Filigrane Schönheit, aus Stroh geflochten
František Zuska ist geschickt mit seinen Händen. Er hat eine Unmenge von Sternen, Glöckchen, Kugeln, Zapfen, Engeln sowie anderen Weihnachtsbaumdekorationen gebastelt, und alles aus Stroh. Denn vor über 40 Jahren hat sich der Mann aus dem mährischen Zlín der filigranen Kunst des Strohflechtens verschrieben. Mit der Zeit ist Zuska ein Meister seines Faches geworden. JIm Folgenden ein kleines Porträt des vitalen 88-Jährigen.
Das Faible für das Volkstümliche entstand bei František Zuska wohl schon in der Kindheit. Denn er stammt aus Kobylí, einer Gemeinde in der Mährischen Slowakei mit ihren ganz besonderen Bräuchen. 1932 wurde er als viertes von sieben Kindern in die Familie eines Kleinbauern geboren, und in diesen gesellschaftlichen Schichten wurden die Traditionen damals immer noch intensiv gepflegt. Als Jugendlicher wollte er aber seinen Eltern nicht länger zur Last fallen.
„Mit 15 ging ich nach Zlín und wollte Maschinentechniker beim Schuhhersteller Baťa werden. Alle Lehrstellen waren aber besetzt, und so machte ich eine Lehre als Maurer. Danach ging ich aber an die Fachmittelschule für Bauwesen und legte dort mein Abitur ab. Firmeninhaber Baťa war sehr daran gelegen, dass die jungen Menschen in seiner Fabrik unterschiedliche Sport- und Freizeitaktivitäten betreiben. Ich war als 17-jähriger Lehrling bereits begeistert gewesen von der Folklore und wurde Mitglied im Volkskunstensemble ‚Slovácký krúžek‘. Als 1948 das kommunistische Regime die Macht übernahm, stellte es die Freizeitbetätigungen von Jugendlichen unter ideologische Aufsicht. Trotz der staatlichen Vorgaben konnte unser Ensemble aber weiter traditionelle Folklore aus der Mährischen Slowakei aufführen. Ich würde sagen, dass wir auf diese Weise der politischen Gewalt ausweichen konnten“, so František Zuska.
Seinem Hobby widmete sich Zuska längere Zeit als Spitzentänzer und Sänger des Volkskunstensembles. Dies geschah neben seiner beruflichen Tätigkeit. Beschäftigt war er bei einer Firma für Wasserleitungsprojekte und Kläranlagen. 24 Jahre lang engagierte er sich ebenfalls nebenberuflich als Programmleiter eines Kinderensembles. Seine Ehefrau tanzte und spielte in einer Blasmusikkapelle. Diese trat im damaligen Karl-Marx-Stadt auf, worauf die befreundete Kapelle aus der DDR auch nach Zlín zu Besuch kam. So lernten die Zuskas ein deutsches Ehepaar kennen, mit dem sie später unter anderem in einen gemeinsamen Urlaub reisten. Und selbst heute, nach 50 Jahren, stehen sie immer noch über Briefe im Kontakt.
Naturtalent und Autodidakt
Als Mitvierziger wurde František Zuska unerwartet auf seine heutige Leidenschaft gestoßen. Er selbst spricht von „einem schicksalhaften Erlebnis“. Im Urlaub mit befreundeten Familien brachte ihm eines der Kinder das Strohflechten bei. Bis dahin hatte er seinen eigenen Worten nach nichts davon gewusst. Nach kurzer Übungszeit zeigte sich, dass Zuska ein Naturtalent war in diesem vom Aussterben bedrohten Handwerk, für das es Fingerspitzengefühl braucht. Und so begann der Autodidakt, mit großer Hingabe eigene Weihnachtsbaumdekorationen zu basteln:
„Es handelt sich um sehr filigrane Handarbeit. Sie erfordert aber nicht nur geschickte Hände, sondern auch entsprechende Kenntnisse des verwendeten Materials. Zum Beispiel ist es wichtig zu wissen, auf welchem Feld das richtige Getreide angebaut wird. In den Niederungen reift es nicht so gut wie am Hang. Sinnvoll sind auch Kenntnisse von der Qualität der Böden sowie von Düngemitteln. Ebenso von Nutzen war für mich mein berufliches Wissen, also das technische Denken. Denn ich habe zunächst immer eine genaue Zeichnung angefertigt von jedem neuen Flechtwerk, das entstehen sollte.“
Entscheidend war auch, frische Strohhalme beziehungsweise Ähren zu sammeln. Dem Mähdrescher auf dem Feld hinterherzulaufen, kam für Zuska allerdings nicht in Frage:
„Ich habe früher eigenhändig die Ähren auf dem Feld vorsichtig mit einer Sichel abgeschnitten, damit die Halme möglichst nicht zu Bruch gingen. Andernfalls waren sie für mich nicht verwendbar. Nachfolgend schneidet man die Halme auf eine bestimmte Länge, trennt dünne und dickere voneinander, bleicht und trocknet sie. Kurz vor dem Flechten lege ich die aussortierten Halme für drei bis vier Stunden in lauwarmes Wasser, damit sie weicher werden. Allerdings nicht zu sehr.“
Er bevorzuge Roggenstroh, sagt Zuska. Doch für bestimmte Zwecke komme auch eine andere Sorte zur Geltung. Zum Beispiel das grünliche Haferstroh. Kombiniert man Roggen- und Haferhalme, wird das Endprodukt zweifarbig. Mit den Jahren haben Zuskas Hände eine enorme Bandbreite an Produkten in unterschiedlichen Größen und Formen geschaffen.
