Rückkehr in den Böhmerwald: Walter Bloch erinnert sich an Hartmanice
Die Bergsynagoge im Böhmerwaldstädtchen Hartmanice / Hartmanitz ist eines der wenigen Baudenkmäler, das an das Zusammenleben der Deutschen, Juden und Tschechen in dieser Region erinnert. Sie überlebte die Nazi-Zeit sowie die kommunistische Ära, wenn auch in einem desolaten Zustand. Vor einigen Jahren wurde der historische Sakralbau dank einer Bürgerinitiative renoviert und 2006 wurde das Haus, das in ein Denkmal des deutsch-tschechisch-jüdischen Zusammenlebens verwandelt wurde, wieder eröffnet. Vor kurzem fand in der Bergsynagoge eine Feier statt.
Bereits nach meinem ersten Besuch in der Bergsynagoge habe ich mir den Namen Bloch gemerkt. In der ständigen Ausstellung über die Bewohner der Region, die in dieser am höchsten gelegenen Synagoge in Mitteleuropa zu sehen ist, ist die unternehmerische Tätigkeit der Firma Bloch ausführlich beschrieben. Zudem wird erwähnt, dass Familie Bloch unter anderem das neue Schulgebäude in Hartmanice finanzierte und auch zum Bau der Synagoge wesentlich beitrug. Zudem hörte ich von den Bewohnern von Hartmanice, dass das helle mit Efeu bewachsene Haus, an dem man in die Stadt reinfährt, „blochák“ genannt wird.
Ursprünglich soll dort Firma Bloch Spiegel hergestellt haben. Seit Ende August habe ich eine viel konkretere Vorstellung über Familie Bloch. Denn Walter Bloch, der Urenkel des Firmengründers Isak Simon Bloch, kam mit seiner Familie zu Besuch nach Hartmanice: Bei einem Fest in der Bergsynagoge übernahm er von Bürgermeister Jiří Jukl eine Urkunde, mit der der Stadtrat seinem Vater Richard Bloch in memoriam die Ehrenbürgerschaft verlieh – für die Verdienste der Familie Bloch um die Stadt und die ganze Region.Firma I.S. Bloch produzierte seit 1863 in Hartmanitz und in Frauenthal poliertes Glas und Spiegelglas. 1865 erweiterte sie ihre Produktion auch nach Chlum / Chumo. In einer ehemaligen Hammermühle begann die Gesellschaft Zinnfolien herzustellen. In den 30er Jahren wurde Richard Bloch, der Enkel des Firmengründers Mitbegründer und Exportleiter der Firma Internationale Industrie AG in Hamburg. Seitdem reiste er mit der Familie nur einige Male im Jahr nach Hartmanice. Bis 1938 bot die Firma bis zu 300 Menschen aus Hartmanice und Umgebung Arbeit. 1939 flüchtete Familie Bloch vor den Nazis nach England.
Nach der feierlichen Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Richard Bloch in memoriam bat ich dessen Sohn Walter Bloch ans Mikrofon und fragte ihn nach seinen Erinnerungen an Hartmanice sowie an die weiteren Böhmerwald- Ortschaften, die mit Familie Bloch verbunden sind.„Man darf nicht vergessen, das letzte Mal, als ich hier war, war ich 10 Jahre alt und jetzt bin ich 81. Ich weiß nur, wenn ich in Hartmanice war – wir haben damals in Prag gewohnt – war es entweder im Sommer und es hat hier nie geregnet oder war es im Winter zu Weihnachten oder Chanukka und dann war Hartmanice tief im Schnee. Ich habe Hartmanice nur von der besten Seite gesehen. Als Kind war natürlich immer begeistert in Hartmanice zu sein, denn es war eine kleine Stadt im Kontrast zu den Städten, wo ich gewohnt habe. Ich habe sehr viele Kinder hier kennen gelernt. Ich habe viele der Menschen hier namentlich gekannt, weil sie in der Fabrik meines Vaters gearbeitet haben. Und ich selber hatte immer ein großes Interesse an dieser Fabrik. Mein späteres Schicksal war, dass ich Ingenieur wurde. Das zeigte sich aber schon in frühen Jahren. Als ich hier war, bin ich jeden Tag mit meinem Vater in die Fabrik gegangen – in die Schlosserei und ich durfte mit der Drehbank hie und da etwas tun. Das hat irgendwie den Anfang meines Lebens sehr stark beeinflusst.“Das Eigentum der Familie Bloch wurde 1939 von den Nazis konfisziert. Hat die Familie nicht versucht, nach dem Krieg in den Böhmerwald zurückzukehren, noch bevor die Kommunisten in der Tschechoslowakei an die Macht kamen?
