In Prag kommt es zu einer Serie mysteriöser und grausamer Mordanschläge. Das ist der Ausgangspunkt für den Roman „Die Rache der Baumeister“. Der Kriminal- beziehungsweise Schauerroman wurde 1999 von Miloš Urban geschrieben.
„Es sei für ihn sein erstes großes Buch, sein erster wahrer Versuch, einen Roman zu schreiben“, sagt der heute 53-jährige Schriftsteller Miloš Urban zu seinem Roman aus dem Jahr 1999. Urban ist einer der erfolgreichsten Autoren der tschechischen Gegenwartsliteratur, zudem übersetzt er und lektoriert für einen Verlag. Mittlerweile gehen etwa 15 Romane sowie Erzählungen und Theaterstücke auf Urbans Konto.
Noch vor „Die Rache der Baumeister“ machte der Autor 1998 mit einem schmalen Büchlein auf sich aufmerksam. In diesem setzte er sich mit einem der großen Themen der tschechischen Literaturgeschichte auseinander: dem Streit um die Echtheit jener Handschriften, die im 19. Jahrhundert als mittelalterliche tschechische Literaturdenkmäler herausgegeben wurden:
„Mein Erstlingswerk mit dem ironischen Namen ‚Ein letzter Punkt hinter den Handschriften‘ war der Versuch, ein fiktives Buch zu schreiben, das aber wie Non-Fiction-Literatur wirkte. Es war ziemlich erfolgreich. Trotzdem befiel mich danach die Sehnsucht, eine große Romangeschichte zu verfassen, die mich amüsieren und in der ich für mehrere Jahre versinken würde.“
Soweit Urban in einem Gespräch für Radio Prag International. „Die Rache der Baumeister“ habe für ihn zudem eine Versöhnung mit Prag bedeutet, sagt der Schriftsteller.
„Mit der Stadt hatte ich seit meinen Studienjahren große Probleme. Als Student hatte ich kein Geld, wie das oft bei Studenten der Fall ist. Das heißt, ich konnte Prag nicht wirklich genießen. Entweder saß ich in der Uni, oder ich war im Studentenwohnheim, wo ich immer nur gebüffelt habe, um nicht vom Studium ausgeschlossen zu werden. Durch das Buch aber habe ich mir die Stadt angeeignet.“
Versöhnung mit Prag
Der Hauptheld sage sehr viel von über ihn selbst aus, sagt der Autor. Miloš Urban lebte bis zum Abitur in Karlovy Vary / Karlsbad und ging in den 1980er Jahren an die Prager Karlsuniversität, um Sprachen zu studieren:
„Ich hatte Angst vor Prag und hatte das Gefühl, dass mich die Stadt nie aufgenommen hat. Erst als ich 1989 zum Studium nach Norwegen fuhr, weil ich neben Englisch auch Norwegisch studierte, wurde ich dort von Freunden gefragt, ob ich aus Prag komme. Damals wurde mir klar, dass ich kein Karlsbader mehr bin, sondern ein Prager. Aber mein Held muss sich mit Prag auseinandersetzen. Er braucht andere Menschen, damit sie die unglaubliche Schönheit der Stadt für ihn entdecken. Und das auch an jenen Orten, die für Touristen etwa nicht so interessant sind.“
In der Hauptfigur stecke immer zur Hälfte der Autor selbst, und zur Hälfte sei sie ein Werk der Fantasie, findet Urban:
„Denn es macht mir keinen Spaß, nur von mir selbst zu schreiben. Manche Autoren schaffen das. Sie können ihre Erfahrungen beziehungsweise andere Menschen authentisch darstellen. Ich bin kein solcher Fall. Ich brauche die Fantasie. Die Suche nach einer Verwicklung und ihrer Auflösung – das ist für mich einfach Unterhaltung. Wäre das Schreiben für mich keine Unterhaltung, könnte ich es nicht machen.“
An Fantasie fehlt es nicht im Roman. Sein Handlungsort ist Prag, vor allem die sogenannte Obere Prager Neustadt. Das ist das Stadtviertel zwischen dem Karlsplatz und der Brücke von Nusle, das Kaiser Karl IV. anlegen ließ. Sieben mittelalterliche Kirchen, die heute zum Teil nicht mehr stehen beziehungsweise umgebaut wurden, bilden den Schauplatz des Romans. Das Buch, das deutschen Lesern als „Die Rache der Baumeister“ bekannt ist, heißt im Original Sedmikostelí, also Siebenkirchen. Der Autor führt in die Handlung ein:
„In Prag lebt ein Mann namens Květoslav Švach. Die Anspielung an das deutsche Wort schwach ist offensichtlich. Er ist ein zögerlicher Mensch, der vom Land nach Prag gekommen ist und sich dort nicht wohl fühlt. Aus Mangel an anderen Gelegenheiten und Ideen wird er Polizist. Sein Beruf gefällt ihm aber nicht, und er gibt ihn auf. Květoslav Švach lässt sich in der Folge durchs Leben treiben und stößt auf Menschen, die er sehr attraktiv und sexy findet und seiner Ansicht nach wunderbare Ideen haben. Er verfällt völlig diesen Menschen.“
Auf der Spur mysteriöser Mordanschläge
Der gescheiterte Geschichtsstudent und ehemalige Polizist Květoslav Švach wird dann mit der Aufklärung mysteriöser Mordanschläge betraut. Ein Mann schaukelt, an einem Fuß aufgehängt, im Glockenturm der Apollinaris-Kirche. An der Autobahnbrücke von Nusle wird eine Frau erdrosselt aufgefunden. Ein anderes Opfer steckt bis zum Kopf im Asphalt. Nach und nach zeigt sich, dass alle Morde zwei gemeinsame Nenner haben: die moderne Architektur und die Rache. Und zu allen Anschlägen kommt es in unmittelbarer Nähe gotischer Bauwerke der Prager Neustadt.