Weihnachtskrippe mit 60 Figuren
Ein Freund, der im Zlíner Museum Südostmährens arbeitete, schlug einmal Zuska vor, auch eine Weihnachtskrippe aus Stroh zu flechten. Das sei für ihn eine große Herausforderung gewesen, gesteht der Volkskünstler:
„Ich hatte bis dahin noch keine solche Krippe gesehen und zerbrach mir deswegen den Kopf darüber. In der Folgezeit habe ich aber viele Dutzend Weihnachtskrippen aus Stroh hergestellt. Natürlich jeweils mit der Heiligen Familie vor dem Hintergrund der biblischen Geschichte. Meine größte Krippe hat rund 60 Figuren, und einige bringen dem Christkind ihre Gaben. Darunter sind auch Fleisch und runde Blutwürstchen in Schüsseln. Und an einem Haken hängt ein Schwein. Ich wollte nämlich auch die hierzulande traditionellen Hausschlachtungen in Szene setzen. Mit dabei sind zudem ein Fleischer, ein Mann mit einer Sense, eine Frau mit einer Harke, ein Ochse und ein Esel, mehrere Schäfchen sowie weitere Figuren, die typisch sind für das dörfliche Leben aus meiner Kindheit.“
Dieses Krippen-Highlight von Zuska hat eine Bodenfläche von 90 Zentimetern Länge und 80 Zentimetern Breite. Da die Arbeiten des Strohflechters oft und an vielen Orten auch auf Ausstellungen gezeigt werden, hat er dieses Werk an die Breite seiner Türen anpassen müssen. Andernfalls hätte die große Krippe nicht hindurchgepasst.
Das Strohflechten war für ihn immer schon mehr als bloßer Zeitvertreib. František Zuska hat diese Fingerfertigkeit viele Jahre lang auch anderen Menschen beigebracht. Dadurch wuchs eine Fangemeinde heran.
„Ich habe vor allem Kurse für Jugendliche veranstaltet. Darunter auch in Organisationen, die Behinderte beschäftigen. Sie wie auch ihre Arbeitgeber waren oft überrascht, welch schöne Strohdekorationen durch ihre Hände entstehen können. Meine Lektionen fanden einmal pro Woche für ungefähr 15 Teilnehmer statt, und das in der Regel sechs Wochen lang. Der Unterricht erfolgte nicht hier in Zlín, sondern in unterschiedlichen Gemeinden unserer Region. Die Bürgermeister stellten jeweils einen Raum als Treffpunkt zur Verfügung, und ich habe das Stroh besorgt. In einer Saison, in der auch zwei Kurse parallel stattfanden, haben wir für das Strohflechten bis zu zehn Garben gebraucht“, sagt Zuska.
Jede Lektion dauerte fünf Stunden – und das aus guten Gründen:
„Erst wenn ein Körbchen, Glöckchen oder etwas anderes fertig war, konnte jeder Teilnehmer das Ergebnis seiner Arbeit sehen. Ich bin ein strenger Lehrer, kann aber alles mit Geduld erklären, um das Vorgehen verständlich zu machen. Schon nach zwei Lektionen konnten alle selbständig arbeiten. Ich muss sagen, dass die Kurse gut angekommen sind. Es hat mich immer gefreut, wenn mir ehemalige Kursteilnehmer später bei einem Treffen erzählt haben, dass sie gerne ihre Angehörigen und ihre Freunde mit eigenen Kreationen beschenken.“
Wertvolle Museumsstücke
Zuskas Artefakte haben inzwischen auch einen festen Platz in den ethnografischen Sammlungen des Museums Südostmährens in Zlín und im Mährischen Landesmuseum in Brno / Brünn. Sein Schaffen wurde auch mit Preisen bedacht. Zu den höchsten Auszeichnungen gehört eine des tschechischen Kulturministers von 2012, damals wurde er für die Bewahrung traditionellen Handwerks geehrt.
Der eingefleischte Südmährer František Zuska hält sich für einen glücklichen Menschen. Davon zeugen auch seine abschließenden Worte:
„Ich habe bis hierher ein schönes Leben gehabt und war immer von tollen Menschen umgeben. Zusammen waren wir eine super Truppe. Wenn ich noch einmal geboren werden sollte, möchte ich außer dem Kommunismus dasselbe Leben wieder leben – in der wunderbaren Verbindung mit unserer Folklore.“