Steinzeit-Brunnen liefert neue Erkenntnisse
Es war ein außergewöhnlicher Fund. Ende vergangenen Jahres sind tschechische Archäologen in Ostböhmen auf einen Holzbrunnen gestoßen. Er stammt aus der Zeit der Jungsteinzeit. In der Folge stellte sich heraus, dass es das älteste Holzbauwerk ist, das bisher in Europa per Jahresringe datiert werden konnte. Im Folgenden nun mehr dazu und zu der Lebensweise der Menschen von damals.
„Der Brunnen gehört in die älteste Zeit der linearbandkeramischen Kultur, also ins sechste Jahrtausend vor Christus. Er ist rund 100 Jahre älter als alle bisher bekannten urzeitlichen Brunnen hier in Tschechien. Und zugleich ist es das älteste bisher auf dendrochronologische Weise nachgewiesene Holzbauwerk in Europa.“
Der Brunnen ist nicht sonderlich groß. Die erhaltenen Seitenwände reichten etwa 1,40 Meter in die Tiefe und haben 80 Zentimeter Seitenlänge.
„Den Brunnen haben wir en bloc ausgehoben, das haben wir unseren deutschen Kollegen nachgemacht. Dabei hat uns geholfen, dass er verhältnismäßig klein ist. Im Labor haben wir dann die Bretter von den Sedimenten befreit. Die Einlagerungen werden wir noch ausschwemmen, damit uns auch nicht das kleinste Fundstück entgeht. Die Bretter wurden dann erst einmal in Wasser eingelegt und anschließend gewaschen. Es ist Eichenholz, das mit Wasser vollgesogen war. Würde es aber austrocknen, könnte es sich verformen“, so Peška.
Holzbearbeitung wie aus Bronzezeit
Bei diesen Prozeduren haben die Archäologen die Bretter genauer untersucht. Dabei stießen sie auf eine Besonderheit für die Jungsteinzeit, in der der Brunnen entstanden sein muss:„Und zwar haben wir an den vier Eckpflöcken des Brunnens jeweils Einkerbungen für die Längsbretter gefunden. Diese wurden sicher mit einem flachen Stein-Meißel oder -Keil aus dem Holz geschlagen. Das ist eigentlich eine Konstruktionsleistung, die wir erst aus der Bronzezeit kennen – beziehungsweise noch später aus der Eisenzeit oder dem alten Rom. Niemand hat bisher geahnt, dass auch schon die Vertreter der ersten landwirtschaftlichen Kultur auf diese Weise bauen konnten – also der linearbandkeramischen Kultur“, so der Archäologe aus Olmütz.
Doch wer waren eigentlich diese ominösen Linearbandkeramiker?
„Es sind die ersten Bauern, die nach Mitteleuropa eingewandert sind. Sie kamen damals wohl aus den Gebieten des fruchtbaren Halbmonds im Nahen Osten über den Landweg nach Europa – das heißt über den Balkan und das Karpatenbecken. Sie ließen sich nach und nach hier nieder, und es kam zu dem, was wir früher als ‚Neolithische Revolution‘ bezeichnet haben.“
Das war eine Revolution der Wirtschaftsweise in Europa. Denn die Bandkeramiker waren nicht mehr nur Jäger und Sammler, sondern betrieben bereits Landwirtschaft. Dabei half ihnen, dass es damals deutlich wärmer war als heute in Mitteleuropa. Jaroslav Peška:„Sie haben Getreide angebaut, dabei gingen sie von wilden Arten zu gezüchteten eigenen über. Sie haben auch Tiere gehalten. Und sie legten feste Siedlungen an, für die sie sogenannte Langhäuser gebaut haben. Was ihnen ihren Namen gegeben hat, das war die Fähigkeit, Keramik herzustellen. Diese war bereits ziemlich gut gefertigt, mit überraschend dünnen Wänden. Die bei uns gefundenen Gefäße sind rund oder bombenförmig. Und in der jüngeren Epoche, die aber deutlich nach der Zeit des Baus unseres Brunnens liegt, wurden die Gefäße mit Linien versehen, zwischen denen Punkte angeordnet waren. Deswegen haben sie den Spitznamen ‚Notenzeichen‘ erhalten.“
Entscheidende Jahresringe
