60 Jahre Ackermann-Gemeinde
Sie gehört zu den langjährigen Akteuren im deutsch-tschechischen Dialog. Ihre langjährige, oft wenig auffallende Arbeit im Bereich der deutsch-tschechischen Verständigung wurde in den letzten Jahren in Tschechien auch von den offiziellen Stellen gewürdigt. Die Rede ist von der christlich orientierten deutschen Organisation Ackermann-Gemeinde, die vor fast genau 60 Jahren gegründet wurde. In der heutigen Ausgabe der "Geschichtskapitel" spricht Martina Schneibergova mit dem neuen Bundesvorsitzenden der Ackermann-Gemeinde Adolf Ullman über die langjährigen Beziehungen der Organisation zur Tschechoslowakei beziehungsweise zu Tschechien.
"Ich kenne noch die Gründer, ich kenne noch Hans Schütz persönlich sowie Pater Paulus Sladek. Ich bin 1960 zum Jugendverband gekommen, und da waren alle diese Männer noch voll in Aktion. Sie sind bei uns im Jugendverband als Referenten aufgetreten. Ich habe zum Beispiel von Hans Schütz unheimlich viel und detailliertes Wissen rund um das Münchner Abkommen erfahren. Da hat er mal beim Jugendverband 1962 in Königstein drei Stunden vor den Jugendlichen aus seiner damaligen politischen Arbeit im Parlament erzählt. Das waren für uns damals historische Zeitzeugen."
Die Ackermann-Gemeinde hat die tschechoslowakische Kirche während des kommunistischen Regimes stark unterstützt. Schon bald nach der Gründung der Ackermann-Gemeinde - im Jahre 1948 - kam es in der Tschechoslowakei zum kommunistischen Putsch. Wissen Sie, wie das damals die Ackermänner empfunden haben, und wie wurden die Kontakte in den fünfziger Jahren, die die härtesten Jahre für das Überleben der Kirche in der Tschechoslowakei waren, geknüpft?
"Ein Sozialwerk der Ackermann-Gemeinde war ja schon gegründet. Dann kam die von den Kommunisten entfesselte ganz große Verfolgungswelle in der Tschechoslowakei mit den Schauprozessen. Damals sind viele Priester und Laien verurteilt worden, die mit Ackermännern studiert und gearbeitet hatten. Daraus haben sich die Kontakte ergeben: Zum Beispiel dank dem verstorbenen Professor Rabas, der hier aus der Leitmeritzer Diözese stammte, dessen Bruder selber mit inhaftiert war. Und Rabas ist schon damals rüber gefahren. Das waren die aller ersten Kontakte. Diese Beziehungen wurden über den schriftlichen Kontakt und über verdeckte Besuche ausgebaut. Als dann die Dubcek-Wende von 1968 kam, hat der damalige Generalsekretär über 1000 Adressen schwarz mit über die Grenze gebracht. Daraus haben wir ein ganzes System gemacht - zunächst mal zur privaten Betreuung. Ich selber habe zum Beispiel in meiner Jugendarbeit vierzehn solche tschechische Adressen betreut - mit Briefen, mit Büchern, mit Geldsendungen. Da war für uns immer auch die Anregung gegeben, dass wie die Menschen persönlich kennen lernen. Es wurde uns gesagt, wie wir uns verhalten sollten, um die Leute in der Tschechoslowakei nicht zu gefährden. Wenn es in der Tschechoslowakei nicht ging, dann organisierten wir ein Treffen in Ungarn oder auch in Rumänien an der Schwarzmeerküste. Das ist gewachsen aus dem Miterleben der Verfolgung der Kirche und auch aus dem Impuls: Wir müssen den Menschen helfen. Da hat der alte ethnische Konflikt, die alte Nationalität keine Rolle mehr gespielt."Waren Sie oft in der kommunistischen Tschechoslowakei zu Besuch?
"Ich habe angefangen Mitte der siebziger Jahre hierher zu fahren. Dann habe ich als ein noch junger Diözesanvorsitzender in Würzburg begonnen, jährlich eine Studienreise in die Tschechoslowakei zu machen. Da sind wir immer eine Woche hier unterwegs gewesen, wie machten mehrere Stationen. Über diese Kontakte haben wir noch engere Kontakte zu Priestern bekommen, und da haben wir Wallfahrten hier besucht. Aus einer Fahrt wurden dann drei im Jahr - bloß Diözese Würzburg, die anderen Diözesen haben das ähnlich gemacht. Da ist ein enges Beziehungsgeflecht gewachsen. Als die neuen Bischöfe dann 1988-89 ernannt wurden, haben wir alle schon längst gekannt."
In wieweit wurden die erwähnten Kontakte weiter ausgebaut, als der Eiserne Vorhang fiel und man die verschiedensten Möglichkeiten hatte, die es vorher nicht gab?
