Regierung versagt: Ärzte aus Slaný organisieren Impfkampagne selbst

Foto: Martin Pařízek, Archiv des Tschechischen Rundfunks

Erschöpfung, Verärgerung, Frustration – das waren die Hauptgründe, die Ärzte aus dem Krankenhaus in Slaný / Slan dazu bewegt haben, ihre eigene Impfkampagne zu organisieren. Sie wollten nicht mehr warten, bis die Regierung etwas in Bewegung setzt und drehten mit einigen Persönlichkeiten der tschechischen Kultur zwei kurze Videos – unter dem Motto „Wieder zusammen“. Mehr dazu und über die belastende Situation auf den Corona-Stationen der Krankenhäuser erfahren Sie in der folgenden Ausgabe unseres „Forum Gesellschaft“.

In zwei ungefähr zweiminütigen Videos erklären Ärzte, Schauspieler und ein Musiker, warum es wichtig ist, sich impfen lassen. Damit haben die Mediziner in ihrer Freizeit das nachgeholt, was die Regierung bisher nicht geschafft hat. Der Initiator der Videokampagne ist der junge Arzt Matěj Falc.

Matěj Falc  (Foto: YouTube / Slaný TV)

„Mir kam diese Idee, als ich einmal nach meinem Dienst in der Corona-Abteilung feststellte, welch Unsinn in den Fake News und wie viele hasserfüllte Kommentare über Corona-Impfungen in den Social Media verbreitet werden. Die Mehrheit der Ärzte hält die Impfungen für den einzig möglichen Ausweg aus der derzeitigen miserablen Lage. Ich wollte nicht auf die Kommentare reagieren. Stattdessen habe ich mir etwas ausgedacht, das die Menschen dazu motivieren könnte, sich impfen zu lassen, auch wenn der Staat in dieser Richtung sehr nachlässig ist.“

Die Videos wurden im Krankenhaus im in der mittelböhmischen Stadt Slaný gedreht. Geholfen haben dabei professionelle Filmemacher. Die Mediziner filmten in ihrer Freizeit, alle Beteiligten engagierten sich ohne Honorar. Nur für die musikalische Begleitung im Hintergrund bezahlten die Ärzte 7000 Kronen (280 Euro). Matěj Falc über das erste Echo:

„Die Reaktionen sind meist positiv. In den Social Media finden sich auch hetzerische und hässliche Kommentare. Ich lese sie lieber nicht mehr. Aber viele Politiker haben die Videos geteilt, darunter der bürgerdemokratische Parteichef Petr Fiala, die Senatorin Miroslava Němcová und vorgestern sogar Premier Andrej Babiš. Wir bieten die Videos kostenlos als Open Source (offene Quelle) an. Ich besitze die Urheberrechte. Mittlerweile habe ich auch dem Gesundheitsminister und dem Minister für Industrie und Handel geschrieben. Leider hat aber niemand aus diesen beiden Ressorts bisher reagiert haben. Ich habe gesehen, dass ihnen meine Videos vermutlich gefallen, denn auch das Gesundheitsministerium hat diese geteilt. Aber niemand hat uns bisher bei der Verbreitung der Videos im Medienbereich unterstützt.“

Vladimír Kořen  (Foto: Tomáš Pancíř,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Das Video, in dem die Ärzte selbst sprechen, ist ernsthafter als das zweite, in dem die Künstler auftreten. Er habe zu Hause schon alles aufgeräumt und geputzt und würde gern wieder unter Menschen gehen, merkt der Musiker David Koller an. Der Fernsehmoderator Vladimír Kořen sagt, Zitat:

„Es gibt Menschen, die immer noch davon überzeugt sind, dass die Erde flach ist. Ich glaube der Wissenschaft und den Ärzten. Das Medikament gegen die Pandemie ist die Impfung – glauben Sie denjenigen, die Leben retten.“

Auch wenn das Krankenhaus in Slaný verhältnismäßig klein ist, leistet das dortige Impfzentrum bisher erfolgreiche Arbeit. Matěj Falc:

„Es gibt hierzulande sozusagen kein Muster dafür, wie ein Impfzentrum eingerichtet wird und funktionieren soll. Jeder macht es auf seine Weise. Wir hatten das Glück, dass wir dafür eine organisatorisch sehr begabte Kollegin einsetzen konnten. Zudem arbeiten wir eng mit dem Stadtrat zusammen. Dieser hat uns das hiesige Kulturzentrum zur Verfügung gestellt. So schaffen wir es, täglich rund 500 Menschen zu impfen.“

Als die Corona-Pandemie ausbrach, ahnte niemand, wie sich die Lage entwickeln würde. Wie Matěj Falc erzählt, wurde im Februar und März vergangenen Jahres eine der Abteilungen des Krankenhauses in eine Corona-Station umgewandelt. Im Frühling 2020 gab es in Slaný nur einige wenige Corona-Patienten. Dies habe sich im Herbst vergangenen Jahres rasant geändert, sagt der Arzt.

