Petr Macháček – der Bürgermeister von Temelín
Unser damaliger Redakteur Christian Rühmkorf hatte im Sommer 2010 eine Tour durch böhmische Dörfer gemacht und über große und kleine Dinge berichtet, die abseits der Hauptstadt Prag die Menschen bewegen. Seine Reise führte ihn auch nach Temelín, in das südböhmische Dorf, das seit über 20 Jahren im Schatten seines großen Betonnachbarn, des Kernkraftwerks lebt. Damals herrschte in Temelín eine Art resignativer Ruhe. Christian Rühmkorf sprach zum Jahrestag der Fukushima-Katastrophe erneut mit Bürgermeister Petr Macháček.
„In der Gemeinde? Absolut nichts. Es hat sich überhaupt nichts verändert.“
Wie haben die Einwohner von Temelín auf die Reaktorkatastrophe in Fukushima reagiert? Haben die Menschen mehr Angst, dass auch bei ihnen vor der Haustür etwas Vergleichbares passieren könnte, oder ist ein Widerstand gegen Atomenergie spürbar?
„Alle haben natürlich gesagt, dass das eine schreckliche Katastrophe ist. Aber sie haben auch gesagt, dass das hier in Temelin nicht passieren kann. Hier gibt es kein Meer, hier gibt es keinen Tsunami. Die Mehrheit der Bürger ist überzeugt, dass das AKW in Temelín sicher ist. Natürlich bringt jedes menschliche Handeln auch seine Risiken mit sich. Aber wenn wir hier mit den Menschen sprechen, auch über Fukushima, dann sagen sie, dass das AKW sicherer ist als jede Chemiefabrik zum Beispiel.“
Gibt es seitdem neue Sicherheitsmaßnahmen, die Sie in Temelín einhalten müssen?„Bei uns in der Gemeinde hat sich nichts verändert. Wir haben einen Krisenstab und einen Krisenplan – das alles ist gleich geblieben. Hier ändert sich nichts, hier drohen keine Überschwemmungen und keine Erdbeben.“
Hat sich Ihre persönliche Einstellung gegenüber der Kernenergie geändert, sehen Sie den geplanten Ausbau des AKW Temelín um weitere zwei Reaktorblöcke kritischer?
„Auch meine Haltung hat sich nicht geändert. Im Gegenteil – die zwei neuen Blöcke werden ja noch sicherer sein, weil auch die Technik moderner ist. Ich gehe davon aus, dass die Ingenieure auch neu gewonnene Erkenntnisse einfließen lassen. Es wurden ja die so genannten Stresstests durchgeführt. Die Sicherheitseinrichtungen werden also weiter verbessert. Man unternimmt alles, damit das Atomkraftwerk noch sicherer wird.“Und wie fielen die Stresstest aus?
„Für das AKW Temelín liefen die Stresstests ausgezeichnet. Laut Testergebnis droht hier nichts. Auch nicht unter Extrembedingungen, die man getestet hat. Man wird allerdings für den Notfall die Stromversorgung bei der Kühlung aufstocken. Sicher, so eine Katastrophe wie in Fukushima ist immer lehrreich für die Betreiber, um Dinge zu verbessern. Aber hier ist doch eine ganz andere Situation. Nach meinen Informationen war der Grund für die Fukushima-Katastrophe nicht ein Erdbeben, der Grund war die Tsunami-Welle.“
Bei unserem Besuch damals erzählten Sie, dass sogar japanische Fernseh-Teams nach Temelín gekommen seien, um sich zu informieren. Ist nach Fukushima das Interesse der Medien an Temelín noch einmal angestiegen?„Eindeutig ja. Nach Fukushima kam hier ganz Europa an, alle Fernsehsender, alle Radios und Zeitungen. Und alle fragten: Habt Ihr keine Angst? Haben wir nicht. Die Journalisten haben auch die Menschen hier befragt. Aber es bleibt dabei, die Menschen haben keine Angst.“
Damals haben Sie beklagt, dass die Gemeinde kaum staatliche Fördermittel bekommt. Hat sich die Situation gebessert?
