Projekt „Ošetřenka“ finanziert obdachlosen Menschen in Tschechien ärztliche Behandlungen

Praxis für Arme

Menschen ohne Obdach sind in vielerlei Hinsicht vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Oftmals haben sie auch keine Krankenversicherung und damit keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung. Um Erkrankungen oder Verletzungen behandeln zu lassen, sind sie dann auf spezielle Praxen wie etwa die der tschechischen Heilsarmee angewiesen. Dort können sich Obdachlose und Menschen ohne entsprechende Dokumente oder Finanzierungsmöglichkeiten untersuchen lassen. Um die entstehenden Kosten zumindest teilweise zu decken, hat die Hilfsorganisation vor etwa einem Jahr die Kampagne „Ošetřenka“ ins Leben gerufen. Dabei können spendenwillige Menschen symbolisch Gutscheine für eine Arztbehandlung verschenken.

In der Tusarova-Straße im siebten Prager Stadtbezirk befindet sich die „Praxis für Arme“ (Ordinace pro chudé). Betrieben wird sie von der tschechischen Heilsarmee, und Andrea Pekárková hat sie vor zwei Jahren mitgegründet. Die nötigen Erfahrungen habe sie von ihrer vorherigen Arbeit im mährischen Ostrava / Ostrau einbringen können, berichtet die Ärztin im Interview mit Radio Prag International:

Andrea Pekárková | Foto: Petr Vrabec,  Heilsarmee

„Wir bieten die Behandlung allen sozial ausgeschlossenen Menschen an. In unserer Prager Praxis überwiegen Personen ohne Obdach oder Klienten von Notunterkünften. In Ostrau ist die Gruppe unserer Patienten etwas breiter gefächert. Dort kommen auch Mitglieder von Minderheiten aus ghettoartigen Siedlungen zu uns oder vereinsamte Senioren, die in Wohnheimen leben, sowie Mütter mit ihren Kindern.“

Den meisten Zulauf hat die Prager Praxis im Winter. Dann würden bis zu 30 Patienten am Tag versorgt, sagt Pekárková. In den Sommermonaten bewege sich die Zahl bei etwa 20 Klienten täglich.

In den ersten acht Monaten des vergangenen Jahres bekam die Heilsarmee für das Projekt Unterstützung vom tschechischen Gesundheitsministerium. Die Finanzen dafür stammten aus dem Staatshaushalt sowie aus dem Sozialfonds der EU. Wie die meisten Angebote der Organisation ist auch die „Praxis für Arme“ von Fördergeldern abhängig. Darum wurde vor etwa einem Jahr die Kampagne „Ošetřenka“ ins Leben gerufen. Damit können Spender Gutscheine erwerben, die einem Menschen in Not einen Besuch in den Einrichtungen der Heilsarmee finanzieren. Und weiter Pekárková:

„Das Ziel der Kampagne ist die Finanzierung der Gesundheitsdienste der Heilsarmee. Dies betrifft vor allem die Praxen der Allgemeinärzte, in denen Menschen ohne Obdach behandelt werden. Dorthin kommen auch Ausländer, die in Tschechien leben, aber keine Krankenversicherung und damit keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Wenn wir diese Menschen behandeln, bekommen wir von den Versicherungen keine Kostenerstattung.“

Praxis für Arme | Foto: Heilsarmee

In diesem Jahr wurden schon etwa 2000 dieser Gutscheine verkauft, die jeweils 250 Kronen (zehn Euro) kosten. Ein ähnliches Projekt betreibt die Heilsarmee bereits seit mehreren Jahren: Die „Nocleženka“ für nur 100 Kronen (vier Euro) ermöglicht einer Person die Unterbringung in einer Notunterkunft für eine Nacht.

Inspiration aus dem Ausland für die "Praxis für Arme"

Inspiration für die „Praxis für Arme“ habe man unter anderem im Ausland gefunden, wirft Andrea Pekárková ein:

„Ich habe mehrere Projekte im Ausland besucht, bei denen es um die ärztliche Versorgung von Menschen ohne Obdach ging. Das betraf nicht nur Praxen, sondern auch mobile Einsätze oder die Arbeit im Krankenhaus. Da gibt es verschiedene Ansätze, und sie sind immer abhängig von den Möglichkeiten des Gesundheitssystems im jeweiligen Land. Was alle Konzepte aber gemein haben, ist das Anliegen, sozial ausgeschlossenen Menschen eine Gesundheitsversorgung zu ermöglichen.“

Dank der „Ošetřenka“ kann auch die tschechische Öffentlichkeit dabei mithelfen. Die Ärztin beschreibt, was durch den Kauf von nur einem Gutschein ermöglicht wird:

„Ein Kupon gilt für einen Besuch eines nichtversicherten Patienten mit einem einfachen und akuten Problem. Dies betrifft also eine allgemeine Untersuchung und die grundlegende Behandlung. Es sind oft aber auch komplexere Behandlungen nötig – etwa zu Hygienezwecken, wenn der Patient eine Parasitenerkrankung hat und seine Kleider von Läusen befallen sind. Für solche Fälle gibt es gegenüber der Praxis Duschen, und der Patient bekommt von uns auch saubere Sachen. So wird er von den Parasiten befreit, und in der Praxis behandeln wir dann Hautdefekte.“

