Schlitzohr Panenka, Poborskýs Lupfer und Schützenkönig Baroš– Tschechische EM-Erfolge
Für das tschechische Team geht die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland erst am Dienstag kommender Woche los. Also bleibt Zeit, um an frühere Erfolge der Nationalmannschaften aus der Tschechoslowakei und Tschechien seit der ersten EM 1960 zu erinnern. Natürlich kommt auch Schlitzohr Antonín Panenka zu Wort, aber ebenso etwa Karel Poborský, der 1996 zum Star der Überraschungsmannschaft wurde.
Einmal standen tschechische Fußballspieler ganz oben auf dem Treppchen: 1976, nach dem denkwürdigen Elfmeterschießen im Finale von Belgrad. Als Antonín Panenka den frechsten Elfmeter aller Zeiten verwandelte und die Favoriten aus der Bundesrepublik Deutschland düpierte. Wobei man sagen muss, dass slowakische Spieler den größeren Teil der damaligen Mannschaft der ČSSR stellten. Aber fußallhistorisch betrachtet, gilt das tschechoslowakische Team als der Vorläufer des tschechischen Teams.
Genau 20 Jahre nach dem Europameistertitel gelang der zweitgrößte Erfolg: die Silbermedaille bei der EM 1996 in England. Außerdem erkämpfte das tschechoslowakische Team noch zweimal den dritten Platz, und 2004 begeisterte Tschechien mit tollem Offensivspiel und erreichte das Halbfinale, wo leider gegen die abgezockten Griechen Schluss war.
1960: Dritter Platz
Der erste Erfolg kam gleich bei jenem Turnier, das später zur ersten Fußball-Europameisterschaft gekürt wurde – nämlich dem „Europapokal der Nationen“ 1960 in Frankreich. Die Endrunde wurde nur unter vier Teams ausgespielt, und die drei ersten Plätze holten Mannschaften aus dem damaligen Ostblock. Die Tschechoslowakei verlor zwar im Halbfinale mit 0:3 gegen den späteren Sieger Sowjetunion, gewann aber die Begegnung um Platz drei mit 2:0 gegen Frankreich.
Jeweils auf dem Platz stand auch Mittelfeldspieler Josef Vojta von Sparta Prag. Vor einiger Zeit erinnerte er in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks daran, wie hervorragend das tschechoslowakische Team damals besetzt war:
„Natürlich ging der Traum jedes Jungen in Erfüllung, als ich zum Nationalspieler wurde. Zu Anfang war ich zusammen mit Ladislav Pavlovič als rechter Halbstürmer aufgeboten, dann rückte ich ins Mittelfeld ein. Und dort war die Konkurrenz enorm groß mit Josef Masopust, Titus Buberník, Svatopluk Pluskal und all diesen Spielern.“
Vojta schaffte es dann zwei Jahre später nicht ins Aufgebot für die WM in Chile, als die Mannschaft um den tschechischen „Fußballspieler des Jahrhunderts“ Masopust Zweite wurde.
1976: Europameister
Nach dem Erfolg mit dem dritten Platz bei der ersten EM kämpften die tschechoslowakischen Fußballer dreimal erfolglos um die Teilnahme an der Endrunde. Erst 1976 meisterte man die Qualifikation, die aus einer Gruppenphase bestand sowie aus einem Viertelfinale, in dem die ČSSR die Sowjetunion aus dem Wettbewerb schmiss. Das Schlussturnier bestritten also erneut nur vier Länder. Im Halbfinale mussten die Tschechoslowaken gegen die eigentlich überragenden Niederländer ran. Antonín Panenka, dessen großer Moment mit dem berühmten Elfmeter erst im Finale kommen sollte, sagte vor einigen Jahren gegenüber Radio Prag International:
„Vor der Europameisterschaft haben wir in der tschechoslowakischen Nationalmannschaft nicht gedacht, dass wir so stark sind, um uns gegen Holland fürs Finale zu qualifizieren. Wir glaubten, dass – so Gott will – es in unserer Kraft liegt, unentschieden zu spielen. Falls es auch nach der Verlängerung unentschieden gestanden hätte, wäre das Elfmeterschießen drangekommen. Und ich war überzeugt, dass ich auch gegen Holland dann den Elfmeter auf diese Art schießen würde. Wir haben aber in der Verlängerung 3:1 gegen Holland gewonnen, und es kam das Finale. Ich war aber schon zwei Monate vor der Europameisterschaft überzeugt, dass ich in einem möglichen Elfmeterschießen auf diese Art schießen werde.“
Im Finale konnte sich die DFB-Elf um Kapitän Franz Beckenbauer nur mit Glück in die Verlängerung retten. Letztlich musste aber – und das erstmals in der Fußball-Historie – ein Elfmeterschießen über den Titelträger entscheiden. Mit dem bekannten Ausgang, dass Uli Hoeneß seinen Elfer in den „Nachthimmel von Belgrad“ schoss, Antonín Panenka danach die Entscheidung auf dem Fuß hatte – und einen Lupfer über Torhüter Sepp Maier wählte.
