Prag will klimaneutral werden

Prag (Foto: Zuzana Filípková, Archiv des Tschechischen Rundfunks)
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Die tschechische Hauptstadt ist zu manchen Zeiten ein einziger Verkehrsstau. Außerdem liegen Teile Prags in einem Kessel, in dem sich die ganzen Abgase ansammeln. Messungen in diesem Frühjahr haben ergeben, dass an vielen Straßen die Stickstoffdioxid-Werte über dem kritischen Limit liegen. Wenn man den neuen Plänen des Magistrats aber Glauben schenken möchte, dann soll sich dies in Zukunft ändern. Denn das Fernziel lautet: Klimaneutralität.

Illustrationsfoto: Gerd Altmann,  Pixabay / CC0
Mitte Juni hat der Prager Stadtrat eine weitreichende Entscheidung gefasst. Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen in der tschechischen Hauptstadt um 45 Prozent gesenkt werden. Und 20 Jahre später will das wirtschaftliche Zentrum des Landes komplett klimaneutral sein. Ist das nun eher verrückt? Martin Bursík findet das nicht. Er war früher Umweltminister und ist heute Chef der Liberalökologischen Partei (LES):

„Für eine Reihe von Autofahrern dürfte ihr jetziger Wagen der letzte sein mit einem Verbrennungsmotor. Der nächste ist dann schon ein Elektroauto.“

Bursík leitet die neu eingesetzte Kommission der Stadt für Klima und nachhaltige Energiewirtschaft. Diese soll bis September kommenden Jahres konkrete Maßnahmen vorschlagen, um Prag auf längere Sicht klimaneutral zu machen.

Verbrennungsmotoren verbannen

Foto: Archiv Škoda Auto
Laut dem 59-jährigen Politiker werden Autos mit Verbrennungsmotor früher oder später aus dem Straßenbild verschwinden – auch wenn zum Beispiel der tschechische Premier Andrej Babiš (Partei Ano) bisher solche Vorstellungen noch als Affront empfindet.

„Man muss nur hinsehen, wie die Autohersteller schon jetzt reagieren. Der Trend ist eindeutig. Auch Škoda wendet sich verstärkt der Elektromobilität zu. Und bei diesen Autos erhöht sich beständig die Reichweite“, so Bursík vergangene Woche in einem Interview für die Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks.

Am Anfang will man in Prag jedoch eine Bestandsaufnahme machen:

Martin Bursík  (Foto: Jana Přinosilová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Wir müssen zunächst eine Bilanz der Kohlendioxid-Emissionen ziehen. Da müssen wir für jeden Sektor einen ökologischen Fußabdruck erstellen. Dann wissen wir, wie hoch tatsächlich die Emissionen in Prag sind. Das ist keineswegs banal, zum Beispiel gibt es beim Verkehr genaue Umrechnungskoeffizienten je nach Kraftstoffverbrauch. Um diese Basis zu schaffen, greifen wir auf konkrete Methoden zurück.“

Laut dem Ökologen liegen die Probleme außer im Verkehr vor allen im mangelnden Wärmeschutz von Gebäuden. Die Zahl der Industriebetriebe sei hingegen eher gering in der Stadt, so Bursík. Allerdings birgt die Umstellung auf der Straße aus seiner Sicht das größte Unruhepotenzial. Deswegen plädiert er für Mittel, die anderswo bereits erprobt wurden – so zum Beispiel eine Stadtmaut wie in London.

Ladestationen der Energiekonzern ČEZ  (Foto: Archiv ČEZ)
„Die Kommission wird sehr wahrscheinlich für Prag empfehlen, die Fahrt in das Stadtzentrum für Autos mit Verbrennungsmotoren kostenpflichtig zu machen. Für Elektroautos dürfte das wohl so wie in London zunächst nicht gelten. Auf diese Weise sollen die Firmen und die Privatbesitzer dazu motiviert werden, schneller ihren Fuhrpark auszutauschen. Sie werden dann keine Zusatzkosten durch die Maut haben“, erläutert Bursík.

Schon jetzt sei Prag dabei, ein Netz von Ladestationen für Elektroautos aufzubauen. Daran beteiligt seien der halbstädtische Stromanbieter Pražská energetika, der Energiekonzern ČEZ sowie private Firmen.

