Urgroßenkel Georg Krauchenberg: „Palacký war eine Persönlichkeit mit Visionen“
Der Historiker und Politiker František Palacký (1798-1876) wurde hierzulande schon zu seinen Lebzeiten „Vater der Nation“ genannt. Seinen Namen trägt zum Beispiel die Universität in Olomouc / Olmütz, aber auch viele Plätze und Straßen wurden in Tschechien nach ihm benannt. Georg Krauchenberg ist ein direkter Nachkomme des namhaften Historikers. Er lebt in Wien und ist Vorstandsmitglied im Institut für Donauraum und Mitteleuropa. Martina Schneibergová traf Georg Krauchenberg im März in Brünn, wo er am Symposium „Dialog in der Mitte Europas“ teilnahm. Dort entstand das folgende Interview mit dem Urgroßenkel von Palacký.
Herr Krauchenberg, Sie sind ein Nachkomme von František Palacký. Inwieweit ist es Ihrer Familie bewusst, wer ihr Vorfahre war?
„Es ist immer bewusst gewesen. Leider wollte mein Vater nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr in die damalige Tschechoslowakei reisen, und darum habe ich leider nicht Tschechisch gelernt. Als Nachkomme von Palacký nicht Tschechisch zu können, ist ein großes Manko. František Palackýs Sohn, Jan Palacký (1830-1908), war Geograf und Professor an der Prager Karlsuniversität. Er hatte drei Töchter, eine davon – Ada Palacká – war meine Großmutter. Die Mutter meines Vaters war also eine Palacký. Ich und mein Bruder – wir sind unseres Wissens die einzigen direkten Nachkommen von František Palacký.“
Lebte die Großmutter in Österreich?
„Ja, die Großmutter hat in Österreich gelebt, zuletzt in Melk. Sie ist 1944 verstorben, ich habe sie nicht mehr kennengelernt. Mein Vater hat ein zweites Mal geheiratet, die erste Frau ist in der Zwischenkriegszeit gestorben. Er hat nach dem Krieg nochmals geheiratet, darum dieser große Generationensprung. Denn mein Vater wurde 1894 geboren. Er ist 1986 – leider drei Jahre vor der Wende – verstorben. Ich habe durch den Historiker Jiří Kořalka Kontakte zu unseren Verwandten in Tschechien bekommen. Er ist leider auch schon gestorben. Kořalka gilt als der Palacký-Wissenschaftler schlechthin, er hat einige sehr detaillierte Bücher verfasst und mich mit der Verwandtschaft zusammengebracht. Mit dieser treffen wir uns einmal im Jahr. In Lobkowitz, einem Stadtteil von Neratovice, wird jeden letzten Sonntag im Monat Mai ein Gottesdienst zelebriert. Das alte Schloss in Lobkowitz hat eine Zeit lang František Palacký gehört. Dort befindet sich sein Grab und auch das von Jan Palacký. Das Treffen, das einmal im Jahr stattfindet, wird sehr nett vom Bürgermeister oder der Bürgermeisterin und der dortigen Schule organisiert. Es ist eine Palacký-Schule. Auch die Universität in Olmütz wurde nach Palacký benannt, aber ebenso eine Brücke in Prag. Auf Palacký stößt man immer wieder. Ich bin total stolz, dass diese Verwandtschaft besteht, und bin sehr glücklich, wenn ich die Verwandtschaft treffe.“
Gibt es Dokumente über Ihre Vorfahren, die Sie in Ihrer Familie aufbewahren?
„Ja zum Glück. Ich habe beispielsweise das Heiratsdokument von meinem Großvater und Ada Palacký. Mein Großvater kam aus dem Königreich Hannover. Die Preußen haben Hannover übernommen, weil Hannover auf der Seite von Österreich gewesen war, die k. u. k. Monarchie es aber 1866 verloren hat. So ging mein Großvater nach Österreich, er war General. Das ist eine alte Familie, die schon gegen Napoleon gekämpft hatte. Kennengelernt hat mein Großvater meine Großmutter, als er auf Manöver in der Nähe von Lobkowitz war. Sie wurden damals sehr nett im Schloss aufgenommen.“
Kommen Sie öfter nach Tschechien?
„Ja, mittlerweile immer wieder. Das Brünner Symposium, an dem wir gerade teilnehmen, finde ich eine großartige Sache, vor allem in der heutigen Zeit, da Mitteleuropa oder ganz Europa so bedroht ist. Umso wichtiger ist es, dass man enge Kontakte und den Austauscht hat.“
In Prag gibt es eine Wohnung von Palacký, die als kleines Museum eingerichtet ist. Haben Sie es besucht?
„Ja, es ist ein kleines Museum. Ich finde es sehr nett. Die Wohnung ist im Originalzustand. Das Museum ist nicht immer geöffnet, man muss sich im Voraus anmelden. Es ist empfehlenswert, sich das anzusehen.“
Haben Sie schon die Palacký-Universität besucht?
„Die werde ich in diesem Jahr besuchen. Ich habe immer gedacht, es würde eine spezielle Gelegenheit geben, um Olmütz zu besuchen. Aber in diesem Jahr fahre ich bestimmt hin. Olmütz ist außerdem wunderschön. Ich habe schon viele tschechische Städte kennengelernt.“
Hierzulande ist Palacký durchaus ein Begriff. Ist er heute in Österreich bekannt?
„Ich würde sagen, es ist leider schon etwas limitiert. Er hat auch großartige Aussprüche getätigt, die zeitlos sind. Zum Beispiel hat er gesagt: Wenn es Österreich nicht gäbe, müsste man es erfinden. Das war 1848. Warum hat er das gesagt? Weil Österreich eine Vielvölkergemeinschaft war und er schon damals befürchtet hat, dass entweder die Russen – das zarische Russland – oder das sich konstituierende Deutschland böhmische Länder sozusagen ,inhalieren‘ könnten und dann vereinnahmt würden. Das hat er bei Österreich nicht befürchten müssen. 1867 gab es den Ausgleich mit Ungarn, aber mit Tschechien geschah dies leider nicht. Das ist sicher ein historischer Fehler und Versäumnis. Palacký hat eine unglaubliche Weitsicht gehabt. Seine Werke zu lesen ist es sehr beeindruckend. Es gibt übrigens auch einige österreichische Autoren, die über Palacký geschrieben haben. Er ist jetzt wieder aktueller – aufgrund der Situation wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Er war eine beeindruckende Persönlichkeit mit unglaublichen Visionen.“