80 Jahre nach Tod im KZ Dachau: Ausstellung über Pater Henkes im tschechischen Parlament
Der deutsche Pater Richard Henkes kam am 22. Februar 1945 im KZ Dachau ums Leben. Am Dienstag wurde eine Ausstellung über ihn im Prager Abgeordnetenhaus eröffnet.
Studenten des Prager Konservatoriums haben die Ausstellung mit Musik von Antonín Dvořák eröffnet. Großformatige Bilder aus einer Graphic Documentary schildern den Lebensweg des Pallotinerpaters Richard Henkes (1900–1945), der aus Ruppach im Westerwald stammte. Er war von 1941 bis 1943 als Pfarrverwalter in Strandorf, dem heutigen Strahovice, im Hultschiner Ländchen tätig. Nach einer seiner mutigen Predigten wurde er von der Gestapo verhaftet und am 10. Juli 1943 ins KZ Dachau verschleppt. Als dort im Februar 1945 eine Typhus-Epidemie ausbrach, ließ er sich im Block unter die Kranken schließen, um diese zu pflegen. Nach zwei Monaten steckte er sich jedoch selbst an und starb am 22. Februar 1945. Im KZ war er zuvor dem späteren Prager Erzbischof und Kardinal Josef Beran begegnet. Mit ihm hatte Henkes versucht, seine Tschechisch-Kenntnisse zu vertiefen. Denn eigentlich hatte er vor, wieder in die Gegend, in der er zuletzt Pfarrer war, zurückzukehren.
Die Ausstellung im Prager Abgeordnetenhaus, die sich der Lebensgeschichte des mutigen Mannes widmet, trägt den Titel „Und wenn die Wahrheit mich vernichtet: Pater Henkes im KZ Dachau“. An der Vernissage nahm auch der deutsche Botschafter Andreas Künne teil. Auf die Frage, inwieweit Richard Henkes und sein Schicksal bekannt sind, sagte der Botschafter:
„Ich hatte bereits vorher von ihm gehört. Die Geschichte kannte ich auch wegen Cyril Havel, der sich sehr engagiert hat. Ich habe auch schon die Ausstellung gesehen und kenne ebenso das Buch. Henkes ist also kein Unbekannter. Aber ja, das ist eine der vielen Geschichten, auch eine dieser vielen deutsch-tschechischen Geschichten, denen man wünscht, dass sie noch bekannter wieder werden.“
Was hat Sie an der Persönlichkeit von Henkes am tiefsten beeindruckt? Waren das sein Mut, seine Entschlossenheit, seine Demut?
„Ich glaube, es war die Konsequenz. Wir alle, wenn wir tief in unser Inneres schauen, wissen, dass es so viele Dinge gibt, die uns davon abhalten, konsequent zu sein. Bei ganz kleinen Dingen, aber manchmal auch bei den großen Dingen. Diese Konsequenz und diese ganz klare Überzeugung finde ich wichtig: Das ist richtig, das ist falsch, das ist gut, das ist böse. Und das so konsequent umzusetzen, das hat mich tief beeindruckt.“
Inwieweit ist sein Vermächtnis heute aktuell?
„Ich glaube, dass wir uns gerade heute mit diesen Geschichten auseinandersetzen müssen. Heute, in einer Zeit, in der Tatsachen irgendwie immer unwichtiger zu werden scheinen, in der wir sehen, dass das, was uns im Kern zusammenhält, die Freiheit, Dinge anzusprechen, die Freiheit, Kritik zu äußern, dass diese Dinge angegriffen werden und ersetzt werden sollen durch Geschichten, die mit der Realität nur wenig zu tun haben. Wir können uns von Menschen inspirieren lassen, die ganz genau wussten, was richtig und was falsch ist. Ich glaube, die Geschichte von Menschen wie Pater Henkes weist uns da genau in die richtige Richtung.“
Es wurde während der Vernissage einige Mal gesagt, Henkes sei eine Art Brückenschlag zwischen Deutschen und Tschechen gelungen…
„Ich glaube, der Brückenschlag ist auch tief aus seinem Glauben gekommen. Und diese christliche Nächstenliebe, die hat er gelebt wie kein anderer. Für ihn waren die Menschen gleich, es waren alles Geschöpfe Gottes. Für die nationalsozialistische Ideologie, die gesagt hat: ‚Hier ist der arische Deutsche, der ist gut. Da ist der slawische Tscheche, Pole, der ist schlecht.‘ – dafür war er nicht empfänglich. Und ich glaube, diese gelebte Nächstenliebe, dieses Interesse, diese Empathie hat auch dazu geführt, dass er in Strahovice wirken konnte.“
An der Vernissage nahm auch der Illustrator Volker Schlecht teil. Er schuf gemeinsam mit Alexandra Kardinar die großformatigen Bilder aus dem Leben von Richard Henkes. Während der Besichtigung der Ausstellung entstand das folgende Interview mit Volker Schlecht:
Herr Schlecht, wie ist die Idee entstanden, diesen Comic über Pater Henkes zu kreieren?
