Psychische Gesundheit: Schwule und Lesben in Tschechien denken eher an Selbstmord als Heterosexuelle

Mehr als die Hälfte der Schwulen und Lesben in Tschechien leiden unter psychischen Problemen. Ein Viertel von ihnen hat sogar Selbstmordgedanken. Das ist deutlich häufiger als unter heterosexuellen Menschen. Dies hat eine neue Studie des Nationalen Instituts für seelische Gesundheit ergeben.

Illustrationsfoto: marcellomigliosi1956,  Pixabay,  Pixabay License

Svatava Havlíčková kann sich noch genau an den Tag erinnern:

„Im Februar war es zehn Jahre her. Mein Mann und ich sind morgens aufgestanden, haben gefrühstückt und sind in die Kirche gefahren. Als wir wiederkamen, sah ich, dass etwas nicht stimmte.“

Havlíčkovás Sohn Filip hatte sich das Leben genommen. In einem Abschiedsbrief begründete der 14-Jährige diesen Schritt mit seiner Homosexualität. Selbstmordgedanken hatte der Junge offenbar schon länger – über seine Gefühle zu sprechen, traute er sich nie.

Michal Pitoňák | Foto: Thomas McEnchroe,  Radio Prague International

Laut Michal Pitoňák vom Nationalen Institut für seelische Gesundheit (NUDZ) gibt es etliche vergleichbare Fälle in Tschechien. Der Wissenschaftler hat an der neuen Studie mitgewirkt, in der Daten zur psychischen Gesundheit der Menschen hierzulande gesammelt wurden:

„Bei den Heterosexuellen hatten fast sechs Prozent Selbstmordgedanken. Das ist eine gewaltige Zahl. Vor allem bei jungen Menschen stellt Selbstmord eine häufige Todesursache dar. Unsere Studie ist aber dahingehend interessant, dass wir zum ersten Mal auch nach der sexuellen Orientierung gefragt haben. Deshalb wissen wir, dass diese Probleme in der nicht-heterosexuellen Bevölkerung wesentlich stärker vertreten sind. Konkret hatten 25 Prozent aller Schwulen und Lesben Selbstmordgedanken oder legten ein entsprechendes Verhalten an den Tag. Bei den Bisexuellen waren es fast 23 Prozent.“

Der Studie zufolge hat mehr als die Hälfte der Homosexuellen in Tschechien eine psychische Störung. „Diese Gesundheitsprobleme treten bei Nicht-Heterosexuellen nicht nur häufiger auf. Sie sind auch schwerwiegender“, so Pitoňák. Gesammelt wurden für die Analyse auch Informationen darüber, inwiefern die Betroffenen Hilfe einholen.

„Da hat sich deutlich ein starkes Gefälle gezeigt, und das unabhängig von der sexuellen Orientierung – also ganz gleich, ob jemand heterosexuell ist oder nicht. 80 Prozent, also acht von zehn Menschen, nehmen keine Hilfe in Anspruch, obwohl sie das eigentlich tun sollten.“

Insgesamt wurden über 3000 Menschen in Tschechien für die Studie befragt, fünf Prozent von ihnen waren schwul, lesbisch oder bisexuell. Dass bei einer Umfrage zur psychischen Verfasstheit der Bevölkerung erstmals auch Daten zur sexuellen Orientierung erhoben wurden, stelle einen Meilenstein dar, meint Pitoňák:

„Diese Daten, die wir mit relativ gängigen Methoden gesammelt haben, ermöglichen uns zum ersten Mal, die Untersuchungsgruppe weiter zu unterteilen. So können wir Antworten auf die Fragen von Untergruppen bekommen, die wir zuvor nicht berücksichtigt haben. Die Studie hat deshalb emanzipatorischen Charakter. Wir können auf Menschen hinweisen, die bisher übersehen wurden, die aber eine besondere Aufmerksamkeit benötigen. Und damit meine ich nicht, alle für krank zu erklären, sondern Wege zu finden, um die Ursachen für die Ungleichheit zu beseitigen.“

So ist den Autoren der Studie zufolge in Tschechien ein Systemwechsel erforderlich, um Gleichheit für Menschen verschiedener sexueller Orientierungen zu ermöglichen – etwa durch die Ehe für alle. Ein Gesetz, das gleichgeschlechtlichen Partnern mehr Rechte einräumt, wurde vergangene Woche im Senat verabschiedet. Unterschrieben werden muss die Novelle nun noch von Staatspräsident Petr Pavel.

Autoren: Ferdinand Hauser , Karolína Burdová
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