„Das feministische Prag“: Orte der Frauenbewegung in der tschechischen Metropole

Mädchenklasse

Das Projekt „Das feministische Prag“ bietet die Gelegenheit, sich in der Stadt auf die Spuren der Frauenbewegung im 19. und im 20. Jahrhundert zu machen. Wo trafen Mitglieder des ersten tschechischen Frauenvereins zusammen? An welcher Adresse befand sich das erste Mädchen-Gymnasium in Mitteleuropa? Und wo steht das Haus, in dem die tschechische Schriftstellerin und Feministin Karolína Světlá zur Welt kam? Konkrete Orte in der Stadt, die mit bedeutenden Meilensteinen und herausragenden Persönlichkeiten der Frauenemanzipation verbunden sind, sind in einer Karte markiert und mit Kommentaren versehen.

Das Recht auf Erwerbsarbeit, das Recht auf Bildung, das Recht auf politische Aktivitäten oder aber die gleichberechtigte Stellung in der Familie: All dies ist in unserer heutigen Gesellschaft für Frauen selbstverständlich, musste aber im 19. und 20. Jahrhundert hart erkämpft werden. Das Projekt „Das Feministische Prag“ bietet über eine Website, einen digitalen Stadtplan und eine Wanderausstellung die Möglichkeit, wichtige Orte im Prager Stadtzentrum zu entdecken, die mit der Frauenbewegung in den böhmischen Ländern von Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre verbunden waren. Die Begleittexte liegen auf Tschechisch und auf Englisch vor.

Durch Prag auf den Spuren der Frauenbewegung

„Das feministische Prag“ wurde von der NGO Gender Studies kreiert und ist Teil eines umfangreicheren Projekts namens „Frauen dürfen es“. Markéta Štěpánová hat daran mitgearbeitet. Im Interview mit Radio Prag International erläutert sie, was an der Frauenbewegung hierzulande besonders ist:

Markéta Štěpánová | Foto: Anna Kubišta,  Radio Prague International

„Die Frauenbewegung in den böhmischen Ländern war maßgeblich durch das Revolutionsjahr 1848 geprägt, als die Keimzelle der tschechischen Nationalbewegung entstanden ist. Man könnte sagen, dass die emanzipatorische Frauenbewegung beziehungsweise feministische Bewegung – denn ihre Trägerinnen nannten sich selbst Feministinnen – eigentlich ein Teil dieser Nationalbewegung war. Sie waren patriotische Frauen und legten großen Wert auf die tschechische Sprache und die tschechische Geschichte.“

Die Emanzipationsversuche gingen, insbesondere in Prag, von den reicheren bürgerlichen Bevölkerungsschichten aus. Man müsse sich vor Auge halten, dass die Stadt im 19. Jahrhundert ziemlich klein war, merkt Štěpánová an:

„Alle Menschen, die in dieser patriotischen Bewegung aktiv waren, kannten sich untereinander. Auch wenn die Frauen ihre eigenen feministischen Interessen vertraten, waren sie mit den wichtigen männlichen Persönlichkeiten der patriotischen Bewegung vertraut. Ein besonderer Schwerpunkt bei der Nationalwerdung lag auf der tschechischen Sprache und Geschichte. Wir können davon ausgehen, dass dies dazu beitrug, dass der Wunsch der Frauen nach Emanzipation etwas besser akzeptiert wurde: Denn die Frauen wurden als diejenigen angesehen, die das sprachliche und historische Erbe an die Kinder weitergeben sollten. Es konnte also nicht schaden, wenn sie gebildet waren. Natürlich war das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht gerade ein Spaziergang, aber einige Männer unterstützten die Frauen bei ihren Bemühungen.“

Eine der Forderungen der Frauen war das Recht auf die Bildung für Mädchen. Nicht selten stieß dies auf Unverständnis und Ablehnung:

„Die Vorstellung, dass eine Frau ein Universitätsstudium absolvieren könnte, war für einige Männer im Kontext der damaligen Zeit schwer zu akzeptieren. Bekannt ist etwa ein Zitat vom Schriftsteller Alois Jirásek. Er sagte, er könne sich nicht vorstellen, dass das weibliche Gehirn so viel Wissen aufnehmen könne – sei es Latein, Altgriechisch oder was auch immer.“

Das Gymnasium Minerva | Foto: Milada Sekyrková,  'Minerva 1890-1936,  Kronika prvního dívčího gymnázia v habsburské monarchii'/Karolinum

Erstes Mädchen-Gymnasium in Mitteleuropa

Im Laufe der Zeit habe sich das geändert, sagt die Expertin. Sie nennt das Mädchen-Gymnasium Minerva als Beispiel, das seine ersten Räumlichkeiten in der Pštrossova-Straße in Prag hatte. Es wurde 1890 gegründet und war das erste Mädchen-Gymnasium in Mitteleuropa. Weder in Österreich-Ungarn noch im Deutschen Reich gab es damals eine solche Einrichtung:

Eliška Krásnohorská | Foto: public domain

„Als das Mädchen-Gymnasium Minerva gegründet wurde, hatte es anfangs viele Gegner. Aber der Wind in der Gesellschaft drehte sich allmählich. Die Zeit verging, und die ersten jungen Frauen machten am Gymnasium ihren Abschluss. Anna Honzáková zum Beispiel, eine Minerva-Absolventin und die erste Frau hierzulande, die Medizin studierte. Sie wurde später eine angesehene und gefragte Ärztin. Sie eröffnete die gynäkologische Praxis, die von allen Ehefrauen der damals bedeutenden Männer besucht wurde. Damit wurde Anna Honzáková allmählich als gut genug anerkannt. Die Stimmung in der Gesellschaft hatte sich verändert.“

Eben das Minerva-Gymnasium in der Prager Neustadt ist einer der zehn Standpunkte auf der Stadtroute unter dem Motto „Das feministische Prag“. Hinter der Bildungseinrichtung stand der Frauenverein „Minerva“ um die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Eliška Krásnohorská. Im ersten Jahr hatte das Gymnasium 51 Schülerinnen, die Unterrichtssprache war Tschechisch. 1895 legten die ersten 14 „Minervistinnen“ erfolgreich ihr Abitur ab, allerdings durften sie dies nicht in ihrer eigenen Schule tun, sondern am Akademischen Jungen-Gymnasium. Die Minerva-Gründerin Eliška Krásnohorská gab ihren Aktivismus aber nicht auf und setzte sich weiterhin dafür ein, dass Frauen an Universitäten studieren und Hochschulabschlüsse erwerben konnten. Ab 1897 durften Frauen in der Habsburgermonarchie dann tatsächlich an philosophischen Fakultäten und ab 1900 an medizinischen Fakultäten studieren.

Die Tätigkeit eigener Vereine, die erst nach 1860 in der Habsburgermonarchie erlaubt war, war für die Frauenbewegung von grundlegender Bedeutung. Markéta Štěpánová fährt fort:

„Egal ob Gesangsvereine oder politische Vereine, die zunächst verboten waren und später erlaubt wurden – diese Vereinigungen dienten als Werkzeug, um unterschiedliche Formen der Emanzipation durchzusetzen. Das galt auch für die Frauenbewegung. So entstanden zum Beispiel der Frauenproduktionsverein, der eine eigene Schule errichtete, oder der schon erwähnte Verein für die Gründung des ersten Mädchen-Gymnasiums. In der heutigen Zeit können sich Menschen über soziale Netzwerke oder auf andere Weise zusammenschließen, aber damals ging es darum, sich tatsächlich zu treffen und die Ideen gegenseitig zu stärken.“

Professorenchor von Minerva  (in der 1. Reihe in der Mitte mit Hut Eliška Krásnohorská) | Foto: Archiv Elišky Krásnohorské,  Gender Studies,  o.p.s.