Allerdings denkt der studierte Umweltwissenschaftler auch an weitere Arten ökologischen Antriebs für Fahrzeuge:

„Die Stadt plant ein Projekt zur Nutzung von Bio-Erdgas. Dieses wird so gereinigt, dass es die Qualität von CNG hat. Das ist praktisch Methan, mit dem bereits einige Müllautos hier betrieben werden. Allerdings handelt es sich um Methangas aus erneuerbaren Rohstoffen, also aus Abwässern, Essensresten oder weiteren kompostierbaren Abfällen. Derzeit läuft aber noch die Diskussion, ob die Busse des ÖPNV direkt damit betankt werden sollen, oder ob das CNG nicht vielleicht besser in die städtische Erdgasversorgung eingespeist werden sollte.“

Dann könnten die Fahrzeuge direkt aus den Erdgasleitungen betankt werden, und der Effekt wäre derselbe, so Bursík.

Ökostrom-Versorger gesucht

Kohlekraftwerk  (Foto: Petr Kinšt,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0)
Bei Elektro-Autos drängt sich jedoch die Frage auf: Konterkariert der derzeitige Energie-Mix nicht alle Bemühungen um mehr Klimafreundlichkeit? Denn immer noch kommen rund 45 Prozent des tschechischen Stroms aus Kohlekraftwerken. Dieses Problem hält auch Martin Bursík nur durch ein Umdenken in der tschechischen Regierung für lösbar. Zugleich sollte aber die Stadt alle eigenen Möglichkeiten nutzen, findet der Kommissionsvorsitzende:

„Deshalb diskutieren wir derzeit über ein Konzept, das weltweit bereits angewendet wird, so unter anderem auch in den USA. Dabei sucht die Stadt per Ausschreibung nach einem Ökostrom-Versorger. Ein entsprechender Vertrag würde aber nur unter der Bedingung unterzeichnet, dass die Firma, die den Zuschlag erhält, auch selbst die Nutzung erneuerbarer Energie ausbaut. Zudem würde der Preis für den Strom für 15 Jahre festgelegt. Es wäre heuchlerisch, wenn Prag zulasten des Umlandes nachhaltig würde.“

Foto: Sebastian Ganso,  Pixabay / CC0
Eine Vorstellung ist zum Beispiel, Sonnenkollektoren und Photovoltaik zu fördern. Im Interview spricht Bursík von mehreren Hunderttausend Dächern. Dazu sollen im Großen auch EU-Fördermittel angezapft werden.

Die Klimakommission und ihre vier Arbeitsgruppen können allerdings nur Empfehlungen geben, über die konkreten Maßnahmen entscheiden die Stadtverordneten und der Stadtrat. Alles soll aber nach seiner Klimaverträglichkeit beurteilt werden.

„Jeder Schritt, über den die politische Führung entscheidet, wird umgerechnet in seinen Effekt für die Senkung des CO2-Ausstoßes. Ich verwende gerne das Bild, dass in Prag neben der tschechischen Krone – oder hoffentlich bald dem Euro – noch eine weitere Währung gelten wird. Und zwar Kohlendioxid-Tonnen. Das heißt, alle Maßnahmen werden in die Richtung objektiviert, wie sie dabei helfen, die Stadt klimaneutral zu machen“, so Bursík.

Foto: Archiv der Prager Verkehrsbetriebe
Allerdings ist die derzeitige Führung des Landes, und vor allem Premier Babiš, ziemlich skeptisch gegenüber jedweden Klimazielen. Das Hauptargument: Diese dürfen der tschechischen Wirtschaft nicht schaden. Der Prager Kommissionschef hält dies jedoch für falsch gedacht:

„Ich denke, dass da einfach nicht verstanden wird, welche großen Chancen für die Industrie in den regenerativen Energien stecken. Schätzungen nach wird es wohl so aussehen, dass 2030 bereits bis zu 80 Prozent der städtischen Busse nur noch mit Elektromotoren eingekauft werden. Das wird auch nicht der tschechische Premier aufhalten oder ein Politiker im Europaparlament mit konservativen Ansichten. Dies ist einfach der Trend. Zum Glück reagieren die Autohersteller hierzulande schon darauf. Sie investieren große Summen in die Elektromobilität, analog zu ihren Mutterkonzernen in Westeuropa.“

Dennoch hält Bursík den jetzigen Vorstoß der Hauptstadt für richtungsweisend in der tschechischen Klimapolitik:

„Prag ist die erste politische Einheit hierzulande, die sich ein solches Ziel setzt. Denn die Tschechische Republik als solches wartet ab, sie gehört ja zur Visegrád-Gruppe, in der progressive Ideen und klimapolitische Vorgaben eher abgelehnt werden. Doch ich hoffe, dass sich weitere Städte anschließen, dass der privatwirtschaftliche Sektor mitzieht und vor allem auch die Prager mitmachen.“

Denn das Ziel sei nichts anderes, als Prag ökologisch umzuwandeln…