Prager Straßenbahnen seit 120 Jahren in Betrieb
Am vergangenen Montag erlebten die Prager und die Prag-Besucher einen großen Korso auf dem städtischen Schienenstrang. Elf Straßenbahnen verschiedenster Bauart zuckelten durch die Innenstadt, um symbolisch ein großes Jubiläum zu dokumentieren: Den 120. Jahrestag seit der Inbetriebnahme der ersten so genannten Elektrischen in Prag. Und die Ingenieure, Fahrer und weiteren Beschäftigten der Prager Verkehrsbetriebe (DPP) hatten wirklich allen Grund zu feiern, denn seit 1891 haben die Straßenbahnen in der tschechischen Hauptstadt weit über 36 Milliarden Menschen befördert – mehr als fünfmal soviel, wie unsere Erde heute Bewohner hat.
„Die erste elektrische Straßenbahn fuhr im heutigen Stadtteil Letná. Außer an den Endhaltestellen war die gesamte Strecke nur eingleisig. Gegenüber dem Gebäude des heutigen Technischen Museums stand ein großer, aus Holz gebauter Betriebshof, der gleichzeitig als Warteraum für die Fahrgäste diente. Im Jahr 1893 wurde die Bahnstrecke bis zum örtlichen Lustschloss verlängert. Die Streckenlänge war zunächst rund 800 Meter, und nach einer Verlängerung dann 1,4 Kilometer“, erzählt Historiker Fojtík.
Heutzutage ist aber fast in Vergessenheit geraten, dass Ingenieur Křižík seine erste elektrische Straßenbahn an einem ganz anderen Ort im damaligen Prag errichten wollte. Diese Geschichte kennt aber noch der Amateurhistoriker Filip Jančík:„Křižík hatte nämlich die Idee, die Straßenbahn von der Moldaufähre in Prag-Bubny bis zum Ausstellungsgelände fahren zu lassen. Ein Prager Ratsherr und Freund von Křižík aber flüsterte dem Ingenieur ins Ohr, dass es doch ganz schön wäre, wenn diese Bahn im Ortsteil Letná verkehren würde, wo er ein Grundstück habe. Der Hintergedanke des Ratsherren war logisch: Die Grundstücke von Letná sollten durch die Straßenbahnlinie aufgewertet werden. Daraufhin hat Křižík seine Pläne noch einmal überdacht und die Bahnstrecke tatsächlich im Ortsteil Letná gebaut.“
Die so entstandene „Elektrická dráha na Letné v Praze“ oder auch „Letenská elektrická dráha“, also die Letná-Straßenbahn, war im Sommer 1891 eine große Attraktion und ein Besuchermagnet zugleich. Dafür sorgte in großem Maße die bereits erwähnte Landesjubiläumsausstellung, doch nach ihr ebbte das Interesse merklich ab. Mit ihren typischen „Sommerwagen“ fuhr die Bahn schließlich nur in der warmen Jahreszeit. Zudem war der Stadtteil Letná damals noch recht dünn besiedelt, was auch dazu beitrug, dass sich das Passagier-Aufkommen in bescheidenen Grenzen hielt. Die stets privat betriebene Straßenbahn verkehrte bis zum Schluss zwar mit stabilen Fahrgastzahlen, die Stadt hatte an einem Weiterbetrieb allerdings kein Interesse mehr. Auch war die Bahn bald schon technisch überholt. Deshalb wurde sie schon im Spätsommer 1900 endgültig eingestellt. Für František Křižík, den Vater der öffentlichen Beleuchtung Prags, war das allerdings kein Beinbruch, sagt Historiker Fojtík:„Mit dieser elektrischen Straßenbahn erfüllte sich Křižík seinen großen Traum, die Elektrizität für den Verkehr zu nutzen. Křižík war nämlich in erster Linie Elektrotechniker und kein Erfinder oder einer, der nur darauf aus war, die Beleuchtung Prags zu installieren. Auch am Verkehr war ihm viel gelegen. Mit der Errichtung der Letná-Straßenbahn hatte er neue Maßstäbe für die Nutzung des elektrischen Stroms gesetzt und relativ kurz danach haben sich auch schon die Stadtväter des Prager Ortsteils Libeň an ihn mit der Bitte gewandt, eine elektrische Straßenbahn von Libeň in den benachbarten Vorort Vysočany zu errichten.