„Im Herbst wurde klar, dass nicht einmal eine Abteilung mit 30 Betten ausreichen wird. Allmählich mussten weitere Abteilungen in Corona-Stationen umgewandelt werden. Zudem haben wir die Intensivstation erweitert. Aktuell verfügen wir über etwa 80 Corona-Betten.“

Foto: ČTK / Dalibor Glück

Zu Beginn der Pandemie herrschte unter der Öffentlichkeit die Meinung vor, dass fast nur alte Leute an SARS-Covid-19 erkranken. In den vergangenen Monaten hat ein Großteil der Öffentlichkeit seine Meinung geändert. Denn unter den Corona-Patienten sind immer häufiger auch jüngere, zuvor gesunde Menschen und sogar Kinder. Für die Ärzte bedeutet ein Jahr inmitten von Corona-Patienten eine enorme physische und psychische Belastung. Hatte Matěj Falc da nicht manchmal das Gefühl der Ohnmacht?

„Die Corona-Welle im Herbst war sehr heftig. Zu Beginn wurden bei uns vor allem Menschen über 70 Jahre behandelt. Auf unserer Abteilung für innere Krankheiten liegen auch sonst viele Patienten dieser Altersgruppe. Und wir haben früher durchaus erlebt, dass dort jemand starb. Aber dann passierte es immer öfter, dass während meines Dienstes gleich drei Menschen gestorben sind. So viel Tod in so kurzer Zeit zu erleben, das ist für jeden Menschen sehr schwer zu tragen. Im 21. Jahrhundert sind wir Ärzte daran gewöhnt, fast jede Erkrankung irgendwie therapieren zu können. Aber hier wirkte die Behandlung nicht. Nach drei Monaten bat ich im Dezember den Chef der Klinik darum, mich in der Corona-Abteilung ablösen zu lassen. Ich war nicht nur erschöpft nach den vielen Überstunden, sondern auch fast depressiv. Ich hatte das Gefühl, dass ich als Arzt versagt habe, da ich den Menschen nicht helfen konnte. Zweieinhalb Monate lang habe ich anschließend in der Abteilung für innere Erkrankungen gearbeitet. Erst vor kurzem bin ich zu den Corona-Patienten zurückgekehrt.“

Foto: ČTK / Ondřej Hájek

Die Zwischenzeit nutzte Matěj Falc, um seine Facharztprüfung abzulegen. Denn während der Dienste bei den Corona-Patienten konnte er sich nicht auf das Examen vorbereiten.

„Wenn man nach dem Dienst in der Corona-Abteilung die Atemmaske ablegt, dann ist es so, als wäre man sechs Stunden lang schnorcheln gewesen. Ich komme dann nach Hause und schlafe sofort ein.“

Die Corona-Lage ist hierzulande trotz Lockdown und strenger Corona-Maßnahmen weiterhin angespannt. Matěj Falc findet, dass die Regierung darüber nachdenken sollte, wie die Maßnahmen auszusehen haben, damit die Menschen diese einhalten. Seinen Worten nach ist es sinnlos, ständig daran zu appellieren, noch einmal drei Wochen lang auszuharren, dann weitere drei Wochen und so weiter und so fort…

„Den Menschen wird damit Hoffnung gemacht, dass es in zwei oder drei Wochen besser würde. Aber auch nicht in einem Monat wird es in Ordnung sein. Die Zahl der Infizierten sinkt nicht so schnell. Es geht darum, der Öffentlichkeit etwas in dem Sinne zu sagen, dass man die Maßnahmen in dem Moment lockern wolle, wenn sich die Intensivstationen leeren und klar ist, dass man sich wieder um alle kümmern kann. Wenn alle zwei oder drei Wochen wieder ein Termin in Aussicht gestellt wird, an dem die Lage besser sein soll, verlieren die Menschen das Vertrauen in das Regierungskabinett.“

Impfung - očkování  (Foto: Mecklenburg County,  Flickr,  CC BY-NC 2.0)

Matěj Falc findet, dass die Menschen dazu motiviert werden sollten, sich impfen zu lassen. Diese könnte laut dem Arzt zum Beispiel ein Corona-Pass sein, der dem Besitzer ermöglicht, beispielsweise Kulturveranstaltungen zu besuchen und wieder ein etwas normaleres Leben zu führen.

„Es ist Ende März, und es dürfen immer noch nur Menschen ab 70 Jahren geimpft werden. In Slaný sind schon alle Bewohner in dieser Altersgruppe immunisiert worden. Jetzt warten wir ab, wen wir als Nächstes drannehmen sollen. Ich glaube, dass die zwei, drei Monate gereicht haben, um alle Menschen ab 70 zu impfen. Anschließend würde ich die Impfungen ohne Einschränkungen freigeben. Über das zentrale Anmeldesystem lassen sich die Interessenten nach dem Geburtsjahr ordnen, sodass die älteren zuerst an die Reihe kommen. Ich weiß nicht, worauf wir momentan noch warten.“

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