„Wir beantragen kaum Fördermittel. Denn – wie gesagt – meistens bekommen wir kaum etwas. Deswegen beantragen wir im Grunde keine Fördermittel.“Woher bekommt Temelín dann sein Geld?
„Hauptsächlich aus der Immobiliensteuer, das ist die größte Einnahmequelle. Und von ČEZ bekommen wir Geld über Rahmenverträge und Verträge über die Zusammenarbeit. Also ČEZ und Steuer. Die Steuer ist aber der größte Anteil.“
Man sagt, Temelín sei die reichste Gemeinde in Tschechien. Aber Sie hatten sich damals beschwert, dass die Mittel nicht frei verfügbar sind, dass sie immer an ein bestimmtes Projekt gekoppelt sind. Hat sich da inzwischen etwas getan?
„Na, das ist so ein Klischee, dass Temelín die reichste Gemeinde in Tschechien ist. Temelín steht vielleicht auf 12., 13. oder 20. Platz in der Republik. Es gibt weitaus reichere Gemeinden im Land, was die Steuereinkünfte im Verhältnis zu der Einwohnerzahl betrifft. Wir versuchen das Geld sinnvoll einzusetzen. Aber natürlich bemühen wir uns, dass Temelín und die umliegenden Gemeinden, was Geld und Investitionen betrifft, auf demselben Niveau sind, wie andere Gemeinden in Europa und der Welt, in denen Atomkraftwerke stehen.“
Damals hatten Sie beklagt, dass das Geld, was Temelín bekommt, in den meisten Fällen zweck- und termingebunden sei. Sie hätten gern den Einwohnern von Temelín zum Beispiel die Müllgebühren erlassen oder ihnen Geld für die Instandsetzung ihrer Häuser gegeben. Hat sich das Problem mit der Verfügbarkeit über die Gelder inzwischen gebesser?
„Das hat sich gerade mit der Immobiliensteuer geändert. Über diese Einnahmen können wir nach unseren Bedürfnissen verfügen. Das, was ich damals meinte, waren die verschiedenen Schenkungsverträge von ČEZ, die sich immer auf ein bestimmtes Objekt für einen bestimmten Zeitraum bezogen. Aber jetzt kommen die frei verfügbaren Gelder aus den Steuereinnahmen, das Problem hat sich also gelöst.“
Aber die Immobiliensteuer gab es doch auch schon vorher, oder etwa nicht?„Die Immobiliensteuer gab es auch schon damals, richtig. Aber die Gemeinden hatten nicht die Möglichkeit, den Koeffizienten zu erhöhen. Koeffizient eins oder fünf – das ist schon ein großer Unterschied. Und jetzt haben die Gemeinden eben die Möglichkeit, den Koeffizienten selbst zu bestimmen.“
Sie haben in Temelín schon gelebt, bevor das AKW gebaut wurde. Wenn Sie an früher denken, was würden Sie sich aussuchen, wenn Sie die Wahl hätten: Temelín mit oder ohne AKW?
„Das ist so eine Frage, auf die man wirklich nur schwer antworten kann. Ein ´was wäre wenn´ ist schwer zu beurteilen. Es war eine komplett andere Situation, als es das Kernkraftwerk noch nicht gab. Aber es war auch wirtschaftlich eine ganz andere Situation. Die ganzen Bedingungen waren anders. Aber jetzt ist es so, dass die meisten Bewohner auf den Ausbau warten, weil sie auf Arbeit und eine Anstellung hoffen. Das ist die wichtigste Frage in der derzeitigen Situation und in den kommenden fünf bis zehn Jahren. Einfach Arbeit haben.“
Der Ausbau würde Ihrer Meinung nach so viele Arbeitplätze bringen?
„Sicher. Wenn das AKW ausgebaut wird, dann werden viele Leute bei diesem Ausbau Beschäftigung finden. Das kann bei den Bauarbeiten sein, durch das Anbieten von Unterkünften für die Bauarbeiter oder durch andere Dienstleistungen. Das ist unsere Hoffnung, die sich mit dem Ausbau verknüpft: mehr Arbeit für die Menschen.“