„Dieses Stadtviertel fand ich früher sehr magisch, und es war mir anfangs auch unbekannt. Als ich zum ersten Mal dort war und die Apollinaris-, Katharina- und Karlskirche sah, hat mir das einen Schlag versetzt. Manchmal muss ich nach der Romangeschichte suchen, aber diese ist auf mich eingestürzt: Ich ging durch die Straßen und sah die Geschichte wie in einem Film. Ich wusste sofort, was in dem Buch stehen wird.“
Eine rätselhafte Bruderschaft will Květoslav Švach zum Instrument für die Umsetzung ihrer Ziele nutzen. Eine Schlüsselfigur ist dabei der geheimnisvolle Mäzen Gmünd aus Lübeck, er will einigen Kirchen Prags ihr ursprüngliches gotisches Aussehen zurückgeben. Die Faszination für die Gotik und die Verachtung des Barock sowie des 20. Jahrhunderts und dessen Architektur zieht sich durch die ganze Handlung. Das Buch trägt daher auch den Untertitel „gotischer Roman“, im Deutschen würde man eher vom Schauerroman sprechen.
„Der gotische Roman ist ein literarisches Genre. Es handelt sich um eine Anspielung auf die englischen ‚Gothic Novels‘ vom Ende des 18. Jahrhunderts und Anfang des 19. Jahrhunderts. Laut manchen Literaturhistorikern waren dies die ersten modernen Romane überhaupt. Ich habe diese Bücher während meiner Studienzeit sehr gerne gelesen und sah darin ein Vorbild. Der Schauerroman war zu seiner Zeit etwas ganz Neues. Er folgte auf die Aufklärung und war eine Reaktion auf sie. In ihm drückte sich die Sehnsucht nach dem Dunkel aus, die Rückkehr zur Dunkelheit. Und genau das habe ich gefühlt. Deswegen werden im Buch auch bestimmte Sachen und Motive nicht aufgeklärt. Schließlich bietet auch das Leben viele Sachen, die nicht erklärt werden können.“
Ideal Gotik
Die Gothic Novels der englischen Literatur waren aber nicht das einzige Vorbild für Miloš Urban:
„Ich habe als Kind kaum Kinderbücher gelesen, sondern schon sehr früh Krimi- und Horror-Geschichten. Das war meine Inspirationsquelle. Diese Geschichten hängen mit den gotischen beziehungsweise schwarzen Romanen einfach zusammen. Und eine weitere große Inspirationsquelle war Umberto Eco und sein ‚Name der Rose‘. Ohne dieses Buch hätte es meines nicht gegeben.“
Miloš Urban hat in den letzten zwanzig Jahren etwa 15 Romane geschrieben. In deutscher Sprache erschienen sind neben der „Rache der Baumeister“ noch „Mord in der Josefstadt“ und „Im Dunkel der Kathedrale“. „Die Rache der Baumeister“ ist das am häufigsten übersetzte Buch von ihm. Doch nicht überall hat es dem Autor einen Erfolg gebracht:
„Am erfolgreichsten war das Buch in Spanien und in den spanischsprachigen Ländern Lateinamerikas. Ich bekomme bis heute ab und zu einen Brief von dort, in dem man mir dazu gratuliert. Darüber freue ich mich sehr. Aber noch niemand hat die Frage beantworten können, warum dieses Buch gerade dort so beliebt ist. Ich habe dort auch andere Bücher veröffentlicht. Ein kleiner Verlag ist meinetwegen sogar Pleite gegangen. Er setzte auf mich und hoffte auf den Erfolg meiner Bücher, der blieb aber aus. Ich habe dafür keine Erklärung.“
Keine Erklärung bietet der Autor auch für das Ende seines Schauerromans aus Prag. Er gibt keine klare Antwort im Streit zwischen der Gotik und der Moderne und lässt den Leser ratlos zurück:
„Das Buch endet gewissermaßen dystopisch. Dieses Ende habe ich nicht geplant. Meine erste Frau las damals die Handschrift und sagte, es fehle etwas am Ende und ob ich das nicht noch hinzuschreiben wolle. Ich war etwas empört und habe mir gesagt: Jetzt zeige ich dir ein Ende. Heute glaube ich, dass dies richtig war. Das Ende hat das Buch sehr enthoben. Hinter die Handlung wurde somit ein antiideologisches Fragezeichen gesetzt.“