Kinder in Corona-Zeiten: Experten warnen vor Folgen sozialer Isolation
Kinder und Jugendliche in Tschechien gehen im Prinzip schon seit einem Jahr nicht zur Schule. Experten warnen, dass die Einschränkungen der sozialen Kontakte sich negativ auf die Kommunikationsfähigkeiten der Kinder auswirken können.
Der fünfjährige Honza leidet an einer Sprachentwicklungsstörung. Er hat Schwierigkeiten bei der Bildung von Lauten und Sätzen. Aber auch die eigene Sprachwahrnehmung ist betroffen. Das Problem sei zuerst im Kindergarten aufgetreten. Honza habe einen Wunsch geäußert, aber niemand habe ihn verstanden, sagt seine Mutter. Sie wandten sich daher an eine Sprachtherapeutin.
Doch eben die logopädische Behandlung sei in Corona-Zeiten viel komplizierter geworden, sagt die Vorsitzende der tschechischen Logopädie-Gesellschaft, Irena Cudlínová:
„Es geht um die Bildung der Laute. Durch den Mundschutz sieht man nicht, was mit dem Mund geschieht. Wir müssen deshalb mehr erklären. Manche Logopäden tragen ein Gesichtsschild, durch das man alles gut sehen kann. Wir können die Kinder aber nicht berühren und ihre Sprachorgane korrigieren.“
Die Kinder haben zudem den natürlichen Übungsraum verloren, den ihnen das Schulkollektiv bietet. Die Logopädin Kateřina Denemarková betrachtet dies als großes Problem:
„Es fehlt ihnen der natürliche Kontakt mit Altersgenossen und Lehrern. Für die Kinder, deren Kommunikationsfähigkeiten gestört sind, ist das Sprachvorbild von großer Bedeutung. Und zwar nicht das Vorbild, das durch die Medien vermittelt wird. Sondern das direkte Beispiel, wobei man das Kind korrigieren und seine Sprachfähigkeit weiterentwickeln kann.“
Der eingeschränkte Kontakt mit Altersgenossen beeinträchtigt auch den psychischen Zustand der Kinder und Jugendlichen. Das bestätigt der Jugendpsychologe Oldřich Ďurech:
„Die Kinder und Jugendlichen berichten, dass ihnen die sozialen Kontakte fehlen. Manchmal sprechen sie darüber, dass ihr Selbstvertrauen abnimmt, dass sie häufiger beklemmt sind. Diese Gefühle im Kontakt mit anderen Menschen werden manchmal auch von physischen Symptomen wie Schwitzen, Erröten oder Herzpochen begleitet.“
Im Kollektiv eignet man sich zudem normalerweise soziale Fähigkeiten an – wie man Konflikte löst, wie man verhandelt, wie man zusammenarbeitet. In dieser Hinsicht sei die Altersgruppe der Jugendlichen am stärksten gefährdet, meint Ďurech:
„Sie brauchen die Altersgenossen, um ihre eigene Identität aufzubauen, um ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Jetzt fühlen sie sich oft einsam. verlieren die Möglichkeit, sich mit einer Gruppe zu identifizieren und ihre Lebenswerte, Vorbilder und Meinungen zu definieren. Sollte dies eine Schramme in ihrer Seele hinterlassen, dann bleibt diese sehr lange bestehen.“
Die Psychologen verzeichnen derzeit eine steigende Nachfrage nach persönlichen Gesprächen und Therapien:
„Die Patienten beklagen sich oft über die aktuelle Lage, wie steigende Spannungen in der Familie und viel häufigere Konflikte, vor denen man nicht flüchten kann. Ältere Kinder verfallen laut Berichten ihrer Eltern in Depression, sie verlieren das Interesse am Geschehen und kapseln sich von der Welt ab.“
Ďurech mahnt, sich im Falle eines Verdachts an einen Experten zu wenden. Auf einen Termin beim Psychologen wie beim Logopäden wartet man aber derzeit drei bis sechs Monate.