24) Das preisgekrönte Debüt der Schriftstellerin Petra Hůlová
Sie gehört in der tschechischen Literaturszene bereits zu den Etablierten, obwohl sie auch noch zu den jüngeren Schriftstellern gezählt werden kann. Die Rede ist von Petra Hůlová. Gleich mit ihrem Romandebüt sorgte sie für Furore. Auf Tschechisch heißt es „Paměť mojí babičce“, der Titel der deutschen Übersetzung lautet „Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe“.
„Wenn bei uns daheim Schoroo ist, fliegen rund ums Ger Plastiktüten durch die Luft. Manchmal setze ich mich dann raus und sehe zu, wie in den Windhosen der Sand kreist, der Horizont sich goldbraun verfärbt und die Sonne durch den aufgewirbelten gelben Staub matt und zittrig wirkt.“
Die mongolische Steppe – das ist der Schauplatz des Romans. Die Geschichte wird erzählt aus der Perspektive von fünf Frauen einer Familie aus dieser Gegend. Beim Lesen ist nicht immer klar, wer von ihnen gerade erzählt. In dem Roman taucht man ein in die wilde Welt der Nomaden, die in der trockenen mongolischen Steppe leben, lernt jedoch auch die dunklen Ecken der Hauptstadt Ulaanbaatar (Ulan Bator) kennen. Petra Hůlová war erst 22 Jahre alt, als sie 2002 ihr Romandebüt vorlegte. Gegenüber Radio Prag International sagt sie im Interview:
„Das Buch entstand als große Improvisation nach meinem Aufenthalt als Studentin in der Mongolei. Ich warf mich mit der Energie, die ich von dort mitnahm, in die erzählerische Stimme einer mongolischen Frau vom Lande, deren Umfeld ich kennenlernen durfte. Ich habe Mongolistik studiert. Die Erzählung der ersten Frau über ihr Leben nimmt etwa die Hälfte des Buches ein.“
Nachdem Hůlová diese erste Frauenstimme zu Papier gebracht hatte – es ist die der Protagonistin Dzaja –, merkte sie, dass sich noch so vieles Weiteres erzählen ließe. Also schrieb sie weiter, aber aus einer anderen Perspektive…
„Ich bin sozusagen in die Haut der Mutter meiner Protagonistin geschlüpft und habe Dinge über ihre Familie erzählt. Letztlich wurden es fünf Erzählungen, obwohl ich das eigentlich gar nicht so geplant hatte. Aber Debütromane sind typisch dafür, dass sie spontan und intuitiv entstehen“, so Hůlová.
Stimmen dreier Generationen
Im Roman sind die Stimmen von drei Generationen zu hören. Jede von ihnen erzählt eine eigene Version der Familiengeschichte. Die Frauen kämpfen mit einem vor- und fremdbestimmten Leben – und versuchen es zu meistern, so gut es eben geht.
Der Roman überzeugt durch seine lebendige Sprache. „Paměť mojí babičce“ steckt voller Metaphern. Zudem tauchen jede Menge mongolische Ausdrücke auf, deren Bedeutung sich der Leser selbst erschließen muss. Petra Hůlová sagt, dass sich nicht nur der Verlag in Tschechien, sondern auch jene im Ausland immer wieder daran gestoßen hätten. Deswegen sei ihr eine kleine mongolische Wortkunde vorgeschlagen worden…
„Ich bin aber immer dagegen gewesen. Denn ich hatte das Gefühl, darauf geachtet zu haben, dass sich die Bedeutung der Wörter später oder unmittelbar aus dem Kontext heraus erklärt. Wenn der Text durch das Mongolische an manchen Stellen nicht so zugänglich ist, gehört das dazu und spiegelt die Andersartigkeit, die nicht so leicht dechiffriert werden kann. Ich glaube aber, dass in einigen der Sprachen, in die das Buch übersetzt wurde, entgegen meinem Wunsch die mongolischen Wörter erklärt sind. Ursprünglich habe ich noch mehr mongolische Ausdrücke und Wörter verwendet. Das ergab sich einfach so im Schreibprozess, weil mein Kopf damals mit mongolischer Sprache vollgestopft war. Dann aber wurde auf Veranlassung der Verlagslektorin Eva Lorencová das Meiste wieder herausgestrichen“, sagt die Schriftstellerin.
