Das Korrespondenten-Netzwerk n-ost
Aus deutschsprachigen Zeitungen erfährt man vielfach immer noch sehr wenig über den Alltag in Mittel- und Osteuropa. Ein Manko, gegen das das Korrespondenten-Netz n-ost ankämpft. Vom 1.-4.September trafen sich rund 80 Journalisten aus Mittel- und Osteuropa in Berlin zu einer internationalen Medienkonferenz, um Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig zu vernetzen.
"Das, was nicht bei dpa durchgekaut worden ist, interessiert normalerweise niemanden in Deutschland. Da kann man Wochen vorher anrufen, den Leuten erzählen, was das für eine exklusive Geschichte ist und die hätten dann ja mal wirklich was Alleinstehendes. Das interessiert die doch überhaupt nicht. Es muss das sein, was bei dpa gelaufen ist und worüber alle anderen Zeitungen in Deutschland schreiben."
Martin Fejer, seit 15 Jahren Journalist in Budapest, bringt auf den Punkt, was viele Osteuropa-Korrespondenten ähnlich erleben, die am Wochenende in Berlin auf der internationalen Medienkonferenz des Netzwerks Journalisten Ost-West zusammentrafen: mangelndes Interesse an Themen aus Mittel- und Osteuropa in deutschsprachigen Zeitungsredaktionen, wenn berichtet wird, dann eher Schlagzeilen und Agenturmeldungen als kontinuierliche fundierte Berichterstattung. Das alles vor dem Hintergrund eines insgesamt stetig sinkenden Anteils an Auslandsberichterstattung und finanzieller Kürzungen in den Zeitungen. Edit Inotai, Berlin-Korrespondentin der größten ungarischen Tageszeitung Nepszabadsag, illustriert die Situation an einem Beispiel:
"Ich habe ein bisschen recherchiert, was der letzte Bericht in einer deutschen Zeitung über Ungarn war. Und es war eine Geschichte über einen Bürgermeister, der die Miniröcke seiner Angestellten regulieren wollte. Das war bei Spiegel-online. Und da wundere ich mich manchmal: Ist es wirklich so ein mangelndes Interesse in der deutschen Presse? Keine menschliche Geschichte über Ungarn, Tschechien, Slowakei..."
Menschliche Geschichten aus dem Alltag zu erzählen ist das Anliegen der Korrespondenten des Netzwerks n-ost. Einer Initiative, die von jungen Lektoren ins Leben gerufen wurde, die zunächst über Stipendien der Robert Bosch Stiftung an mittel- und osteuropäischen Universitäten lehrten. Bei vielen von ihnen, erinnert sich der Mitgründer des Netzwerks, Andreas Metz, sei bereits während der Lektorenzeit ein gemeinsamer Wunsch entstanden:
"den Menschen in Deutschland etwas über diese Länder zu erzählen, in denen sie eingesetzt waren - fast alle osteuropäischen Ländern, angefangen von Polen, bis hin zu Sibirien. Und am besten kann man Leuten in Deutschland etwas von diesen Ländern erzählen, indem man darüber schreibt."
Von Internetcafes in Kaliningrad und anderen osteuropäischen Städten aus begann 2002 ein Kern von einigen wenigen Autoren, Geschichten aus "ihren" Gastländern an deutsche Zeitungen zu versenden - zunächst mit äußerst geringem Echo. Daraus ist mittlerweile ein Netzwerk von über 100 Korrespondenten entstanden -, die aus mehr als 20 mittel- und osteuropäischen Ländern berichten. Koordiniert wird das Versenden der Artikel von einem Berliner Büro aus, das im August 2004 dank Unterstützung durch die Robert Bosch Stiftung eingerichtet werden konnte. Die Zahl der Artikel ist seitdem sprunghaft angestiegen, allein in der ersten Jahreshälfte 2005 wurden rund 300 Artikel an deutschsprachige Zeitungsredaktionen versendet. Nach drei Jahren habe man es geschafft, sich bei den Redaktionen als zuverlässiger Lieferant von Geschichten über den Alltag der Menschen in Osteuropa zu etablieren. Gelungen, meint n-ost-Mitgründerin Franka Kühn, sei dies vor allem:
"weil die Leute eben nicht nur in den großen Hauptstädten sitzen, sondern tatsächlich auch in Provinzen, in kleineren Städten arbeiten. Und insofern ist da eine ganz besondere Kompetenz, die n-Ost glaube ich stark gemacht hat und vielleicht auch oft noch ein ganz besonderer Idealismus, weil es eben in der Regel junge Journalisten sind, die viel Kraft und viel Zeit darein investieren, über Osteuropa zu berichten."