Praxis für Arme Prag | Foto: Heilsarmee

Um eine solche umfassendere Behandlung zu finanzieren, braucht es mindestens fünf Gutscheine. Auf der Homepage des Projektes „Ošetřenka“ wird deswegen genau beschrieben, wozu ein Spender beiträgt, wenn er einen, zwei oder auch zehn Kupons bezahlt…

„Wenn jemand öfter oder regelmäßig zu uns kommen muss, um komplexere Gesundheitsprobleme behandeln und etwa auch Blut abnehmen zu lassen, dann erreichen wir schnell Kosten von mehreren tausend Kronen für einen Patienten. Handelt es sich dabei um einen Ausländer, dann fallen die gesamten Kosten auf unsere Praxis zurück.“

Ausländer, die keine Krankenversicherung haben, machen einen nicht unbedeutenden Anteil der Patienten in der Prager Praxis aus. Von insgesamt 1150 registrierten Klienten hätten etwa 280 eine andere als die tschechische Staatsbürgerschaft, schildert Pekárková:

„Sie stammen etwa aus Polen, Bulgarien, Litauen oder Lettland. Schon vor dem Krieg waren dies auch Menschen aus der Ukraine und Russland. Es gab zudem bereits Patienten aus Kuba oder Großbritannien, und ein Obdachloser war sogar aus den USA nach Tschechien gekommen. Die Herkunft ist also sehr unterschiedlich. Häufig passiert es, dass diese Menschen keinerlei Ausweisdokumente haben, sei es zur Identifizierung, noch zur Gesundheitsversorgung. Oft haben sie auch keine gültige Krankenversicherung in ihrem Heimatland mehr. Einige halten sich illegal in Tschechien auf.“

Ein, zwei oder zehn "Ošetřenka"-Gutscheine kaufen

Manche wohnungslosen Menschen seien von ihrer Erscheinung her nicht unbedingt als solche zu erkennen, fährt Andrea Pekárková fort. Diese Personengruppe würde deshalb auch hin und wieder in üblichen Arztpraxen unterkommen. Für andere Menschen wiederum seien Einrichtungen wie die der Heilsarmee der einzige Anlaufpunkt…

„Es gibt eben auch hygienisch vernachlässigte Personen, die in den gängigen Praxen auf Widerstand stoßen. Dort finden sich eben nicht die nötigen Bedingungen, wie etwa eine Dusche, damit sich der Patient waschen kann. Der Unterschied zu uns liegt also schon darin, dass wir auch hygienisch vernachlässigte Menschen behandeln. Wir sind darauf vorbereitet und bieten ihnen entsprechende Möglichkeiten, ihren Zustand aufzubessern.“

Praxis für Arme | Foto: Heilsarmee

Hinzu käme ein hoher Frustrationsgrad, unter dem Menschen in sozialer Not oft leiden. Dies könne sich in verbaler Aggressivität äußern, räumt die Ärztin ein, aber auch damit könne das Team der „Praxis für Arme“ umgehen.

„Ein weiterer Aspekt ist zudem, dass wir neben der Diagnose und der direkten Behandlung immer überlegen müssen, ob die jeweilige Person in der Lage ist, einen Behandlungsplan einzuhalten. Wir versuchen darum, den Plan insoweit anzupassen, dass der Patient ihn auch erfüllen kann. So assistieren wir zum Beispiel, indem die Schwester die Medikamente in der Apotheke abholt und dem Patienten direkt übergibt.“

Dazu gehörten außerdem klare Anweisungen, wie die Arzneimittel eingenommen werden müssen, ergänzt Pekárková. Für Patienten mit tschechischer Staatsbürgerschaft und mit Krankenversicherung könne ihre Praxis zudem den Weg zu einer regulären Gesundheitsversorgung ebnen:

„Wenn sich ein Patient bei uns registriert, dann öffnet sich ihm die Tür in das gesamte Gesundheitssystem. Für eine eventuelle Weiterbehandlung beim Facharzt versuchen wir den Klienten so vorzubereiten, dass er dort mitarbeitet und die Behandlung meistert, damit sie auch einen Sinn hat. Dies betrifft nicht nur unsere Praxis, sondern das ganze Expertenteam der Heilsarmee. Dazu gehören etwa die Sozialarbeiter, die mit dem Patienten die nötigen Dokumente zusammentragen.“

Bei Bedarf werde der Patient zum Termin beim Spezialisten auch begleitet, um ihm die weitere Kommunikation zu erleichtern. Mit diesen Hilfestellungen würden wichtige Hürden überwunden, damit die Klienten der „Praxis für Arme“ das allgemeine Gesundheitssystem nutzen könnten, so die Ärztin Andrea Pekárková.

Gutscheine im Wert von je 250 Kronen (zehn Euro) können unter www.osetrenka.cz gekauft werden.