"Es gab alle möglichen Möglichkeiten, mit denen wir zunächst mal nicht zu Rande gekommen sind, weil wir nicht den Überblick hatten, was möglich ist. Wir konnten die Kräfte der tschechischen Partner auch nicht einschätzen. Es gab ja keine Struktur. Das haben wir zwar gewusst. Aber das es so schlimm ist, das es wirklich an einzelnen Personen hängt, ob die Kontakte aufrechterhalten können oder nicht, das haben wir am Anfang nicht so durchschaut. Das mussten wir erst lernen. Jetzt haben sich einige Strukturen gebildet. Es gibt mittlerweile auch Ordinariate, an die man sich wenden kann. Das musste alles neu gestrickt werden. Diese Arbeit von vor 1989 war so nicht zu verlängern, wir mussten im Prinzip von neuem anfangen. Wir allein aber können nicht deutsch-tschechische Verständigung machen. Wir können uns nur als eine Art Katalysator empfinden und andere Menschen dazu anstoßen, etwas zu tun, in dieser Richtung einzusteigen. Wir versuchen in unseren Diözesen, Pfarrpartnerschaften oder offizielle Partnerschaften zwischen Diözesen zu initiieren. Solche strukturelle Partnerschaften anzuregen - darin sehen wir unsere Aufgabe: Menschen dafür auszubilden, sie zu interessieren. Auf der Ebene sind auch kommunale Partnerschaften entstanden. Unser Jugendverband macht intensiv Jugendaustausch mit der Region Nordmähren - zwischen Zabreh und der polnischen Grenze. Mit den tschechischen Jugendlichen organisieren wir dreimal im Jahr Begegnungswochen. Auf dieser Ebene ist beispielsweise die offizielle Partnerschaft zwischen dem Landkreis Würzburg und dem alten Kreis Sumperk entstanden. Der ist jetzt übertragen worden auf den neuen Landkreis Olomouc / Olmütz. So etwas ist unsere Aufgabe: Etwas auf den Weg zu bringen, immer mehr Menschen zu interessieren. Die tschechische Öffentlichkeit darf auch nicht übersehen, dass vierzig Jahre kommunistischen Eisernen Vorhang in den Köpfen der Deutschen weiße Fläche hinterlassen haben. Die Unkenntnis vieler Deutscher über alles, was östlich von Arber liegt, ist enorm groß, und dem entspricht auch die Interessenhaltung. Wir müssen also erst das Interesse erschließen, bevor wir überhaupt Leute zur Mitarbeit gewinnen können."
Haben Sie Probleme damit Interessenten für den Jugendaustausch beispielsweise zu finden?
"Auf unserer Seite ist es kein Problem, wenn die tschechischen Jugendlichen kommen, aber eine gleich starke Gruppe zu gewinnen, die hierher fährt und sich auch hier das Land anschaut, das macht schon manchmal Schwierigkeiten. Ich selber organisiere eine Schulpartnerschaft zwischen meiner Schule und der Schule in Velke Losiny. Da habe ich das gleiche Problem. Ich muss zuerst meine Kollegen überreden, die Eltern überreden, dass sie selbst mitfahren und dass ihre Kinder mitfahren dürfen. Wenn wir dann zurückkommen, ist die Begeisterung groß. Es gibt nämlich ganz dumme Vorurteile, als käme man in den Urwald. Das ist eben diese Unkenntnis, und die muss man überwinden."
Wie ist es mit der Unkenntnis, was die gemeinsame tschechisch-deutsche Geschichte anbelangt?
"Man muss es leider so sagen, dass ein durchschnittlicher Bundesdeutscher da nichts weiß. Das hat zum Teil mit dem Schulunterricht zu tun, aber eben auch mit der recht dürftigen Mediendarstellung, die wir vierzig Jahre hatten. Man könnte jetzt auf das Vertreibungsjahr zurückgehen: Die Westdeutschen wussten nicht, wer die Ostdeutschen sind, die da plötzlich zu ihnen kommen. Die meinten, dass die aus irgendwelchen Pripjat-Sümpfen kommen. Dass es Leute waren mit einer eigenständigen Kultur, mit einem hoch stehenden Bildungswesen, das haben auch die Bayern sowie die anderen Westdeutschen erst lernen müssen. Auch in Bayern, wohin sehr viele Sudetendeutsche hinkamen, was es dem so. Über zehn Prozent der bayerischen Bevölkerung hat einen Vertriebenenhintergrund. Wenn man die Folgegenerationen mit einrechnet, sind es mittlerweile schon 25 Prozent. Ich merke es auch in meiner Klasse, wie viele Schülerinnen und Schüler eine Oma oder einen Opa haben, der aus dem Osten kommt. Aber trotzdem ist wenig davon gewachsen, weil auch diese Vertriebenengeneration sich zum Teil geschämt hat, zu erzählen: Oral history hat hier nicht stattgefunden, das muss man zur Kenntnis nehmen. Ich habe schon immer gesagt, die deutsch-tschechische Verständigung ist unser ´Kerngeschäft´ und das muss es auch bleiben."
Am Mikrofon war der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde, Adolf Ullman.