Tschechen in den USA

Augustin Herman (1605 - 1686)

Vielleicht haben Sie in letzter Zeit auch schon mal etwas über die Vorfahren des wahrscheinlichen demokratischen US-Präsidentschaftskandidaten John Kerry gehört oder gelesen. Diese sollen u.a. aus den Böhmischen Ländern stammen. Im nun folgenden Kapitel aus der tschechischen Geschichte erfahren Sie von Daniel Satra und Katrin Bock nicht nur etwas über die Ahnen des heutigen US-Senators, sondern auch über andere Tschechen, die in den USA ihr Glück versuchten.

Zu den heute bekanntesten Tschechen in Amerika gehören der Regisseur Milos Forman, die Tennisspielerin Martina Navratilova, all die Eishockeyspieler, die in der amerikanischen NHL spielen und der Komponist Jan Hamr, der durch seine Musik zur US-Serie Miami Vice berühmt wurde, die Sie im heutigen Geschichtskapitel hören werden. Doch nicht nur in diesem Jahrhundert machten sich Bewohner der Böhmischen Länder auf den Weg über den Ozean, um in der neuen Welt ihr Glück zu versuchen. Die ersten Tschechen trafen wahrscheinlich im 17. Jahrhundert in Neuengland ein. Einige von ihnen hatten Glück, andere weniger, in manchen Familien stellte sich der Erfolg erst in späteren Generationen ein, wie im Falle des Senators John Kerry.

Die ersten Nachrichten über die Entdeckung Amerikas erreichten die Böhmischen Länder Anfang des 16. Jahrhunderts. 1506 erschien in Prag eine tschechische Übersetzung eines spanischen Reiseberichtes über Amerika. Der erste Bewohner der Böhmischen Länder, der Amerika mit eigenen Augen gesehen hat, ist wohl Joachim Gans, der 1585 als Metallurg einige Monate in der Gegend der heutigen Staaten Virginia und North Carolina verbrachte. Seine von Archäologen wieder entdeckte metallurgische Werkstatt gilt heute als das älteste, erhaltene wissenschaftliche Laboratorium in den USA.

Augustin Herman  (1605 - 1686)
Der erste, historisch belegte Tscheche, der sich in Nordamerika niederließ, war ein gewisser, wahrscheinlich aus Prag stammender Augustin Herman. 1633 wird sein Name erstmals im Verzeichnis der Angestellten einer holländischen Handelsfirma erwähnt. Später erarbeitete Herman die erste genaue Landkarte von Virginia und Maryland. Zur Belohung erhielt er 1663 einige Hektar Land, die er Bohemia Mannor taufte. Noch heute erinnert dort eine Gedenktafel an den Gründer von Bohemia Mannor.

Die Gründe für eine Auswanderung in die neue Welt waren verschieden, oftmals spielten politische Entwicklungen und Glaubensfragen eine Rolle. So setzte eine erste Auswanderungswelle aus den Böhmischen Ländern nach 1620 ein. Nach der Niederlage der protestantischen Stände in der Schlacht am Weißen Berg 1620 begann die Rekatholisierung der Böhmischen Länder. Wer zu seinem protestantischen Glauben stand, wurde verurteilt, oder aber emigrierte. Viele Flüchtlinge ließen sich damals in protestantischen Ländern in Europa nieder, einige wagten sich aber auch über den Ozean. So gründeten die Mährischen Brüder im Verlaufe einiger Jahrzehnte mehrere Siedlungen in Nordamerika.

Im Verlauf des 18. und 19. Jahrhundert wiederum verließen diejenigen die Böhmischen Länder, die mit der Habsburger Macht in Konflikt geraten waren. Der bekannteste von ihnen ist wohl Karel Postl, der aus Angst vor politischer Verfolgung floh und sich 1825 in den USA niederließ. Als Charles Sielsfield verfasste er Abenteuerromane. In Europa waren seine Romane über Indianer und die Eroberung der wilden Prärie Bestseller.

Regelmäßige Schiffahrt von Hamburg nach New York,  Plakat von Josef Pastor
Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Auswanderung zu einem großen Geschäft, mehr und mehr Einwanderer strömten in die USA. Schiffsgesellschaften warben ebenso um Kunden wie Einwanderungsgesellschaften. Die Überfahrten waren nun auch für arme Familien erschwinglich. Die Bedingungen auf den Schiffen waren allerdings alles andere als gut. Nicht selten starb während der mehrwöchigen Seereise über die Hälfte der Passagiere.

