Transformation und Humanisierung der Pflegedienstleistungen: Pilotphase des neuen Projektes wird ins Leben gerufen
Laut Statistiken aus den Jahren 2008/2009 lebten rund 1,4 Millionen Einwohner im Alter über 65 Jahren in der Tschechischen Republik. Prognosen zufolge wird ihre Anzahl bis 2020 auf 2,35 Millionen steigen. 16 Prozent von ihnen werden langfristig Dienstleistungen aus medizinischen oder Sozialpflege-Einrichtungen brauchen. Unter ihnen auch geistig Behinderte. Das Ministerium für Arbeit und Soziales hat in Zusammenarbeit mit der EU ein Projekt vorbereitet, das die Pflegeeinrichtungen für die Zukunft rüsten soll. In diesem Jahr ist die Pilotphase eingeleitet worden.
Das bestehende Angebot an Sozialpflegeeinrichtigen kann schon jetzt bei Weitem nicht den Bedarf an Heimplätzen decken. Außerdem befindet sich ein Großteil der bestehenden Pflegeheime in einem schlechten bautechnischen Zustand. Eine umfassende Modernisierung ist aber auch im eigentlichen Pflegesystem bitter nötig. Im Bereich der geistig Behinderten tut sich was. Eckdaten über ein neues Projekt haben wir uns von Tereza Kloučková im Arbeitsministerium geholt:
„Unser Ministerium für Arbeit und Soziales befasst sich seit 2005 mit dem Projekt der Transformation und Humanisierung der Pflegedienstleistungen. Sein Konzept wurde im selben Jahr auch in den Plan der legislativen Vorgaben der Regierung einbezogen. Ein Jahr später haben wir ausgewählten Verwaltungsregionen die Teilnahme an dem Projekt zugesprochen.“Im Auftrag des Arbeitsministeriums sollten die Regionalverwaltungen jeweils ein bis zwei Pflegeheime auswählen. die in das Projekt einbezogen werden. Es ist auch an die Möglichkeit gebunden, finanzielle Unterstützung aus dem integrierten Operationsprogramm der EU in Höhe von ungefähr einer Million Euro pro Region zu beziehen. Kloučková zufolge sollten es möglichst große, stark abgenutzte und von der Zivilisation weit entfernte Häuser sein. In solche Objekte, wie zum Beispiel alte Schlösser, haben nämlich kommunistische Machthaber die Behinderten besonders gerne abgeschoben. Nur um so zu tun, als ob es sie gar nicht gäbe. Insbesondere den geistig behinderten Menschen hat der totalitäre Staat kaum Aufmerksamkeit und Unterstützung geschenkt. Der Leitfaden sei logisch, sagt Kloučková:
„Große stationäre Pflegeeinrichtungen für geistig Behinderte bieten ihren Klienten bei Weitem nicht dieselben Lebensbedingungen, wie sie die anderen Menschen unter normalen Umständen haben. Dort herrscht der so genannte Mechanismus der totalen Institutionalisierung. Die Klienten müssen sich dem Programm des jeweiligen Hauses unterziehen, anstatt dass sich das Pflegeheim an ihren Bedürfnissen im Umfang ihrer Fähigkeiten orientiert. Wenn aber geistig Behinderte in einer Wohngemeinschaft unter Aufsicht des Fachpersonals leben können, kommt es zu einer deutlichen Erhöhung ihrer Handlungskompetenzen. Das haben mittlerweile Erfahrungen aus dem Ausland und auch aus Tschechien bestätigt.“Landesweit wurden insgesamt 32 Pflegeheime aus den Regionen Pardubice, Mittelböhmen und Vysočina ausgewählt, von denen aber vorerst nur vier in ein Pilotprojekt einbezogen wurden. Hier ist mit einem kleinen Vorsprung die Testphase des Systemumbaus angelaufen. Zu den ausgewählten Pflegeheimen gehört auch das im ostböhmischen Slatiňany. Man rechnet mit neuen Unterkunftskapazitäten in Betreuungseinrichtungen vom Typ eines Familienhauses. Das wird natürlich recht kostspielig sein. Außer Geldern aus dem Integrierten Operationsprogramm der EU wird an der Umsetzung des Projektes auch ein selbständiger ausländischer Partner beteiligt sein: die „Children´s High Level Group“ aus Großbritannien. Hierzu gehören Fonds der weltweit bekannten britischen Schriftstellerin Joanne K. Rowling. Miroslav Kubín, Leiter des Pflegeheims in Slatiňany, beschreibt den Zustand seines Heims:
„In unserem Pflegeheim in Slatiňany leben insgesamt 300 Klienten. Es sind geistig behinderte Menschen ab drei Jahren. Die obere Altersgrenze ist nicht festgelegt. Wir sind die größte Pflegeeinrichtung dieser Art landesweit. Unser Heim besteht bereits seit 1926.“Ein Teil der Klienten soll in absehbarer Zukunft aus dem großen Haus in mehrere kleinere Häuser umziehen. Wie soll dann ihr betreutes Leben organisiert werden?