Der Amerikanische Damenklub

Die Frauenbewegung wurde nicht nur von Frauen getragen, sondern auch von manchen wichtigen Männern unterstützt. Von großer Bedeutung war in dieser Hinsicht die Rolle von Tomáš Garrigue Masaryk, der 1918 Präsident der Ersten Tschechoslowakischen Republik wurde. Aber auch Vojtěch Náprstek ist zu nennen. Dieser Philanthrop, Ethnologe und Buchhändler war eine bedeutende Persönlichkeit im öffentlichen Leben Böhmens im 19. Jahrhundert:

Anna Honzáková | Quelle:  Enzyklopädie von Prag 2

„Er war Gründer des Amerikanischen Damenklubs mit Sitz in jenem Gebäude, das heute als Museum dient und Náprsteks Namen trägt. Nach dem Revolutionsjahr 1848 lebte Náprstek im Exil in den Vereinigten Staaten, wo er in progressiven Kreisen verkehrte. Zurück in seiner Heimat bemühte er sich darum, die Ideen, mit denen er sich dort bekannt gemacht hatte, in den böhmischen Ländern zu etablieren. Der in den 1860er Jahren gegründete Damenklub diente als Bildungsstätte für Frauen. Das geschah also schon lange vor der Gründung des Gymnasiums Minerva im Jahr 1890.“

Obwohl der Zusammenschluss Amerikanischer Damenklub hieß, hatte er nichts mit Amerika zu tun. Der Begriff „amerikanisch“ habe zu dieser Zeit einfach die Bedeutung von „progressiv“ gehabt, fügt Štěpánová hinzu. Die Mitgliedschaft im Klub gehörte zum guten Ton der tschechischen patriotischen Gesellschaft jener Zeit, und zu den Mitgliedern zählten die meisten weiblichen Angehörigen bedeutender tschechischer Familien – Ehefrauen und Töchter von Schriftstellern, Intellektuellen, Journalisten und Politikern.

Haus „U Halánků“,  heute das Náprstek-Museum | Foto: Jolana Nováková,  Tschechischer Rundfunk

„Es war der erste Ort, an dem sich Frauen zur Weiterbildung trafen. Interessant ist, dass er nur für Frauen bestimmt war. Männer durften nicht dorthin. Dennoch hätten sie gerne an den Aktivitäten teilgenommen, weil es dort wirklich gute Vorlesungen gab, unter anderem über Astronomie, Mathematik und Biologie. Es waren also keine Kochkurse.“

Der Sitz des Klubs befand sich im Haus U Halánků auf dem Bethlehem-Platz in der Altstadt und ist ebenso auf der Karte „Das feministische Prag“ markiert. Markéta Štěpánová nennt noch andere Stationen:

„Ich kann etwa das Geburtshaus von Františka Plamínková erwähnen. Sie war eine der ersten Frauen, die als Senatorin in die tschechoslowakische Nationalversammlung gewählt wurden. Das war bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ihr Geburtshaus am Karlsplatz wurde abgerissen, aber ein anderes Haus befindet sich heute an dessen Stelle. Der Karlsplatz ist interessant, denn dort stehen auch zwei Skulpturen von bedeutenden Frauen. Eine gilt Eliška Krásnohorská, der Gründerin des Mädchen-Gymnasiums, und auf der anderen Seite der Kreuzung steht eine Statue von Karolína Světlá. Sie war Romanautorin und eine Mentorin von Eliška Krásnohorská – ein wenig älter also und ebenfalls sehr aktiv in der Frauenbewegung.“

Statue der tschechischen Schriftstellerin Eliška Krásnohorská auf dem Prager Karlsplatz | Foto: Kristýna  Maková, Radio Prague International

Im Projekt „Das feministische Prag“ werden insgesamt zehn Orte in der Prager Altstadt und Neustadt präsentiert, an denen die Geschichte der Frauenbewegung geschrieben wurde. Ergänzt wird es durch ein Erkundungsspiel für Schulgruppen, das durch die Straßen des Stadtzentrums führt. Mehr dazu findet man unter https://zenymohou.cz/en/women-can/.

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