„In einigen Sportarten sind wir stark“ – tschechische Ambitionen für Olympia in Paris
Das größte Sportereignis des Jahres steht vor der Tür: die Olympischen Sommerspiele in Paris. Während die tschechischen Fußballer vor kurzem noch leer ausgingen, haben einige der Olympioniken des Landes durchaus Medaillenambitionen. Die mit den größten Chancen wollen wir Ihnen nach und nach vorstellen. Doch wir starten unsere Olympiaserie mit dem tschechischen Delegationsleiter Martin Doktor und seiner Sicht auf die Spiele in der Stadt an der Seine.
Für die meisten Sportfans in Tschechien ist Martin Doktor bis heute vor allem der Doppel-Olympiasieger von 1996. Der Rennkanute gewann bei den Spielen in Atlanta die Konkurrenz im Einer-Canadier über 500 Meter und 1000 Meter. Der Doppelerfolg war unglaublich für das kleine Land, das erstmals als eigenständiger Staat bei Olympia antrat, nachdem die frühere Tschechoslowakei zu Jahresbeginn 1993 aufgelöst worden war. Martin Doktor durfte dann bei den Spielen 2000 in Sydney die Delegation seines Landes als Fahnenträger bei der Eröffnungsfeier anführen.
In der Folge wurde der Kanute zu einem perfekten Beispiel für den Rollenwechsel – raus aus dem verschwitzten Renntrikot und rein in den Funktionärsanzug. Zunächst gab Doktor bis zu Olympia 2012 in London ein Zwischenspiel als Trainer des tschechischen Kanu- und Kajak-Nationalteams. Danach wurde er sportlicher Leiter beim Tschechischen Olympischen Komitee und Delegationsleiter seines Landes bei den Sommer- und Winterspielen. Und in dieser Funktion begleitet er nun auch die insgesamt 113 tschechischen Olympioniken nach Paris zu den Spielen, die am 26. Juli beginnen und bis 11. August andauern werden…
„Meine erste Ambition als Delegationschef ist, dass alle auch sicher wieder zurückkehren und sie in Paris den bestmöglichen Service erhalten. Für alles Weitere müssen die Sportler und ihre Teams selbst sorgen. Ich mache nur ungern Prognosen. Aber natürlich wissen wir, dass wir in bestimmten Sportarten stärker und den Medaillen näher sind als in anderen. Zu unserem Team gehören auch einige Weltmeister. Auf dem Wasser, beim Kanu-Rennsport und Kanu-Slalom, haben wir Eisen im Feuer. Klar ist auch, dass Judo-Olympiasieger Lukáš Krpálek zur Titelverteidigung antritt. Zudem haben wir eine Weltmeisterin im Bogenschießen dabei sowie Weltmeister im Beachvolleyball. Tschechische Olympiafahrer haben auch noch weitere Medaillen bei Welt- und Europameisterschaften geholt. Ich freue mich auf jeden Fall sehr auf die Spiele. Obwohl es nicht leicht wird: Wenn unsere Sportler um die zehn Medaillen mit nach Hause bringen würden, wäre dies absolut hervorragend“, so Martin Doktor.
Marie Horáčková ist die Bogenschützin, die im vergangenen Jahr in Berlin Weltmeisterin wurde und zudem die überhaupt erste WM-Medaille in dieser Sportart für Tschechien holte. Im Beachvolleyball spielt Martin Doktor auf Ondrej Perušič und David Schweiner an, die ebenfalls 2023 relativ unerwartet den Weltmeister-Titel holten.
Während der Delegationschef also lieber nicht zu genaue Vorgaben machen möchte, verpackt er die Ambitionen des Teams in eine Anspielung auf die Besonderheiten der Olympaimedaillen aus Paris:
„Ich hoffe, dass unsere Sportler möglichst viel vom Eiffelturm mitbringen. In den Medaillen ist nämlich ein Original-Stück Eisen, das nach der Restaurierung des Eiffelturms eingelagert worden war. Das finde ich wunderbar. Und je mehr wir von dem Metall haben werden, desto besser.“
Kein Team qualifiziert
Allerdings wird das Land diesmal bei Olympia nur von Einzelkämpfern vertreten sein und von keinem Team, sieht man einmal von den Beachvolleyballern ab. Zuletzt bemühten sich die tschechischen 7er-Rugby-Spielerinnen um die Teilnahme in Paris. Beim Qualifikationsturnier in der zweiten Junihälfte war jedoch im Halbfinale Schluss. Und nur die Siegerinnen aus Großbritannien sicherten sich das Olympiaticket.
