Zum Praktikum ins Nachbarland
Einmal im Ausland arbeiten: Für junge Leute aus Tschechien und Deutschland, die in ihrem Heimatland eine Ausbildung machen, muss diese Vorstellung kein Wunsch bleiben. Ein Programm der Organisation für deutsch-tschechischen Jugendaustausch, Tandem, macht's möglich.
Schüler der Glasfachschule Zwiesel sind als Praktikanten im nordböhmischen Zelezny Brod, Auszubildende des Pferdestalls Hartmannsdorf fahren nach Udlice und kaufmännische Auszubildende aus Erlangen machen ihr Praktikum an der Euroschule Strakonice in Südböhmen. Die Bandbreite des Programms "A je to - Auf geht's" von Tandem ist groß. Das Ziel: Junge Leute aus beiden Ländern sollen im Nachbarland Arbeitserfahrung sammeln. Das Programm richtet sich an Auszubildende, Berufsschüler und -schülerinnen, oder auch Berufsanfänger im Anschluss an ihre Ausbildung. Voraussetzung ist allerdings, dass sie zwischen sechzehn und sechsundzwanzig Jahren alt sind. Was die Teilnehmer erwartet, erklärt Katarina Znamenackova, die bei Tandem Regensburg für "A je to - Auf geht's" zuständig ist.
"Sie werden ins Nachbarland entsendet, wo sie von einer Partnereinrichtung aufgenommen werden. Das heißt deutsche Auszubildende besuchen eine tschechische Berufsschule und gehen dort für die Dauer des Praktikums jeden Tag in einen Betrieb. In Tschechien sind diese Betriebe sehr oft in der Berufsschule integriert. Die Auszubildenden werden dort betreut und arbeiten mit. In einem Hotel würden sie zum Beispiel in der Küche oder als Bedienungskräfte arbeiten. Von der Einsatzstelle können sie, müssen aber nicht, auch ein Taschengeld bekommen. Sie werden fachlich und pädagogisch betreut. Sie lernen, wie es im eigenen Beruf in einem anderen Land aussieht."
Zwölf Praktikanten aus Hamburg haben sich getraut. Zuhause in Deutschland machen sie eine Ausbildung zum technischen Assistenten zur Informatik. Jetzt arbeiten sie drei Wochen in der Stredni prumyslova skola dopravni, einer Verkehrsfachschule. Für diese Schule haben sie Siemens-Computer eingerichtet. Diese sollen als Internetstationen dienen, für die die jungen Computerspezialisten das frei erhältliche Betriebssystem Linux verwenden. In einer zweiten Schule bauen sie sogar einen ganz neuen Computerraum auf. Marcel Rieseler und Dominic Fehlhaber finden, dass das Praktikum in Tschechien sowohl Vorteile als auch Nachteile hat:
"Ich denke, das Praktikum hier ist nicht so anstrengend wie in Deutschland, in Deutschland hätten wir acht Stunden am Tag arbeiten müssen. Hier ist das ganz locker, wir können mal Pause machen und die Arbeit ist eigentlich auch einfach."
"Wobei man sagen muss, dass wir hier für drei Wochen sozusagen gefangen sind. Wir haben den ganzen Tag eine fremde Umgebung, das erschwert das Ganze ein bisschen. Klar haben wir weniger Arbeit, aber dadurch, dass man nicht zuhause ist, ist es einfach ein ganz andere Situation."
Bei ihrer Arbeit kommen die deutschen Praktikanten auch in Situationen, die sie von ihrer Ausbildung in Deutschland nicht kennen. Zwar ist ab und zu ein Lehrer aus Hamburg dabei, die meisten Probleme müssen sie aber ohne Hilfe lösen, wie Marcel Rieseler erzählt:
"Wir müssen uns hier mit Linux allein zurechtfinden. Da tauchen manchmal Probleme auf, die wir nicht dadurch lösen können, dass wir einfach einen Lehrer fragen. Wir müssen selbst in Internet-Foren nachschauen oder in Büchern nachschlagen. Das ist dann manchmal schon anstrengender als in Deutschland, weil einem dort alles vorgegeben wird. Hier sind wir alle zusammen ein Team und müssen alles selbst raus finden."