In letzter Zeit schließen sich neben deutschen Journalisten zunehmend auch Muttersprachler aus den jeweiligen Ländern dem Netzwerk an - eine klare Stärke von n-ost, meint Andreas Metz:
"Gerade wenn Osteuropäer über ihr eigenes Land schreiben, ist das ein spannender Blickwinkel, den Deutsche einfach nicht haben. Man lernt über diese Länder unheimlich viel, denke ich, wenn man gerade Menschen, die diese Länder so gut kennen wie die Einheimischen, die Gelegenheit gibt, über sie zu schreiben."
Die Themenpalette der n-ost-Autoren ist breit gefächert. Besonderes Echo fanden bislang in deutschsprachigen Redaktionen Hintergrundgeschichten zum EU-Beitritt sowie zur orangenen Revolution in der Ukraine, über die n-ost-Korrespondenten von sieben verschiedenen Orten aus berichteten. Franka Kühn:
"Aber durchaus auch kulturelle Themen, wir berichten über jüdische Themen, über Minderheiten, bis hin zu kulinarischen Ereignissen in den jeweiligen Ländern - die Bandbreite ist sehr sehr breit. Und ich glaube, stark ist n-ost besonders dann, wenn wir jenseits der Tagespolitik, jenseits des normalen politischen Geschäfts berichten können."
Abnehmer von n-ost-Artikeln sind in erster Linie Regionalzeitungen, die keine eigenen Korrespondenten in den jeweiligen Ländern haben. Aber auch bei überregionalen Zeitungen und Medien mit eigenen Leuten vor Ort stößt das Korrespondenten-Netzwerk n-Ost zunehmend auf Interesse. Dagmar Heuberger von der Aargauer Zeitung in der Schweiz:
"Wir verfügen über feste Korrespondenten in fast allen Ländern der Welt, aber es gibt immer wieder Lücken, wo wir sehr gerne auf die Texte von n-ost zurückgreifen. Z.B. bei den Wahlen in Rumänien, da war unser Korrespondent nicht greifbar, und in solchen Fällen nehmen wir auch gerne Artikel von n-ost."
Trotz starker Sparzwänge und sinkendem Anteil an Auslandsberichterstattung scheinen eigene Korrespondentenberichte zunehmend wichtig auch für deutsche Redaktionen zu sein. Sergej Lochthofen, Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, einer der stärksten Regionalzeitungen Deutschlands:
"Die Masse der deutschen Zeitungen ist zu langweilig. Und ich würde mal meinen, es gibt nicht ganz so viele Leute, die wirklich spannend gute Geschichten aus dem Alltag schreiben können. Trotzdem bin ich tief davon überzeugt, wird der Druck in diese Richtung gehen, die Geschichten werden gesucht werden. Weil man sich damit von dem unterscheidet, was alle anderen Redaktionen machen. Also, ich glaube, die Redaktionen suchen das zunehmend."
n-ost versteht sich nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zur Berichterstattung fester Korrespondenten von überregionalen Zeitungen. Genau darin besteht auch die Stärke des Netzwerks, meint Maja Pflüger von der Robert Bosch Stiftung, die n-ost noch bis kommenden Sommer finanziell fördert:
"In Zeiten, wo die Medien in einer Krise stecken, ist es keine Selbstverständlichkeit, dass man Interesse hat, mit Kollegen gut zusammen zu arbeiten und sich gemeinsam für eine Sache einzusetzen."
Für die Zukunft plant das Korrespondentennetzwerk n-ost eine Weitervernetzung mit anderen journalistischen Initiativen auf der gemeinsamen Plattform Journalisten-Ost-West und eine weitere Professionalisierung, damit künftig das zeitaufwändige Redigieren der Artikel durch das Berliner Büro auf ein Minimum begrenzt werden kann. Darüber hinaus ist daran gedacht, interessierten Redaktionen künftig auch Radiobeiträge aus Mittel- und Osteuropa anzubieten.