„Im jeweiligen Gebäude werden zwei Haushalte mit jeweils sechs Klienten untergebracht. Für wichtig halten wir, dass diese Häuser auf einem größeren Gebiet der jeweiligen Stadt verteilt werden. Und auch nicht nur in einer einzigen Stadt Ostböhmens. Diese Häuser wollen wir voraussichtlich in Pardubice, Chrudim und bei uns in Slatiňany errichten. Anders gesagt, es kommt zu einer großen Änderung in der Gewährleistung der Sozialpflege.“
Nach vielen Jahrzehnten sagt man also ade zum alten System der institutionellen Heimpflege und begrüßt ein neues Pflegesystem im natürlichen Ambiente einer Gemeinde beziehungsweise einer Stadt. Das bedeutet Integration dieser Menschen in ein Milieu, das Jahrzehnte lang nicht daran gewöhnt war. Das mag ein Problem sein. Miroslav Kubín:„Ganz bestimmt! Das ist allerdings - ich wage es zu sagen - ein Problem in ganz Europa oder sogar weltweit. Wir haben schon eine zeitlang ein Partnerheim in Holland, wo eine derartige Pflege bereits seit vielen Jahren gewährleistet wird. Auch dort muss man, wenn ein neues Pflegeheim in einer Straße gebaut werden soll, die Nachbarn vorher mit dem Vorhaben vertraut machen, um eventuelle Vorbehalte oder Beunruhigungen zu vermeiden.“
Miroslav Kubín und einige seiner Mitarbeiter haben mittlerweile Erfahrungen gesammelt – sowohl im Ausland, als auch hierzulande. Daher hat er schon längst eine konkrete Vorstellung, wie das Leben in einem betreuten Haus ablaufen soll:„Man kann nicht sagen, dass wir gar keine Erfahrungen haben. Bereits vor etwa vier Jahren haben wir ein paar Häuser gebaut und durch ihren Betrieb einige Erfahrungen gesammelt. Heute sind wir vollkommen im Bilde, wie dieses System funktioniert. Zu den neuen Tätigkeiten der Belegschaft gehört zum Beispiel die Verpflegung. Es wird nicht mehr in einer zentralen Küche für alle gekocht. Das Essen wird von den Hausbewohnern selbst zubereitet. Gleiches gilt für das Wäschewaschen, Einkäufe und Ähnliches.“
Die Arbeit mit Behinderten, seien es die körperlich oder geistig Behinderten, ist im Allgemeinen nicht leicht. Motivierte Mitarbeiter zu finden auch nicht. Für den Leiter des Pflegeheimes in Slatiňany scheint das aber kein Problem zu sein:„Das Interesse an der Arbeit bei uns ist groß. Ich kann verraten, dass wir insgesamt 240 Stellen haben. Die Zahl der Bewerber reicht bis zu 400. Jeder Bewerber wird beim Auswahlverfahren zunächst einem Persönlichkeitstest unterzogen. Anschließend macht er sich mit der eigentlichen Arbeit vertraut. Wir haben dafür schon ein System ausgearbeitet. Für die Position des normalen Sozialpflegers braucht man keine außerordentliche fachliche Qualifizierung. Wir sind in der Lage, diese Mitarbeiter entsprechend einzuschulen, sodass sie nach einer bestimmten Zeit gut arbeiten können.“
Der heutige Trend ziele darauf ab, dass womöglich jedes Verwaltungsgebiet für seine Bewohner die Sozialpflege gewährleistet, erläutert Kubín. Künftig soll es nicht mehr so sein, dass sich einige Landkreise auf derartige Dienstleistungen auch für Klienten aus anderen Teilen des Landes einstellen. Kommerzielle Gründe spielen dabei natürlich eine bedeutende Rolle.