“ 1896 begann dann der erste regelmäßige Verkehr einer elektrischen Bahn auf der Strecke Florenc - Libeň - Vysočany auf einer 2,2 km langen Strecke mit 12 Triebwagen und 5 Beiwagen, die im zehnminütigen Intervall fuhren. Diese Bahn hatte in Karlín Anschluss an die Pferdebahn. Im Jahr 1897 ließ der Bürgermeister des Vororts Košíře, Matěj Hlaváček, zudem die elektrische Straßenbahnlinie von Prag-Smíchov nach Košíře erbauen. Damit wurde allen klar, wohin die weitere Entwicklung des innerstädtischen Verkehrs in Prag gehen wird, bedeutet Pavel Fojtík:„In Prag kam etwas in Bewegung, denn ab dem Jahr 1890, als Křižík begann, eine elektrische Bahn zu installieren, verfolgten die Stadtväter bereits die Idee, ein Netz von elektrischen Straßenbahnlinien zu errichten. Das dauerte jedoch noch einige Jahre, so dass die Verantwortlichen im Stadtteil Vinohrady bereits ungeduldig wurden und hier eine eigene Straßenbahnstrecke erbauen ließen. Am 1. September des Jahres 1897 aber war es dann soweit: Es wurde die neue städtische Transportgesellschaft Elektrische Betriebe der königlichen Hauptstadt Prag (tschechisch: Elektrické podniky královského hlavního města Prahy) gegründet. Das Unternehmen begann sofort damit, das elektrische Straßenbahnnetz in Prag aufzubauen. Zudem kaufte die Firma nach und nach die Pferde der anderen Transportgesellschaften auf, so dass sie schon bald eine Monopolstellung im innerstädtischen Personentransport von Prag einnahm.“ Ab da gab es keinen Halt mehr und die Prager mussten sich auch ziemlich schnell an das neue Geräusch gewöhnen, wenn eine Straßenbahn quietschend durch die Kurve fuhr. In den Jahren von 1905 bis 1908 fuhr sogar eine elektrische Straßenbahn über die Karlsbrücke. Aus städtebaulichen Gründen bestand dort aber keine Oberleitung, sondern sie erhielt den Strom über eine zusätzliche Stromschiene. Ab 1908 wurden die Wagen rot lackiert – vorher waren sie dunkelgrün. Außerdem erhielten die Linien Nummern, anstatt der bisherigen Kennbuchstaben. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges fuhren 14 Linien auf einem 102 Kilometer langen Linienetz. 1922 wurden 36 Umlandgemeinden eingemeindet, deshalb war ein weiterer Ausbau des Streckennetzes nötig. Bereits 1927 wurde der 100. Streckenkilometer fertiggestellt – was mit der Errichtung eines kleinen Denkmals dokumentiert wurde. Und heute? Heute zeichnet sich das Liniennetz der Prager Straßenbahn durch seine hohe Dichte aus. In einem großzügigen Umkreis um die Innenstadt gibt es praktisch keinen Stadtteil, der nicht durch die Bahn angefahren wird. Auf einigen Straßen im Stadtkern fahren sechs bis sieben Linien, so dass dort praktisch im Fünfzig-Sekunden-Takt (in der Verkehrsspitze) ein Zug in jede Richtung fährt. Mit 141 Kilometern Streckenlänge und 991 Fahrzeugen, die auf 26 Tages- und 9 Nachtlinien unterwegs sind, ist das Prager Straßenbahnnetz das umfangreichste der Tschechischen Republik. Und in diesem Netz wurde bis heute auch schon sehr viel bewegt, betont Historiker Fojtík nicht ohne Stolz:„Alle elektrischen Straßenbahnen von Prag haben vom 18. Juli 1891 bis zum Ende des Jahres 2010 über 36 Milliarden Fahrgäste befördert. Die Straßenbahnen der städtischen Verkehrsbetriebe haben in dieser Zeit über 5,7 Milliarden Fahrkilometer zurückgelegt. Ich habe das mal nachgerechnet: Das ist eine Strecke, die 15.000 Mal der Entfernung von der Erde zum Mond entspricht.“Na, wenn das kein Grund zum feiern ist! Das sagten sich auch die Beschäftigten der Prager Verkehrsbetriebe, weshalb man beim Bahnkorso am Montag auf den historischen Wagenzügen auch noch so manch einen Schaffner antreffen konnte, der bei den Melodien zum Klang des Akkordeons fröhlich mitgesungen hat.