„Ein glückliches Leben erwartet mich“: Antonín Mádls Comics aus dem NS-Gefängnis
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden bereits zahlreiche Memoiren publiziert, in denen Zeitzeugen über ihre Inhaftierung in den Lagern und Gefängnissen der Nationalsozialisten berichten. Nur selten handelt es sich dabei allerdings um Bilddokumente. Der Fall des tschechischen Widerstandskämpfers Antonín Mádl, der 1940 von der Gestapo verhaftet wurde, kann als einmalig gelten. Denn seine Erlebnisse in den Nazi-Gefängnissen hielt er in Form von Comics auf Taschentüchern fest, die anschließend nach draußen geschmuggelt wurden.
Es sind eindrückliche Bilder in Form von Comics, mit denen Antonín Mádl den Gefängnisalltag in der NS-Zeit darstellt. In diesen liegt er etwa einmal auf der Pritsche und wird von den grinsenden Wärtern ausgepeitscht. In den anderen Episoden beschreibt er das Hungern, die Einsamkeit und sein Verhältnis zu den Aufsehern, das mal mehr, mal weniger gut ist.
Magda Veselská forscht am Institut für das Studium totalitärer Regime (ÚSTR) in Prag und ist der Geschichte von Antonín Mádl auf den Grund gegangen. Wer war dieser Mann, der das Leben hinter Gittern als NS-Widerstandskämpfer dokumentiert hat wie vielleicht kein Zweiter?
Antonín Mádl wurde 1897 in Prag geboren. Zunächst machte er eine Ausbildung zum Schriftsetzer. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er als Soldat.
„Nach der Rückkehr begann er eine Anstellung als Setzer im Verlag Melantrich. Er arbeitete sich schnell nach oben und wurde schließlich 1930 der Direktor der Druckerei. Außerdem engagierte er sich gesellschaftlich, und zwar in der Pfadfinder-Bewegung, die damals noch ganz neu war. All das fand im Rahmen der sozialistischen Partei statt, in der Mádl Mitglied war und zu der gewissermaßen auch das Verlagshaus Melantrich gehörte.“
Mit Aufkommen des Hitler-Regimes wurde Mádl zum Widerstandskämpfer. Durch seine zahlreichen Kontakte verknüpfte er einzelne Gruppen, die sich gegen die Nationalsozialisten stellten. Er beteiligte sich auch finanziell an den Vorhaben der Untergrundgruppen.
„Und zudem war er eben der Direktor der Druckerei. Dort standen Papier, Lettern, Tinte und weitere technische Hilfsmittel zur Verfügung.“
In dem Melantrich-Betrieb wurden so auch Flugblätter und weitere Informationsmaterialien hergestellt. Zudem beteiligte sich Mádl an der Herausgabe des Widerstandsmagazins „V boj“ (In den Kampf).
„Er sammelte Geld für die finanzielle Unterstützung der Zeitung und arbeitete eng mit den Autoren zusammen. Und nachdem die erste Gruppe der Herausgeber von der Gestapo verhaftet wurde und sich die Redaktion in zwei Teile spaltete, beteiligte sich Mádl an der Verknüpfung der beiden Gruppen.“
Vom Druckereidirektor zum Inhaftierten
Am 26. April 1940 wird auch Mádl von der Gestapo verhaftet. Warum kommt es damals zu der Festnahme?
„Höchstwahrscheinlich fiel sein Name bei einem der Verhöre seiner Kollegen. Und die Gestapo war natürlich an ihm interessiert, denn er war der Direktor einer großen Druckerei. Damals durchsuchten die Nazis alle Geschäfte, in denen Papier in größeren Mengen als üblich gebraucht wurde. Eine Druckerei war da natürlich ein klares Ziel. Die Gestapo und der Sicherheitsdienst überwachten zudem Menschen, die gesellschaftlich engagiert waren. Auch das traf auf Mádl zu, der ja bei den Pfadfindern aktiv war.“
Antonín Mádl wird zunächst im Petschek-Palais in der Nähe des Prager Hauptbahnhofs inhaftiert, das als Gestapo-Hauptquartier dient. Später verlegt man ihn ins Gefängnis im Prager Stadtteil Pankrác. Historikerin Veselská betont dabei einen Aspekt:
„Er war die ganze Zeit vor seinem Prozess in Einzelhaft. Denn man nahm eine sogenannte ‚Verdunkelungsgefahr‘ an. Die Gestapo hatte Angst, dass er die Leute draußen beeinflussen könne, etwa durch Absprachen für die Aussagen.“
Mádl darf also keine Besuche empfangen, und auch der Großteil der Postsendungen an ihn wird abgefangen und nicht durchgestellt.