Zwischen 1890 und 1910 wanderten rund 125.000 Bewohner der Böhmischen Länder in die USA aus. Zuvor allerdings mussten sie in ihrer alten Heimat einen so genannten Entlass-Schein unterzeichnen und sich verpflichten, dass sie nie wieder in die Habsburger Monarchie zurückkehren werden. Zu jener Zeit emigrierte auch der Großvater von Senator John Kerry in die USA.

Geboren ist der Großvater 1873 als Fritz Kohn im heutigen Horni Benesov, damals hieß das kleine Städtchen in Schlesien allerdings noch Bennisch. Sein Vater war Brauer in der dortigen Brauerei. Damals lebten in Bennisch nur Deutsche, auch nach der Gründung der Tschechoslowakei 1918 blieb Horni Benesov ein deutschsprachiges Städtchen. Die deutsche Bevölkerung wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben, neue Familien siedelten sich hier an und so gibt es heute niemanden, der sich an die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg erinnert. Einzig die Archive können Auskunft geben.

Die Kohns gehörten zur jüdischen Bevölkerung der Stadt. Wann sie das schlesische Provinzstädtchen verließen, ist unbekannt, doch es steht fest, dass Fritz Kohn nach Wien zog und dort 1902 seinen Namen in Kerry ändern ließ und zum katholischen Glauben übertrat. 1904 emigrierte er in die USA und zog nach Boston. 17 Jahre später verübte Kerry dort Selbstmord - seiner Familie hinterließ er nichts als Schulden.

Inzwischen waren die Archivare und Hobbygenealogen in Mitteleuropa sehr fleißig. Jeder versucht, Ahnen des vielleicht zukünftigen US-Präsidenten in seiner Stadt bzw. Land zu entdecken. Neben Tschechien haben sich inzwischen Polen, Ungarn und Österreich gemeldet. Ein ganz gewagter Lokalhistoriker aus dem mährischen Boskovice hat sogar zu belegen versucht, dass John Kerry von keinem geringeren als dem sagenhaften Rabbi Löw abstammt, der im 16. Jahrhundert in Prag den Golem erschuf. Die Urgroßmutter des US-Senators war eine geborene Löw und war 1845 in Boskovice zur Welt gekommen. In Boskovice sollen auch Nachfahren des Rabbi Löw einige Zeit gelebt haben. Im 20. Jahrhundert gab es drei große Einwanderungswellen aus der damaligen Tschechoslowakei in die USA. Die erste, in den 20er und 30er Jahren, war wirtschaftlich bedingt. Insbesondere aus den ländlichen Gegenden der Slowakei und Karpathoukraine flohen Familien vor der überall herrschenden Armut. Unter den damals rund 50.000 Auswanderern aus der Slowakei befand sich auch die Familie Warhola - deren Sohn, Andrej Warhola kam bereits in den USA zur Welt und wurde als Andy Warhol weltberühmt.

In den 1930er Jahren spielte ein Tscheche eine große Rolle in der Politik. Der aus dem mittelböhmischen Kladno stammende Anton Cermak wurde 1931 Bürgermeister von Chicago, wo er einen Kampf gegen die Mafia und Al Capone führte. Im Februar 1933 traf sich Cermak mit US-Präsident Franklin Roosevelt und rettete ihm das Leben. Als ein Attentat auf den Präsidenten verübt wurde, trafen die Kugeln den gebürtigen Tschechen, der seinen Verletzungen erlag.

Während des Zweiten Weltkriegs fanden hunderte von Tschechen und Slowaken eine vorübergehende Heimat in den USA. Nach Kriegsende kehrten viele von ihnen in die befreite Tschechoslowakei zurück. Knapp drei Jahre später übernahmen die Kommunisten die Macht im Lande und ein neuer großer Flüchtlingsstrom setzte ein. 60.000 Tschechen und Slowaken sollen noch im Jahre 1948 in die USA gekommen sein. Damals fand auch das 11jährige Prager Mädchen Marie Korbelová mit ihren Eltern Zuflucht in den USA - als Madeleine Albright wurde sie später US-Außenministerin.

Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 verließen abermals Tausende die Tschechoslowakei. Schätzungsweise 25.000 kamen bereits 1968 und 1969 in die USA. Heute sollen in den USA rund 780.000 Menschen leben, die 100prozentig tschechischer Abstammung sind. Weitere 1.100 000 Menschen haben zumindest einen tschechischen Elternteil.