Für ein kleines Land wie Tschechien ist es extrem schwer, sich in der weltweiten Konkurrenz bis Olympia durchzukämpfen. Im Gegensatz zu den Weltmeisterschaften sind die Tickets für das größte Sportereignis der Welt sehr rar, das weiß auch Martin Doktor. Und wer dabei sein darf, ist extrem froh…
„Ganz sicher. Die Mannschaftsturniere sorgen im Olympiateam immer für eine besondere Atmosphäre, selbst wenn sie – wie im 7er-Rugby – nur einige wenige Tage lang dauern. Das wäre bei einer Qualifikation der Spielerinnen sicher auch so geworden. Ich habe ja bei den Europaspielen in Krakau im vergangenen Jahr schon unser Frauen- und Männerteam begleiten dürfen. Sie haben dort für eine tolle Atmosphäre gesorgt. Es ist immer schön, wenn die Qualifikation in einem Mannschaftssport klappt. Aber sie ist extrem schwer, was jedoch ebenso im Individualsport gilt“, sagt Doktor.
Nach zwölf Jahren finden die Olympischen Sommerspiele wieder in Europa statt. 2016 war Rio de Janeiro der Gastgeber gewesen und 2021 dann Tokio. Paris ist nun erneut ein Reiseziel, das man aus Tschechien sogar problemlos mit dem Auto ansteuern kann. Deswegen werden auch viele Fans vor Ort erwartet.
Martin Doktor hat in den vergangenen Monaten mehrfach die Wettkampfstätten in Paris und in den weiteren Veranstaltungsorten persönlich in Augenschein genommen. Trotz der momentanen Unruhe rund um Fragen der Sicherheit, erwartet er ein großes Fest des Sportes:
„Ich denke, es ist eine tolle Gelegenheit, um sich die Olympischen Spiele anzuschauen. Sicher ist die gesamte Reise nicht so einfach zu organisieren. Die Eintrittskarten wurden über ein relativ kompliziertes System verkauft, zudem muss man auch eine Unterkunft finden. Ich bin mir aber sicher, dass es sich lohnt, dorthin zu fahren, und dass die Stimmung dort perfekt sein wird. Dabei denke ich nicht nur an die Sportstätten, sondern auch an das Public Viewing – etwa im Tschechischen Haus oder in den Häusern anderer Nationen. Sie sind wie geschaffen dafür, den olympischen Gedanken und die Atmosphäre zu transportieren. Ich kann also nur allen Sportfans raten, nach Paris zu fahren.“
Tschechisches Haus
Die Stadt an der Seine richtet das größte Sportereignis der Welt zum zweiten Mal aus – genau 100 Jahre nach dem ersten Mal. Und man will es mindestens so gut machen, wenn nicht sogar noch besser als London, wo die Spiele 2012 zu einem großen Erfolg wurden. Auch in diesem Punkt erweist sich Martin Doktor als guter Diplomat und äußert keine Zweifel daran, dass sich dieses Ziel erfüllen lasse:
„Die Franzosen sind ein sportliches Volk. Und diese sportliche Rivalität zwischen Frankreich und England halte ich für gesund. Olympia in London war sehr schön. Ich denke aber, dass die Franzosen, so wie sie das überall zeigen und sich das andeutet, dies noch übertreffen wollen. Wenn ihnen das gelingt, werden das hervorragende Spiele. Ich freue mich jedenfalls sehr darauf.“
Und diese Vorfreude will sich Martin Doktor nicht verderben lassen durch die Tatsache, dass letztlich russische und belarussische Sportler an den Spielen teilnehmen können – wenn auch unter neutraler Flagge. Das Tschechische Olympische Komitee hatte sich dagegen ausgesprochen.
Immerhin kann nun auch wieder ein Tschechisches Haus eröffnen. 2021 in Tokio und 2022 in Peking hatte die Corona-Pandemie dies verhindert. In Paris soll jedoch die Öffentlichkeit wieder zusammen mit den Olympioniken des Landes feiern können.
Das Haus wird zum imaginären „Parc des Nations“ gehören, zu dem der Parc de la Villette umfunktioniert wird. Es zieht dort ins Cabaret Sauvage. Und Achtung: Schon zweimal wurde das „Český dům“, so der tschechische Name, bei früheren Spielen als bestes Länderhaus ausgezeichnet.
„Es wird viel zu sehen und zu erleben geben im Tschechischen Haus. Vor allem ist es ein Stück Tschechien in Frankreich. Es ist ein Ort, an dem wir unsere Kultur zeigen können, aber immer in Verbindung mit dem Gastland – schon allein, weil es im Cabaret Sauvage untergebracht ist. Die zirkusartige Kulisse wird das Interessante daran sein. Aber wir stellen dort nicht nur unsere Kultur vor, sondern sind auch ein Stützpunkt für die tschechischen Fans, wenn sie die Sportler treffen wollen. Jeder sollte das einmal miterleben“, fordert Martin Doktor auf.
Das Tschechische Haus wird am Freitagnachmittag (26. Juli) eröffnet, nur wenige Stunden vor der Feier zum Auftakt der Spiele.