Wider den Pragozentrismus: Reisebranche fordert besseres Marketing für Touristenziele in Tschechien

Die heißen Tage sind in Tschechien vorbei, die Schule läuft seit zwei Wochen wieder. Eine gute Gelegenheit, einmal auf die Touristensaison dieses Sommers zurückzuschauen. Sind die hiesigen Reiseanbieter zufrieden? Leidet auch Tschechien am Übertourismus? Und wie steht es um die öffentliche Förderung der Branche?

In Tschechien haben die Sommerferien für Schüler einen stabilen Termin. Juli und August – beide Monate sind komplett schulfrei und gelten damit als die Hauptreisesaison. Karel Výrut, Vorstandsmitglied der Vereinigung der Reisebüros und Chef der Reiseagentur D.I.R. Bohemia, bilanziert für dieses Jahr:

„Die Saison hierzulande war im Ganzen gut. Das gilt vor allem für die Auslandsreisen, die die Bewohner Tschechiens unternommen haben. Diesbezüglich loben alle Kollegen aus den Reisebüros diesen Sommer. Etwas weniger gut, und in manchen Gebieten deutlich schlechter, sah es im Inland aus.“

Český Krumlov | Foto: Barbora Němcová,  Radio Prague International

Dafür hat Výrut auch gleich eine Begründung parat: Die Preissteigerungen der letzten Jahre machten sich bemerkbar. Diese beträfen vor allem Hotels, Restaurants und nicht zuletzt Eintrittspreise auf Burgen und Schlössern, so der Experte.

Darauf reagieren vor allem die Tschechen selbst, wenn sie Ausflüge oder einen Urlaub im eigenen Land planen. Laut Výrut sind dabei Ziele in der Natur am beliebtesten, allen voran das Riesengebirge oder der Böhmerwald. Touristen aus anderen Ländern hingegen treffe man hierzulande eher in den Städten an:

„Im gesamten vergangenen Jahr gab es in der Tschechischen Republik etwa zehn Millionen ausländische Besucher. Das ist keine umwerfende Zahl. Allein nach Venedig kommen zum Beispiel jedes Jahr 20 Millionen Touristen. Es ist natürlich auch schlecht, dass es sich dort auf diesen einen Ort konzentriert. Die Mentalität der Menschen und ihre Erwartungen lassen sich jedoch schlecht ändern. Die ausländischen Besucher reisen eben nach Prag und maximal noch nach Český Krumlov. Aber es gibt bei uns auch wunderschöne Orte, an denen es eine unglaublich niedrige Besucherrate gibt. Wir Einheimischen kennen natürlich die Böhmisch-Mährische Höhe, also Vysočina, oder den Kreis Pardubice, die prächtig sind. Im Kreis Vysočina haben im gesamten vergangenen Jahr nur 800.000 ausländische Touristen übernachtet. Im Kreis Pardubice war es nicht besser. Das sind meiner Meinung nach erbärmliche Zahlen.“

Touristen in Prag | Foto: Barbora Navrátilová,  Radio Prague International

Und die Tschechische Republik habe für Besucher aus dem Ausland noch viel mehr zu bieten, unterstreicht Výrut. Sie wüssten es oft nur nicht, weil es an Werbung und Information fehle.

Für die Außendarstellung des Landes zu Tourismuszwecken ist die staatliche Agentur CzechTourism zuständig. Bei ihrer Gründung 1993 unterstand sie noch dem Wirtschaftsministerium, heute fällt sie in das Ressort für Regionalentwicklung. Karel Výrut sagt:

Karel Výrut | Foto: Vereinigung der Reisebüros

„CzechTourism hat mehrere Vertretungen im Ausland. Unser Verband hält es für zu wenige, aber es gibt eben kein Geld für ein solches Marketing. Sie befinden sich in bedeutenden europäischen Ländern, zudem in China, und es gibt einen Mitarbeiter, der für ganz Südamerika zuständig ist. Das ist nicht viel. Und auch um Südkorea kümmert sich nur eine Person, obwohl aus dem Land viele Menschen nach Tschechien reisen. Das ist alles. Es werden Kampagnen organisiert, die dann über die sozialen Netzwerke und das Fernsehen laufen. Dies hat aber nur einen sehr begrenzten Rahmen. Das Budget erlaubt es CzechTourism wirklich nicht, mehr Werbung zu betreiben.“