Die Sprache des Buches ist ohnehin ein Kapitel für sich. Denn die Autorin hat ihren Erstling in einem sehr umgangssprachlichen Tschechisch verfasst:
„Es ist die Sprache, in der ich gut und natürlich schreiben konnte. Ohnehin spreche ich nicht hochsprachlich. Mittlerweile verfasse ich meine Bücher aber in geschriebener Sprache, mir scheint das jetzt mehr Spaß zu machen. Damals aber hatte ich das Gefühl, dass die Hochsprache nicht zu mir passt. Ich brauchte ein gutes Gefühl, und das konnte mir nur die Umgangssprache geben.“
Vor ihrem Erstlingswerk studierte die Schriftstellerin ein Jahr lang an der Universität von Ulaanbaatar. Sie lernte dabei Land und Leute kennen. Aber wie viel ist von den realen Personen, die ihr damals begegnet sind, in die Protagonistinnen eingeflossen?
„Ganz klar ist alles aus den Erfahrungen dort entstanden. Hätte ich nicht ein Jahr lang in der Mongolei gelebt, wäre es nicht zu dem Buch gekommen. Auf der anderen Seite handelt es sich jeweils eher um eine Kombination mehrerer Menschen, die ich getroffen habe, als dass ich eine konkrete Familie dargestellt hätte. Zur Patchwork- Familie mit jeder Menge Stiefgeschwistern hat mich am ehesten meine eigene Familie inspiriert. Für die Figuren des Buches habe ich mehrere Vorbilder aus der Gegend miteinander verbunden. Zudem muss die Umgebung, in der die Handlung spielt, absolut stimmen. Die Atmosphäre ist dann wiederum meine Interpretation der Mongolei“, erläutert Hůlová.
Entdeckung des Jahres 2002
Als „Paměť mojí babičce“ oder „Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe“ 2002 herauskam, waren Leser und Kritiker gleichermaßen begeistert. In einer Umfrage der Tageszeitung „Lidové noviny“ wurde es zum „Buch des Jahres 2002“ gewählt. Außerdem erhielt Petra Hůlová dafür den Magnesia-Litera-Preis in der Kategorie „Entdeckung des Jahres“. Das Werk wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Außer auf Deutsch erschien es auch auf Englisch, Polnisch, Italienisch, Niederländisch, Schwedisch und Französisch. Seitdem hat die studierte Kulturwissenschaftlerin noch mehrere weitere Romane veröffentlicht. Welchen von dieser sie aber den Lesern besonders empfehlen würde, fällt Petra Hůlová schwer zu sagen…
„Selten nur kann ich etwas anderes empfehlen, als das, was ich zuletzt geschrieben habe. Derzeit ist es das Buch ‚Zlodějka mého táty‘. Es ist die Erzählung eines Jungen aus einer Trennungsfamilie, der seine Stiefmutter nicht leiden kann. Danach verweise ich auf das Buch davor, das ‚Stručné dějiny hnutí‘ heißt. Vereinfacht gesagt handelt es sich um eine feministische Dystopie. Interessant daran ist, dass es sehr pro-feministisch und auf eine Art auch sehr kritisch gegenüber dem Feminismus ist. Deswegen wird kaum jemand damit übereinstimmen, aber das war ohnehin mein Ziel.“
Hůlovás jüngster Roman „Zlodějka mýho táty“ ist im Übrigen 2019 erschienen. Er ist noch nicht auf Deutsch erhältlich. Ansonsten sind aber die meisten Bücher der Schriftstellerin bereits übersetzt. Und zwar „Durch Milchglas“, „Manches wird geschehen“, „Dreizimmerwohnung aus Plastik“, „Endstation Taiga“ sowie als bisher letztes Werk „Wächter des Bürgerwohls“.