„Pater Henkes hatte 2019 ein Seligsprechungsverfahren, was wohl auch durch die tschechische Kirche mit angeregt wurde. Und das Bistum Limburg, wo er ursprünglich herkommt, hatte dann meine Kollegin und mich gefragt, ob wir über sein Leben einen Comic machen könnten, damit das Thema auch für Jugendliche aufbereitet wird. Das war die Grundidee. Die Idee kam also nicht von uns, sondern von dem Verantwortlichen im Bistum Limburg, Martin Ramb.“
Wie sind Sie beim Sammeln der Materialien vorgegangen? Sie mussten schließlich auch wissen, wie er ausgesehen hat, wo er sich aufhielt und wie sein Schicksal war…
„Wir haben von vielen Seiten Informationen bekommen. Es gibt eine Biografie über ihn, die auch wegen der Seligsprechung zusammengestellt wurde. Und es gibt ein paar wenige Fotos. Mich hat damals in Berlin ein Priester besucht, der sich sehr stark mit Richard Henkes beschäftigt. Und er hat mir im Prinzip an einem Abend die ganze Lebensgeschichte von Richard Henkes erzählt. Wir treffen uns heute auch noch manchmal anlässlich solcher Ausstellungen.“
Was war das Besondere an Ihrer Arbeit?
„Wir haben uns intensiv mit dieser einen Biografie beschäftigt. Gleichzeitig musste man die ganze Welt im Konzentrationslager verstehen. Wir mussten deshalb sehr viel zu diesem Thema recherchieren, auch, weil ich da nichts falsch machen wollte. Es gibt einen Spruch von einem Schriftsteller oder einem Filmregisseur, der einmal gesagt hat: ‚Angesichts des Schreckens ist jede Fiktion obszön‘. Deshalb habe ich versucht, alles exakt zu recherchieren. Denn die Realität war ja schlimm genug.“
Wie aktuell ist Ihrer Meinung nach die Geschichte von Richard Henkes heutzutage?
„Das Schlimme ist, 2019 habe ich gedacht, das sei aktuell, weil die Wahlergebnisse jetzt gerade so seien. Und jetzt wird es auf einmal noch viel aktueller. Am Sonntag war ich auf einer Demonstration, bei der ein ukrainischer Soldat geredet hat, der zwei Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft war. Er hat erzählt, dass sie auch zeitweise gar nichts zu essen bekommen haben. Auf einmal wird so etwas, verhungerte Gefangene, also wieder aktuell. In der Zeitung habe ich heute zudem gelesen, dass an der Columbia University in New York Studenten verhaftet wurden, weil sie Pro-Palästina-Proteste gemacht haben. Und Trump sagt, das wäre erst der Anfang. Es sollen quasi politische Gegner verhaftet werden, die gar keine strafbaren Handlungen begangen haben. Auf einmal ist all das also wieder aktuell. Ich arbeite gerade an einem Film über die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse von 1946. Mir ist dabei aufgefallen, dass Putins Rechtfertigung für den Überfall der Ukraine 2022 exakt die gleichen Argumente enthielt wie die, die Ribbentrop und Göring in Nürnberg bei den Kriegsverbrecherprozessen vorgebracht haben.“
Zur Ausstellungseröffnung kam auch Karel Malchárek aus dem Hultschiner Ländchen nach Prag. Er ist Bürgermeister von Strahovice, wo Richard Henkes einige Jahre lang Pfarrverwalter war. Malchárek zufolge ist das Schicksal des Paters unter den Bewohnern seiner Gemeinde bekannt.