Konkret datiert wurden die Brunnenbretter auf die Jahre 5256 oder 5255 vor unserer Zeitrechnung. Die Pflöcke müssen sogar noch zwei bis drei Jahre früher geschlagen worden sein. Wahrscheinlich mussten sie erst einmal richtig trocknen, bevor sie bearbeitet wurden. Doch wie lässt sich heute, einige Tausend Jahre später, eine solch präzise Angabe machen?„Dazu braucht es auch Glück, das wir in dem Fall gehabt haben. Denn das Holz muss genügend viele Jahresringe haben. Diese sind jeweils unterschiedlich dick, es ist fast wie ein Fingerabdruck. Kein Jahr gleicht da dem anderen. Die Jahresringe werden daher in den Computer eingelesen, der sie in Kurven umwandelt. Diese Kurven werden mit bereits datierten Hölzern verglichen. Bei Eichen reicht die Datensammlung bis ins Neolithikum zurück, also ins fünfte, sechste und siebte Jahrtausend vor Christus. Mein Kollege von den Dendrochronologen hat mir geschrieben, dass sie 82 Jahresringe finden konnten. Und gemäß dem letzten Ring unter der Rinde, der zum Glück auch da war, lässt sich das Datum bis auf ein Jahr Abweichung bestimmen. Das ist dann das Jahr, in dem der Baum geschlagen, aber natürlich nicht unbedingt auch der Brunnen schon gebaut wurde“, so der 58-jährige Wissenschaftler.
Diese Art der Bestimmung ist übrigens deutlich genauer als die Radiokarbonmethode. Bei letzterer wird die Zahl an gebundenen radioaktiven Kohlenstoffatomen ermittelt. Da diese mit der Zeit zerfallen, lässt sich das Alter schätzen. Die Dendrochronologie ist zudem wesentlich billiger. In diesem Fall haben die tschechischen Wissenschaftler mit ihren deutschen Kollegen zusammengearbeitet. Jaroslav Peška:„Unsere Dendrochronologen haben auf den sächsischen Jahrringkalender zurückgegriffen. Es gibt zwar noch einen süddeutschen. Doch bei diesem steht in Frage, ob er nicht zu weit entfernt ist, ob nicht damals dort andere klimatische Bedingungen geherrscht haben als in unserer Gegend. Deswegen liegt uns der sächsische Kalender näher, er ist in dem Fall vertrauenswürdiger.“
Außerhalb der Siedlung
Der Brunnen bei Ostrov in Ostböhmen weist indes noch eine weitere Besonderheit auf. Er wurde nämlich nicht direkt in einer steinzeitlichen Siedlung gefunden.„Die Siedlung der linearbandkeramischen Kultur dürfte etwas entfernt gelegen haben, vielleicht aber nur wenige Hundert Meter weiter. Nebenbei bemerkt, trägt der Ort heute den Namen ‚Im Sumpf‘. In jedem Fall mussten die Bewohner wohl zum Wasserholen gehen. Nicht ausschließen lässt sich, dass der Brunnen gleich mehreren Siedlungen gedient hat.“
Und das sei ein Unterschied zu den bisherigen Funden in Sachsen, betont Jaroslav Peška. Dort wurden bei Arbeiten im Braunkohletagebau gleich mehrere Dutzend Brunnen entdeckt. Auch wenn diese etwas jüngeren Datums seien, hätten sie alle direkt in den Siedlungen gelegen, sagt der Archäologe.
„Deswegen hat uns auch nicht erstaunt, dass wir im Innern unseres Brunnens kaum Gegenstände gefunden haben. Wir konnten das Stück eines Geweihs identifizieren und Überreste von Kleintieren sowie Vögeln. Auch fanden sich Scherben eines Gefäßes. Vielleicht ist dieses sogar komplett, wenn wir die Scherben wieder zusammensetzen. Aber es sind eben keine Massenfunde wie in Sachsen.“Und was wird nun aus dem Brunnen? Derzeit wird die Holzkonstruktion mit einer Zuckerlösung konserviert. Der gesamte Prozess dauert mehrere Monate lang. Erst danach kann das Artefakt ausgestellt werden. Jaroslav Peška:
„Ich gehe gemäß vorläufigen Absprachen davon aus, dass der Brunnen künftig in das Schlossmuseum in Pardubice kommt. Dort soll in zwei Jahren eine neue Dauerausstellung eröffnet werden. Bis dahin dürfte der Konservierungsprozess dann auch abgeschlossen sein.“