Tschechen beim Schulfest im Albert-Einstein-Gymnasium Berlin
Vor zwei Wochen haben Sie mit uns eine Prager Schule besucht, in der Berliner Schüler zu Gast waren. Heute ist es umgekehrt: Diesmal besuchen wir eine Berliner Schule, wo wiederum des Öfteren Tschechen anzutreffen sind. Mehr in der nun folgenden Sendereihe "Begegnungen" von und mit Jitka Mladková.
Diesmal möchte ich Sie, liebe Freunde, in das Berliner Albert-Einstein-Gymnasium einladen. Hier wurde kürzlich ein für diese Schule bedeutendes Jubiläum gefeiert. Vor genau 50 Jahren hatte Albert Einstein, damals in den USA lebend, auf die schriftliche Bitte der damaligen Schulleitung und der Schüler, ihrem Gymnasium seinen Namen verleihen zu dürfen, positiv geantwortet. Aus diesem Anlass wurde imm A-E-G Berlin-Neukölln kräftig gefeiert. Die ganze Schule war geschmückt, die Schülerschaft den ganzen Tag auf den Beinen, denn in vielen Räumlichkeiten des Gebäudes, ob groß oder klein, gingen verschiedenste Veranstaltungen über die Bühne.
Z.B. in der Aula ein Wissensquiz über den weltberühmten Namensgeber Einstein in der Regie des ZDF ...
... in der Turnhalle Vorträge renommierter Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut oder eine Präsentation der Schulbigband....
... außerdem verschiedene Projektpräsentationen, Ausstellungen und vieles mehr. Mit dabei waren auch Gäste aus Partnerschulen in Italien, Polen und Tschechien. Das Albert-Einstein-Gymnasium hat schon vor einigen Jahren eine Partnerschule im 8. Prager Stadtbezirk gefunden - ebenfalls ein Gymnasium, wegen zwei "G" in seinem Logo kurz "GG Gymnasium" genannt. Von dieser Schule wurde diesmal eine Gruppe angehender Abiturienten zu einem mehrtägigen Besuch in Berlin geladen, um bei dem Schulfest zwei eigene Kurzspielfilme vorzuführen. Bei einem Gespräch fragte ich sie nach ihren Erlebnissen bzw. Erfahrungen mit dem Schüleraustausch und beim Umgang mit deutschen Altersgenossen. Hier eine kurze Zusammenfassung unseres Gesprächs:
"Es war im Prinzip problemlos, da die junge Generation hier, würde ich sagen, ziemlich offen ist und sich gerne mit Unbekanntem bekannt macht."
Inwieweit offen, wollte ich wissen, und ob sie auch zu Gast bei deutschen Familien waren:
"Wir waren auch bei Familien zu Besuch, die an dem Schüleraustausch nicht unmittelbar beteiligt waren, und sie alle waren offen und haben uns ohne Probleme auch für ein paar Tage bei sich zu Hause untergebracht."
Wie urteilen sie also über die Deutschen? Man hört doch immer wieder über ungelöste Probleme, die aus der Vergangenheit herrühren!
"Ich würde sagen, dass die Deutschen heutzutage sehr den Tschechen ähneln, zumindest die jüngere Generation. Einen politischen oder anderen Druck spüre ich da nicht. Und so konnten unsere partnerschaftlichen Beziehungen nach dem Jahr 1990, und insbesondere in den letzten Jahren, gut gedeihen. Im Grunde genommen glaube ich, dass es keine Probleme gibt. Die sind bereits gelöst worden."
Und doch stößt man in Tschechien immer noch, vor allem bei älteren Menschen, auch auf Misstrauen oder gar negative Einstellungen gegenüber den Deutschen. Kennt ihr so etwas auch aus eurem Umfeld, fragte ich:
"Im Falle meiner Familie ist es anders. Die Ansichten der zwei älteren Generationen sind nach wie vor positiv. So z.B. meine Oma. Da unsere Familie aus dem ehemaligen Sudetenland stammt, spielte sie vor dem Krieg gemeinsam mit tschechischen und deutschen Kindern auf der Straße. Sie lernte dabei Deutsch, und schon damals habe es dort keine Probleme gegeben, erzählte sie mir. Diese seien erst durch einen von oben ausgeübten Druck entstanden. Irgendwelche Meinungsdifferenzen hätten nicht existiert. Man hat sie erst konstruieren müssen."
"Auch in meiner Familie hat man diskutiert, speziell im Zusammenhang mit meinen Aufenthalten in Deutschland. Mein Großvater hat bis dahin über die Deutschen mit etwas Abstand geurteilt. Er hatte mit ihnen nicht die besten Erfahrungen gemacht. Als er jung war, wollte er nicht Deutsch lernen und wurde deshalb aus der Schule geschmissen. Erst nach dem Krieg konnte er die Schule abschließen. Aber jetzt hat er schon eingesehen, dass ich Deutsch lerne. Schließlich leben wir in einer Region Europas, wo wir zum Teil von deutschsprachigen Ländern umgeben sind."