Aber natürlich geht es nicht nur um Arbeit beim Programm "A je to - Auf geht's". Die Praktikanten sollen auch ihr Nachbarland und dessen Kultur kennen lernen. Das hat bei den Zwölf aus Hamburg auf jeden Fall gut geklappt, wie Deniz Polat berichten kann.
"In unserer Freizeit schauen wir uns Prag an. Wir waren auf der Prager Burg. Wir machen natürlich Party, wir waren am Wochenende mit tschechischen Kollegen unterwegs. Unsere Freizeit teilen wir uns größtenteils selbst ein, wobei auch die tschechischen Lehrer Vorschläge machen. So waren wir zum Beispiel zusammen Bowlen, und auch im Theater und im Museum. Das ist recht nett von Ihnen. Ich finde das gut."
Die Englisch-Lehrerin Jindra Bizova, die zusammen mit einer Kollegin aus Hamburg den Aufenthalt in Prag organisiert hat, erzählt, sie sei begeistert von ihren deutschen Praktikanten. Sie denkt, dass nicht nur die Deutschen von ihrem Aufenthalt in Tschechien profitieren, sondern auch ihre tschechischen Schüler viel lernen können.
"Ich glaube, dass der größte Nutzen die Motivation ist. Einerseits um Sprachen zu lernen und andererseits für einen großen Erfahrungsaustausch. Wir sehen, wie akkurat und präzise Ihr Deutschen seid und ich bin sehr froh, dass unsere Kinder merken, wenn ich gute Arbeit leisten will, kostet das Zeit und Mühe."
Ganz einfach ist so ein Aufenthalt in einem fremden Land natürlich nicht. Zuallererst ist da die Sprachbarriere, auf die auch die Praktikanten aus Hamburg gestoßen sind:
"In Hamburg sind wir davon ausgegangen, dass wir mit Englisch sehr weit kommen. Das ist nicht ganz so. Es gibt Schüler, die besser Englisch sprechen als die Lehrer. Da gibt es dann keine Probleme mit der Kommunikation. Es gibt aber auch Schüler, die nur ein paar Wörter Englisch und ein paar Wörter Deutsch sprechen und da muss man sich dann mit Händen und Füßen verständigen, weil wir eben kein Tschechisch können."
Letzteres stimmt allerdings nicht ganz. Denn Tandem hat sie, wie alle Programmteilnehmer mit einer besonderen Methode auf ihren Aufenthalt im Ausland vorbereitet. Katarina Znamenackova erklärt, worum es dabei geht:
"Die Sprachanimation ist eine ziemlich unkonventionelle Methode, wie man jemandem eine Sprache näher bringen kann. Vermitteln würde ich nicht sagen, einfach näher bringen. Grundelemente, Grundausdrücke und -wendungen werden immer mit bestimmten Werten verbunden. Das kann in Form von Spielen in einem Raum oder im Freien stattfinden. Bei den Praktika dient die Sprachanimation auch zur Orientierung in einem neuen Ort."
2006 haben 130 Deutsche und genau so viele Tschechen am Programm "A je to - Auf geht's" teilgenommen. Vor allem die Zahl der Deutschen freut die Organisatoren, denn zu Beginn interessierten sich viel weniger deutsche Auszubildende für ein Praktikum in Tschechien als umgekehrt. Jetzt hat sich herumgesprochen, dass es sich lohnt, am Programm teilzunehmen. Fast alle, die für ein Praktikum in Deutschland oder Tschechien waren, bewerten ihren Aufenthalt sehr positiv. Das bestätigt auch der Bericht, den ein Soziologe für Tandem erstellt hat. Er hat Fragebögen ausgewertet, die ehemalige Praktikanten ausgefüllt haben, und zudem Gespräche mit ihnen geführt. Die Ergebnisse sind teilweise überraschend, wie Katarina Znamenackova berichtet:
"Der positive Zugewinn wird nicht nur im Bezug auf das Nachbarland, sondern auch in Bezug auf die eigene Kultur, die eigene Sprache und das Verhältnis zum Heimatland genannt. Das ist eine ziemlich interessante Sache, dass man sich erst im Ausland dessen bewusst wird, was eigentlich das Heimatland und die eigene Sprache für einen bedeuten."