:
"Es stimmt - DJs werden wir wohl nicht ausbilden. Was sonst noch genannt wurde, Friseure und Kosmetikerinnen, damit arbeiten auch wir - aber sehr vorsichtig, denn man muss immer schauen, was der Markt auch aufnehmen kann. Eine Requalifikation, nach der man dann weiter arbeitslos ist, weil es in diesem Beruf keine Möglichkeiten gibt, würde auch das Arbeitsamt nicht unterstützen, denn das ist rausgeworfenes Geld."Einen Königsweg zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, den gibt es auch in Tschechien nicht. Nötig ist Graswurzelarbeit in konkreten Einzelprojekten vor Ort, wie etwa in Decin, aber auch ein europäischer Austausch, bei dem die Lösungsansätze verglichen und abgestimmt werden, meint Jana Majerova vom Prager Ministerium für Arbeit und Soziales:
"Optimismus gibt uns, dass an dem Problem gearbeitet wird, dass wir EU-Finanzquellen dafür zur Verfügung haben, und dass wir so genannte ´best practices´-Projekte verfolgen, bei denen die besten Erfahrungen der einzelnen Länder gesammelt werden, die dann auch die Politik in den einzelnen Staaten beeinflussen, damit die Lage so weit wie möglich verbessert werden kann."