„Ich habe sogar einige historische Fotografien von der Erstkommunion, auf denen einige der Zeitzeugen sind, die Richard Henkes erlebt haben. Ich kannte diese Menschen, die meisten von ihnen leben aber nicht mehr. Henkes wurde 1941 mit der Priesterarbeit in Strahovice beauftragt, weil ihn der damalige Generalvikar von Olomouc damit vor der Einberufung in die Wehrmacht schützen wollte. Henkes wirkte auch im heutigen Polen, unter anderem im Ort Branice. Dort befand sich damals eine Anstalt für Menschen mit Behinderung. In der Kapelle in dem Ort hielt Henkes seine letzte Predigt, bevor er im April 1943 von der Gestapo verhaftet wurde.“
Bürgermeister Malchárek stammt aus Strahovice und weiß viel über das Schicksal von Pater Henkes. Er sagt, sein Vermächtnis für die heutige Zeit bestehe darin, dass der Geistliche mit Gewalt und mit nationalistischen Kämpfen nichts zu tun haben wollte.
„Er wollte, dass die Völker miteinander zusammenarbeiten, dass sie einander lieben. Wenn man seine Biografie liest, findet man darin schon einiges für die heutige Zeit.“
Die Gemeinde Strahovice knüpfte laut dem Bürgermeister 2003 die ersten Kontakte zum Ort Ruppach-Goldhausen im Westerwald an, dem Geburtsort von Pater Henkes. Seitdem reisen regelmäßig Gruppen von Bewohnern aus dem Hultschiner Ländchen nach Ruppach, und die Ruppacher besuchen wiederum die Strahovice. Der Bürgermeister:
„2009 haben wir einen Partnerschaftsvertrag mit Ruppach-Goldhausen geschlossen. Zwischen Menschen, die sich zuvor gar nicht kannten, entwickelte sich eine tiefe Freundschaft. Ich erinnere mich heute noch daran, wie die Menschen auf den beiden Seiten geweint haben, als sie sich bei der Rückreise verabschiedeten. Die Beziehungen waren und sind weiterhin glänzend.“
Die Ausstellung im Abgeordnetenhaus wurde von Tomáš Cyril Havel von der Benediktiner-Erzabtei in Prag-Břevnov initiiert. Zur Bedeutung von Henkes merkte er gegenüber Radio Prag International an:
„Ich denke, er ist ein sehr gutes Beispiel für unsere Wahrnehmung der Deutschen. Denn die Tschechen sehen sie oft als die ,Größeren‘, die ,Stärkeren‘ oder sogar die ,Unterdrücker‘. Ich habe viele gute Freunde in Deutschland. Und Henkes war ein in Deutschland geborener Priester, der vor und nach dem Krieg auf tschechoslowakischem Gebiet wirkte. Er wollte für die Tschechen als Priester wirklich etwas Gutes machen und kritisierte die Nazi-Ideologie. Wir sollten uns in diesem Sinne von Richard Henkes inspirieren lassen, kritisch bleiben und nicht der oft allzu lauten Mehrheit unterliegen. Ich bin froh, dass die Ausstellung jetzt hier im Parlament gezeigt wird und zur selben Zeit auch in Dachau zu sehen ist – 80 Jahre nach dem Tod von Richard Henkes und dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Ausstellung ist ein Ausrufezeichen für unsere Gegenwart.“
Die Ausstellung über Richard Henkes ist bis 20. März in der Halle des Abgeordnetenhauses in Prag zu sehen. Der Eingang zur Ausstellung erfolgt vom Malostranské náměstí (Kleinseitner Ring) Nummer 9. Das Gebäude ist von Montag bis Freitag von 9 bis 16 Uhr geöffnet.