„Als Torwart ist man voll konzentriert, und dann schießt Panenka solch einen Elfmeter. Sicher schaut man ein bisschen blöd aus, aber wenn er so abgebrüht ist und das immer riskiert, dann ist das seine Sache. Aber es hat 35 Mal geklappt, da kann man nur gratulieren“, sagte Maier 2011 bei einer Veranstaltung an der Deutschen Botschaft in Prag.
In einem widerspricht Panenka aber, denn er hatte diesen Elfmeter als Lupfer in die Mitte des Tores zuvor zwei Jahre lang trainiert:
„Es war kein Risiko, weil ich in der Situation gesehen habe, dass es der leichteste Weg ist, um ein Tor zu schießen. Ich hatte einen Vorteil, weil bis zu diesem Moment niemand wusste, dass ich auf diese spektakuläre Art spiele. Und Sepp Maier hatte auch niemals das Bohemians-Stadion besucht, er konnte also nicht gesehen haben, wie ich Elfmeter schieße.“
Die unerwarteten Europameister wurden bei ihrer Rückkehr nach Prag dann von den Fans gebührend gefeiert.
1980: Dritter Platz
Antonín Panenka stand auch bei der folgenden EM 1980 in Italien im tschechoslowakischen Aufgebot – neben weiteren Stützen der Europameistermannschaft wie Torjäger Zdeněk Nehoda und Innenverteidiger und Mannschaftskapitän Anton Ondruš. In der Vorrunden-Gruppe 1 landete die ČSSR zwar nur auf dem zweiten Platz hinter dem späteren Europameister Bundesrepublik Deutschland, aber immerhin vor den Niederlanden. Das bedeutete das Spiel um Platz drei, und zwar in Neapel gegen die italienische Heimmannschaft. Aus der damaligen Radio-Live-Übertragung des Tschechoslowakischen Rundfunks:
„Die neunte Minute der zweiten Spielhälfte. Wieder ist es Panenka, hinter ihm Causio. Panenka startet und spielt zurück. Jurkemik setzt zum Schuss an – ein Gewaltschuss und Tor!“
Auf den Führungstreffer durch Mittelfeldspieler Ladislav Jurkemik glich Italien schon 19 Minuten später aber aus, doch ihre weiteren Chancen konnten die Tifosi auch bis zum Ende der Verlängerung nicht verwerten. Erneut also Elfmeterschießen. Und wieder waren die Tschechen und Slowaken die Glücklicheren und Erfolgreicheren. Bis zur achten Serie verwandelten die Schützen auf beiden Seiten. Doch der tschechoslowakische Torhüter Jaroslav Netolička konnte den Schuss des neunten Italieners, des Verteidigers Fulvio Collovati, im Nachfassen greifen. Aber war der Ball zuvor mit vollem Umfang hinter der Linie gewesen? Torlinientechnik gab es damals noch nicht, deswegen kam es auf das Auge des Schiedsrichters an…
„Was sagt der Schiedsrichter? Er zeigt deutlich, dass es kein Tor war. Das heißt, dass das Elfmeterschießen zu Ende ist. Freunde, wir haben gewonnen und den dritten Platz belegt. Welche große Freude!“, so der damalige Kommentator.
Ladislav Vízek, der damals sein erstes großes Turnier mit der Nationalmannschaft bestritt und bis heute als einer der besten Techniker aller Zeiten aus der Tschechoslowakei gilt, erinnert sich:
„Das war damals ein großer Erfolg, Italien im Spiel um Platz drei in Neapel zu besiegen. Ich erinnere mich, dass uns der Trainer damals nicht aus dem Hotel hinausgelassen hat. Wenn man hinausging, standen da schon die leichten Mädchen. Und damals lief das alles nicht so professionell ab wie heute, der Trainer fürchtete also, wir könnten in irgendeinen Schlammassel geraten. Deswegen haben wir nur die ganze Zeit im Hotel Karten gespielt.“
1996: Zweiter Platz
Nach diesem dritten Platz scheiterten die tschechoslowakischen Fußballer erneut dreimal hintereinander in der Qualifikation zur EM. Erst die eigenständige tschechische Nationalmannschaft fand wieder den Weg zur Teilnahme an der Europameisterschaft – und zwar 1996 in England. Als ziemlicher Außenseiter gelang eine faustdicke Überraschung. Diese begann mit dem zweiten Platz in Gruppe 3 hinter Deutschland und vor Italien. Im Viertelfinale in Birmingham wartete dann Portugal. Mit ihren Edeltechnikern wie Luis Figo und Rui Costa waren die Portugiesen die Favoriten. Doch es kam anders…
„Jiří Němec passt von links nach innen auf Karel Poborský. Er tankt sich an zwei Spielern vorbei. Karel Poborský, die Chance, der Schlenzer, Tor! Ein wunderschönes Tor, Freunde“, so der damalige tschechische Originalkommentar.