Darstellung von Zellen und Mithäftlingen
Ende April 1941 wird der tschechische Widerstandskämpfer ins Zuchthaus Gollnow in Westpommern verlegt. Dort entstehen die Comics aus dem NS-Gefängnis. Mádl beschreibt den Gefängnisalltag und lässt seine bisherige Odyssee durch die Strafanstalten Revue passieren. Identifizierbar sind dabei auch die Gesichter anderer Widerstandskämpfer. Mit Akribie zeichnet Mádl zudem seine Zellen. Es ist vor allem diese Verbindung aus dokumentarischem Wert und emotionalen Eindrücken, die Veselská an den Darstellungen beeindruckt. Und der Historikerin zufolge zeichnen sich die Bilder zudem dadurch aus, dass es keine vergleichbaren Dokumente gibt.
„Ich habe keine Parallele gefunden. Wir wissen natürlich von Zeichnungen aus der Haft. Sie wurden meist von Menschen angefertigt, die bereits vor ihrer Inhaftierung malten.“
Doch einen Comic habe wohl niemand angefertigt, so die Historikerin. Die Darstellungen Mádls sind vor allem für seine Verlobte, Božena Pátková, gedacht. Zwar wendet sich der Inhaftierte mitunter an einen imaginären Leser, immer wieder thematisiert er aber die Liebesbeziehung zu Pátková und spricht sie sowie den gemeinsamen Freundeskreis an. Mádl steht in Gollnow kein Briefpapier zur Verfügung. Die Comics zeichnet er deshalb auf quadratische Stofftaschentücher. Magda Veselská sagt:
„Wir wissen von elf Taschentüchern. Ich denke, das sind alle, die er nach draußen schmuggeln konnte. Auf normalen Wege konnte er sie natürlich nicht an seine Verlobte schicken.“
Deswegen seien die Tücher vermutlich in die Kleidung eingenäht worden, meint Veselská.
Deutsch und Tschechisch werden in Sprechblasen verbunden
Dem Genre Comic war Mádl schon vor dem Krieg zugeneigt. So trug er mit entsprechenden Darstellungen zu einer Pfadfinderzeitschrift für Jugendliche bei. In den Comics aus dem Gefängnis vermischen sich in den Sprechblasen und Kommentaren Deutsch – die Sprache der Aufseher und Gestapo-Vertreter – und Tschechisch. Deutsch lernt Mádl dabei auch in der Haft. So ist überliefert, dass seine Verlobte ihm ein Wörterbuch nach Gollnow zukommen lässt. Veselská erläutert:
„Ich denke, er wollte wissen, was bei dem Prozess passiert und dem Geschehen folgen. Denn die Anwälte waren natürlich deutsch.“
Aus den Beitexten der Comics sind Sarkasmus und Ironie deutlich herauszuhören. Veselská sieht darin vor allem Mádls Versuch, das Erlebte zu verarbeiten.