„Meine Eltern sind nach dem Krieg hierher gekommen und haben sich die Lage angesehen. Sie haben damals die Möglichkeit überlegt, sich in dieser Region wieder zu etablieren. Von guten Freunden wurde ihnen aber geraten, dies nicht zu tun, weil die Übernahme der Macht in der damaligen Tschechoslowakei durch die Kommunisten vorauszusehen war. Da haben sie sich entschlossen, zurück nach England zu gehen. Als Flüchtlinge waren sie unter einem großen Druck. Aber 1948 bekamen sie die britische Staatsbürgerschaft und 1948 war eine Rückkehr nach Prag ja nicht mehr diskutabel.“
Wie war Ihre erste Rückkehr in diese Region nach der Wende von 1989?„Wir sind mit meiner Frau auch vor der Wende hierher gekommen und haben noch eine Frau getroffen, die mein Vater kannte. Sie war gerade auf dem Weg in die Kirche. Ich kann mich an die Kirche gut erinnern, denn obwohl ich Jude war, war ich oft in der Kirche und habe dort als Kind die Andacht mitgemacht. In der damaligen Zeit war das so. Und ich war als Kind immer durch das viele Gold tief beeindruckt. Damals vor der Wende sind wir mit meiner Frau auf den jüdischen Friedhof gegangen. Der war irgendwann restlos zerstört worden, aber er hat ja seine Dienste erfüllt. Ich weiß nicht, ob noch andere jüdische Familien oder ihre Nachkommen am Leben sind, die den Friedhof besuchen würden. Jedes Mal, wenn ich da bin, gehe ich jedes Mal hin, aber ich verlange nicht von meinen Nachkommen, dass sie dann nach meinem Ableben den Friedhof noch mal besuchen. Ich glaube, damit hat der Friedhof seine Rolle erfüllt. Man darf nicht darum trauen, dass die Steine jetzt weg sind, und dass der Friedhof jetzt wieder zur Natur zurückgeht.“
Im Dokumentarfilm, der hier in der Synagoge gezeigt wird, erwähnen Sie, dass Ihr Vater noch ein Treffen für die ehemaligen Arbeiter aus seiner Fabrik, die inzwischen vertrieben wurden, veranstaltet hatte. Waren Sie auch dabei?“Das war in München. Ich schätze, dass es Anfang der sechziger Jahre war. Viele der Arbeiter in der Fabrik waren sehr loyal gegenüber meinem Vater. Sie waren loyal auch zur Fabrik und zu ihrem Arbeitsplatz selbst. Das hat mein Vater nie vergessen. Natürlich waren auch viele da, die sich ganz anders verhielten, die Nazis waren. Das ist ja klar. Ich kann mich erinnern, dass ich mich mit einem Mann, der damals noch heim ins Reich wollte, etwas angelegt habe. Jetzt kommen wir wieder in den Böhmerwald und freuen uns, dass das Leben weiter geht.“
Erinnern Sie sich aus der Kindheit an diese Synagoge?„Die Synagoge ist – glaube ich – 1922 geschlossen worden. Der damalige Rabbiner ist blind geworden und es waren damals nicht mehr so viele Juden in Hartmanice. Es gab nicht mehr elf Männer, die sich hätten zum Gebet versammeln können und da wurde die Synagoge aufgelöst und sie verfiel. Ich kann mich natürlich an die Synagoge erinnern, als ich sie das letzte Mal 1938 gesehen habe. Aber sie war damals schon im Begriff zu verfallen. 1972, als ich wieder hierher kam, wurde sie als Holzlager verwendet. Jetzt ist sie ganz wunderbar wieder aufgebaut. Das freut mich und deswegen komme ich auch wieder hierher.“
Was bedeutet für Sie die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Ihren Vater?
„Ich meine, dass es mir zeigt, wie wichtig mein Vater war. Dies würde mein Sohn bestätigen: Die Väter scheinen einem gar nicht so wichtig, die werden – meinen die Söhne – alt und dumm. So war es auch bei mir. Mein Vater ist mit 90 Jahren gestorben und wenn ich zurück denke, dann war ich doch vielleicht ein bisschen überheblich gegenüber diesem alten Mann. Aber jetzt sehe ich, dass er doch ein wichtiger Mann war.“
Mehr über die Synagoge erfahren Sie unter www.hartmanice.cz
Fotos: Autorin