Für die Fans hierzulande war klar: Poborský ist der neue Panenka. Doch der Mittelfeldspieler hält dies auch heute noch für nicht ganz korrekt:
„Er hat einen Elfmeter hineingeschlenzt, ich habe hingegen aus vollem Lauf angesetzt. Antonín hat ihn mit dem Innenrist geschossen, ich habe den Ball eher gelupft. Daher lassen sich beide Tore nur schwer vergleichen. Ich bin aber froh, dass sowohl mein Schlenzer, als auch der von Antonín dem tschechischen Fußball zu großen Erfolgen verholfen haben.“
In der Begegnung blieb dies der einzige Treffer. Also der Einzug ins Halbfinale, in dem die Tschechen dann Frankreich im Elfmeterschießen ausschalteten – und damit standen sie im Finale von Wembley gegen Deutschland. Die Partie war ausgeglichen, doch in der Verlängerung erzielte Oliver Bierhoff das Golden Goal für die DFB-Elf. Zurück in Prag aber wurden die tschechischen Spieler gefeiert, als seien sie Europameister geworden.
2004: Halbfinale
Tatsächlich hat die eigenständige tschechische Fußballnationalmannschaft noch keine einzige EM-Endrunde verpasst. Dreimal war allerdings nach der Gruppenphase Schluss (2000, 2008 und 2016). Zweimal reichte es zum Viertelfinale, nämlich 2012 und 2021. Bei der Europameisterschaft 2004 in Portugal jedoch waren die Tschechen eine der positiven Überraschungen des Turniers. Erstmals zeigte sich dies im zweiten Gruppenspiel. In der ersten Begegnung hatte sich das Team um „Mittelfeld-Mozart“ Tomáš Rosický gegen Lettland zu einem knappen Sieg gequält. Dann lag man gegen die Niederlande nach knapp 20 Minuten schon mit 0:2 zurück. Allerdings gelang eine unerwartete Aufholjagd…
„Immer noch Pavel Nedvěd. Butterweiche Flanke auf Jan Koller, der lässt abtropfen, und das ist das Tor. Der Ausgleich. Milan Baroš trifft. Ein wunderbarer Schuss!“, so der damalige Kommentar beim 2:2-Ausgleich des späteren besten Schützen der EM 2004, des tschechischen Stürmers Milan Baroš.
Aber nicht nur das: Das tschechische Team erzielte durch Vladimír Šmicer sogar noch den 3:2-Siegtreffer und war damit vorzeitig fürs Viertelfinale qualifiziert. Man hatte einen der Turnierfavoriten besiegt. Rosický diktierte nach der Begegnung damals den Journalisten in die Aufnahmegeräte:
„Ein fantastisches Spiel für alle Fußballfans. Wir sind nach der Leistung gegen Lettland kritisiert worden. Jetzt haben wir ein 0:2 gegen die Niederlande noch in einen Sieg gebogen. Das schaffen nur große Mannschaften. Es ist zu sehen, dass wir einen hervorragenden Teamgeist haben.“
Im abschließenden Gruppenspiel gegen Deutschland schickte Trainer Karel Brückner eine B-Mannschaft auf den Platz. Dennoch wurde der amtierende Vizeweltmeister mit 2:1 besiegt. Im Viertelfinale überrannten die Tschechen die Dänen mit 3:0. Im Halbfinale gegen Griechenland konnte das Team jedoch in der regulären Spielzeit seine zahlreichen Chancen nicht verwerten und musste in die Verlängerung. Pavel Čapek kommentierte damals die Begegnung im öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen (ČT), als die Griechen in der 115. Minute eine Ecke zugesprochen bekamen:
„Sicher die letzte Standardsituation vor der Halbzeit der Verlängerung. Tsiartas tritt… Das ist der Horror. Die Griechen machen das Tor, auf das wohl kaum noch Zeit bleibt zu reagieren.“
Denn es galt die Regelung des sogenannten Silver Goal. Das Spiel wurde nicht sofort beendet, aber mit dem Halbzeitpfiff, der nur wenige Sekunden später folgte. Libero Traianos Dellas beförderte die Griechen ins Finale, das die Tschechen mit ihren Leistungen zu dem Zeitpunkt sicher schon im Blick hatten. Am Ende machte Trainer Otto Rehagel die Griechen zum vielleicht überraschendsten Europameister der bisherigen Geschichte.
Tschechien hat leider seitdem keine Mannschaft mehr auf die Beine stellen können, die an jene von 2004, 1996, 1980, 1976 oder 1960 herangereicht hätte. Vor allem werden die kreativen Mittelfeldspieler vermisst vom Schlag von Josef Masopust, Antonín Panenka, Ladislav Vízek, Karel Poborský, Pavel Nedvěd, Tomáš Rosický und anderen. Aber vielleicht arbeitet ja der aktuelle Nationaltrainer Ivan Hašek an einer neuen starken Generation? Er hat zumindest die tschechische Mannschaft vor der EM in Deutschland deutlich verjüngt.
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