„In Prag wurde er wirklich sehr schwer gefoltert – wie die anderen auch, er war da keine Ausnahme. In Folge eines Verhöres und der Schläge wurde er schwerhörig. Aber die Ironie und der Sarkasmus haben es ihm erlaubt, Abstand von dem zu gewinnen, was passiert ist. Denn bei dem Geschehen war er eigentlich ein Opfer. In den Geschichten aber kämpft er, er gewinnt seine Humanität zurück, ist ein Mensch. Er ist stolz darauf, nicht aufgegeben zu haben: Denn er hat niemanden verraten, keinen einzigen Namen hat er preisgegeben.“
Und so ist es immer wieder auch Optimismus, der aus den Comics und Briefen Mádls spricht. Das elfte Taschentuch ist auf den 25. August und den 19. Oktober 1941 datiert. Der Inhaftierte geht dabei auf die vergangene Zeit in den Zellen ein und wendet sich direkt an seine Verlobte, Božena Pátková (Übers. d. Red.):
„Erst in dieser Zeit habe ich mich davon überzeugt, dass ich stark genug bin. Dass ich auch unter der stärksten Last nicht zu Boden gehe und dass ich nicht umsonst schon von frühester Kindheit ein sehr schweres Leben hatte, voller Verzicht, voller Aufopferung. Das hat mich gestählt. […] Ich wäre schon lange zu Boden gegangen, aber Zähheit und Beständigkeit haben mich am Leben erhalten, mich alles ertragen und durch alles hindurchkämpfen lassen. Und sie haben mich mit dem unbeugsamen Glauben und der Hoffnung erfüllt, dass die Tage meines Lebens noch nicht zu Ende sind, sondern mich ein neues und glückliches Leben erwartet.“
Mádls Verurteilung bedeutet auch das Ende der Comics
Während auch dieses elfte Taschentuch scheinbar unbeschadet aus dem Gefängnis nach draußen gelangt, wird im Januar 1942 einer der Versuche aufgedeckt.
„Mádl wurde dafür auch bestraft. Er bekam 14 Tage Arrest, das bedeutete kein Essen. Die Strafe war also sehr streng, und das auch weil es zu dem Vorfall noch vor dem Beginn seines Prozesses kam.“
Anfang März 1942 wird Mádl vor den Volksgerichtshof Berlin gestellt und wegen der „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Seine Strafe verbüßt er zunächst im oberfränkischen Ebrach. Taschentücher zu bemalen, ist ihm nun nicht mehr möglich, denn die Haftbedingungen dort sind gänzlich anders, wie Veselská berichtet:
„Pankrác und Gollnow – da war er noch in Untersuchungshaft. Er konnte also seine persönlichen Gegenstände bei sich haben, seine Kleidung und seine Bücher. Nach der Verurteilung in Berlin wurde er in Ebrach aber zu einem Häftling in einem Zuchthaus. Das heißt, er hatte nur seine Strafkleider, eine Essschale und Besteck – keine anderen Gegenstände. Die Möglichkeiten wie zuvor gab es für ihn also nicht mehr. Aber wenn er die Gelegenheit zu schreiben bekam, nutzte er diese natürlich und schrieb Briefe an seine Verlobte oder die Familie – er hatte ja bereits zwei Töchter mit einer anderen Frau.“
Im Sommer 1943 wird Mádl lungenkrank, hustet Blut. Nach einigen Wochen wird er deshalb nach Mírov / Mürau in Mähren verlegt. In der dortigen Strafanstalt werden vor allem Lungenkranke inhaftiert. Die Lebensbedingungen dort sind Veselská zufolge erschütternd, die Sterblichkeit unter den Insassen besonders hoch. Im Januar 1944 gelingt es Božena Pátková, ihrem Verlobten einen letzten Besuch abzustatten. Am 25. März stirbt Antonín Mádl im Alter von 47 Jahren an Herzversagen und einem Lungenabszess in Mírov.
Veröffentlichung noch 1945
Dass seine Comics nicht völlig in Vergangenheit geraten sind, ist auch Božena Pátková zu verdanken. Sie übergab die Taschentücher nach dem Krieg einem Vertrauten von Mádl, der ebenfalls im Verlagshaus Melantrich gearbeitet hatte: Oldřich Formánek. Bereits 1945 erschien sein Buch „Pozor! Cela 292: Ve spárech gestapa“ (Achtung! Zelle 292: In den Krallen der Gestapo)…
„Formánek widmete Mádl und seiner Tätigkeit sowie seinem Aufenthalt in der Haftanstalt für Lungenkranke in Mürau mehrere Passagen.“
Und Formánek druckte eben auch die einzelnen Taschentücher Mádls ab. Wo sich allerdings die Originale der historischen Dokumente befinden, das ist laut Magda Veselská bis heute ein Rätsel. Sie habe die Verwandten Pátkovás und auch andere potentielle Erben kontaktiert und unterschiedliche Spuren verfolgt, sagt die Historikerin. Gemeldet habe sich jedoch niemand bei ihr.