"Als ich zum ersten Mal aus Berlin kam, waren meine Eltern begeistert, dass die junge deutsche Generation schon ganz normal ist. Die sind wirklich nicht anders als wir."
"Auch bei mir gab es keine Probleme in der Familie. Meine Eltern freuten sich eigentlich darüber, dass ich dort war, wo sie nicht hinfahren durften. Außerdem sahen sie es auch pragmatisch in dem Sinne, dass ich bei diesen Aufenthalten Deutsch lernen kann. Zu etwas wird es in meinem Leben schon gut sein."
Nicht nur durch Schüler und Schülerprojekte sind die beiden Schulen vernetzt. Im Januar dieses Jahres wurde das Albert-Einstein-Gymnasium in Berlin für ein Jahr zur Arbeitsstätte bzw. zum Domizil von Robert Prochazka, Geschichtslehrer vom GG Gymnasium in Prag. Ihn fragte ich, ob Tschechien für seine deutschen Schüler in gewissem Sinne nicht doch als "terra incognita", als unbekanntes Land gilt. Und seine Antwort?
"Für einen größeren Teil, würde ich sagen. Wir haben versucht, diesen Mangel zu beheben, indem wir im September eine Reise nach Prag veranstaltet haben. Dort haben wir uns mit einer tschechischen Klasse in Verbindung gesetzt. In Prag waren wir insgesamt zehn Tage und die tschechischen und die deutschen Schüler haben an verschiedenen Projekten zusammenarbeitet. Wir haben uns vormittags in einer Schule getroffen. Dort hatten die Schüler die Gelegenheit, die Projekte bzw. die jeweiligen Themen zu bearbeiten. Nachmittags haben sie Museen, Galerien oder Gedenkstätten besucht und anschließend, nach ungefähr acht Tagen, kam es zu einer Präsentation der Ergebnisse. Die Schüler haben sich in einzelne Teams aufgeteilt, diese haben sich die Themen ausgesucht, welche sie interessant fanden. Z. B. die jüdische Kultur in Prag und Berlin, oder das Werk von Franz Kafka, Alfons Mucha usw."
Verlief die Themenwahl im Einklang mit den Interessen der Schülerinnen und Schüler, oder hat er als Lehrer auch ein bisschen Druck ausgeübt?
"Also... nur teilweise. Ich selbst habe den Schülern angeboten, sich mit diesen Themen zu beschäftigen, und die meisten haben diese Themen auch mit Freude angenommen."
Wie war's dann am Ende? Wurden Freundschaften geknüpft? Mit welchen Eindrücken sind die deutschen Schüler nach Hause gefahren?
"Den deutschen Schülern hat es in Prag sehr gut gefallen. Einige stehen sogar noch in Kontakt mit ihren tschechischen Freunden. Ja, es ist uns gelungen, diese Kontakte aufzubauen. Es hat sich jetzt z. B. ein Schüler gemeldet, der interessiert ist, einen tschechischen Schüler bei sich zu Hause unterzubringen. Und als Gegenleistung wird er die Möglichkeit haben, erneut nach Prag zu fahren. Das trifft nicht nur für diesen einen Schüler zu, sondern für mehrere. Und nicht in einer Klasse, sondern in mehreren Klassen hier an der Albert-Einstein-Oberschule."
Soweit Robert Prochazka. Kurz habe ich mich auch mit seiner deutschen Kollegin, Frau Krüger, unterhalten:
Frau Krüger, das ist keine Seltenheit, dass Schüler Ihrer Schule nach Tschechien fahren!
"Ja, das stimmt. Unsere Schule hat Beziehungen zu Tschechien oder auch zu einer Stadt in Polen. Wir sind fast wie ein Reisebüro, und insofern ist es nur logisch, dass unsere Schüler auch Austausch mit anderen Schulen in anderen Ländern pflegen, ihre Lebensarten und ihre Kultur kennen lernen. Das ist natürlich ein toller Beitrag, insbesondere auf dem Weg nach Europa."
Worin sehen Sie die Bedeutung eines solchen Ausflugs, wenn man dann direkt vor Ort dies und jenes sehen kann?
"Da wird das Leben hautnah beobachtet. Man erlebt es nicht nur aus der Literatur, aus Vorträgen oder aus der Schule. Wir hatten z.B. eine Führung im Jüdischen Viertel, bei der uns viele persönliche Eindrücke von der Führerin vermittelt wurden. Dadurch wird die Geschichte lebendig. Insofern ist so ein Austausch immer gut dafür, die Geschichte oder auch die Gegenwart erstmals zu erleben. Viele haben auch persönliche Kontakte geknüpft und würden gerne zurückfahren. Und auch hier wurden einige tschechische Schüler aufgenommen, die jetzt an unserem Schulfest teilnehmen."
Das Schulfest im Berliner Albert-Einstein-Gymnasium hat bestimmt nicht das letzte Mal so viele junge Leute aus mehreren Ländern unter einem Dach zusammengeführt. Der Schulleiter Klaus Lehnert schmiedet unermüdlich weiter neue Pläne für seine "Europäische Schule" und deren grenzüberschreitende Partnerschaften.