Das Hauptproblem sind also, wie so häufig, die Finanzen. Aber ist Tschechien überhaupt auf wesentlich mehr Touristen eingerichtet? Nicht unbedingt, räumt Výrut ein. So sei zum Beispiel die Infrastruktur unzureichend…

„Es gibt verhältnismäßig wenige Hotels und Übernachtungseinrichtungen. Im Zeitraum nach der Corona-Pandemie hat sich zudem das Preisniveau unverhältnismäßig erhöht. Das begründet sich dadurch, dass es zu wenig Personal gibt und Energie teurer geworden ist. Aber es fehlt eben auch an Unterstützung und an Werbung. Ein großes Problem ist außerdem der Anschluss an das Straßennetz und vor allem an den Bahnverkehr. Dieser wird quasi außen vor gelassen. Dabei reist mehr als die Hälfte der deutschen Touristen in Prag – und das sind mehrere Zehntausend – mit dem Zug an.“

Foto:  Juan Pablo Bertazza,  Radio Prague International

Overtourism in Prag und Český Krumlov

Prag ist ebenfalls das Stichwort, wenn es um Massentourismus in Tschechien geht. Immer öfter wird auch hierzulande auf die Probleme des Übertourismus verwiesen. Dies könne aber nicht so ernst genommen werden, meint Karel Výrut. Vielmehr würden die Medien in der Saure-Gurken-Zeit der Sommermonate einfach gern solche Themen aufgreifen. Ein paar Orte seien aber dennoch betroffen, fährt der Reiseagenturchef fort:

Gipfel der Schneekoppe | Foto: Kateřina Kohoutová,  Tschechischer Rundfunk

„Overtourism betrifft hierzulande den ersten Prager Stadtbezirk und Český Krumlov, vielleicht auch noch die Schneekoppe. Andere Orte sind nicht davon betroffen. Die Leute haben zwar manchmal das Gefühl, dass ihnen die Touristen auch woanders im Weg sind. Aber das ist dann nicht der eigentliche Übertourismus – so wie etwa in Venedig. Dort leben 50.000 Menschen, und jedes Jahr besuchen 20 Millionen Touristen die Stadt. Prag hat 1,3 Millionen Einwohner und jedes Jahr etwa acht Millionen Besucher, darunter auch tschechische. Diese Zahl ist also nicht ganz so schlimm. Aber alles konzentriert sich eben auf das Zentrum in Prag 1.“

Generell würden Reiseaktivitäten stark zunehmen, so Výrut weiter, und das weltweit. Schließlich steige allein die Anzahl der Menschen kontinuierlich an. Aber auch deren Kaufkraft, Möglichkeiten und Informiertheit verbesserten sich stetig. In Prag gebe es zudem Strukturen, die den Massentourismus fördern würden. Výrut verweist auf Buchungsdienste wie Airbnb:

„Hier gibt es natürlich einen Zusammenhang mit den Kurzaufenthalten in Privatwohnungen. Darüber herrscht keine Kontrolle. Niemand weiß, wie viele Menschen das nutzen und sich in den Wohnungen aufhalten. Es ist teilweise eine Schattenwirtschaft. Für bestimmte Zeiträume wird geschätzt, dass von zehn Menschen, die gerade in der Altstadt wohnen, sieben Touristen sind. Das ist sicher nicht gut.“

Dass es staatliche Regulierungen für mehr Nachhaltigkeit im sogenannten Inbound- oder auch Einreisetourismus geben könne, zeige das Beispiel Deutschland, fährt Výrut fort. Dabei ginge es ihm nicht allein um Verbote. Aber eine Begrenzung der Besucherzahlen, eine angemessene Müllentsorgung oder etwa auch eine Regulierung der Nutzung von Elektrorollern könnte durchaus Sache der Verwaltungen sein, meint der Branchenvertreter. In Tschechien fehle dafür aber ein einheitliches Konzept:

„Der Einreisetourismus macht schon seit Jahren um die drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus und beschäftigt 250.000 Menschen. Das ist nicht wenig, es ist mehr als etwa die Landwirtschaft. Die Branche läuft aber gewissermaßen aus eigener Kraft. Staatliche Investitionen sind gering, und es gibt kein Konzept. Im Prinzip regelt jeder alles für sich – um manches kümmern sich die Kreise, um manches der Staat und um anderes wieder die Städte.“

Foto: Michaela Danelová,  iROZHLAS.cz

Dies sei schlecht, urteilt Výrut. Die Agentur CzechTourism habe die Lage durch einen neuen Leiter aber in letzter Zeit um einiges verbessert, berichtet er weiter und verweist außerdem auf das zuständige Ministerium:

„Die Tourismusabteilung beim Ministerium für Regionalentwicklung tut ihr Bestes. Aber wenn ich es richtig erinnere, besteht sie nur aus zehn oder zwölf Leuten. Das Ministerium ist zuständig für die Entwicklung der Regionen, die EU-Fördergelder, den Wohnbereich, das Baugesetz, für die Beerdigungsbranche, den Tourismus und die Digitalisierung. Das ist ein unsinnig breites Portfolio. Unsere Nachbarstaaten Österreich, Polen und die Slowakei haben hingegen ein Ministerium für Sport und Tourismus. In Polen ist es sogar gelungen, die Zahl der Übernachtungen ausländischer Touristen innerhalb von zehn Jahren zu verdoppeln.“

Bisher bekäme der Tourismussektor in Tschechien jährlich 500 Millionen Kronen (20 Millionen Euro) aus dem Staatshaushalt, informiert Výrut und äußert Befürchtungen, dass in Zeiten der Konsolidierung gerade seine Branche im kommenden Jahr von Kürzungen betroffen sein könnte.

Altstädter Ring in Prag | Foto: Hana Slavická,  Radio Prague International

Bewegliche Ferientermine in Tschechien?

Finanzen spielen für die Menschen in Tschechien auch die wichtigste Rolle, wenn die Entscheidung ansteht, wohin es im Urlaub gehen soll. Nach den Reisebeschränkungen der Corona-Jahre hat sich das Auslandsgeschäft der hiesigen Reisebüros wieder normalisiert. Karel Výrut schildert, was am meisten gefragt ist:

„Es überwiegt ein großes Interesse an All-inclusive-Angeboten. Das ist einerseits natürlich bequem – man hat alles im Hotel zur Verfügung und muss nicht über eventuelle Einkäufe nachdenken. Andererseits denke ich, dass dies das Kennenlernen des Aufenthaltsortes einschränkt. Denn man verbringt ja auch die Abende im Ressort.“

Mumlava | Foto: Lenka Žižková,  Radio Prague International

Solche Reisen würden nicht nur in den Ferien gebucht, ergänzt der Experte, sondern oft auch in der Nebensaison. Denn dann seien die Preise niedriger. Auf diese Weise würden sich die Menschen hierzulande den Sommer noch etwas verlängern.

Diesen Trend unterstützt ganz grundsätzlich auch die Vereinigung der Reisebüros…

„Unsere Assoziation setzt sich schon seit Jahren für bewegliche Ferientermine in Tschechien ein, so wie in Österreich oder Deutschland. Dadurch würde sich die Feriensaison auf einen längeren Zeitraum ausweiten. Und dann gäbe es zu bestimmten Terminen auch nicht mehr einen solchen Andrang. Wir denken, das wäre gut. Das Bildungsministerium ist jedoch anderer Meinung.“

Und aus dem Ressort gibt es auch keine Signale, dass sich an der Terminplanung für die Sommerferien in Tschechien in nächster Zukunft etwas ändern würde.

Autoren: Daniela Honigmann , Zita Senková | Quelle: Český rozhlas Dvojka
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