Über die Grenze in die Schule - 10 Jahre Schkola-Reformpädagogik im Dreiländereck
Einmal pro Woche packen die Schüler der Grundschule Hartau morgens ihre Ranzen und marschieren über die Grenze ins benachbarte Hradek zum gemeinsamen Unterricht mit ihren tschechischen Partnerschülern. Grenzenloser Unterricht im Dreiländereck - für rund 300 Schüler an inzwischen vier freien Schulen im Landkreis Löbau-Zittau in Sachsen heute eine Selbstverständlichkeit. Bereits zehn Jahre alt ist das Projekt "Schkola", das für reformpädagogischen, zweisprachigen Unterricht steht - mit dem Ziel, junge Menschen auf beiden Seiten der Grenze für eine gemeinsame Zukunft in der strukturschwachen Region auszubilden und vor allem: zu begeistern. Am vergangenen Wochenende haben sich Vertreter der Schkola zusammengesetzt und über die Zukunft ihrer freien Schulen beraten - auch mit Blick auf das geplante neue Schulgesetz in Sachsen. Silja Schultheis hat sich mit Mike Wohne, dem Initiator und Zugpferd des Schkola-Projektes ,über die Zukunft des Netzwerkes unterhalten und Bilanz über die zurückliegenden zehn Jahre gezogen.
Es gibt das Schkola-Netzwerk jetzt bereits seit zehn Jahren. Wohin soll der Weg in den nächsten Jahren führen, welche Pläne haben Sie hier am Wochenende geschmiedet?
Auf der Tagung haben wir im Wesentlichen die Grundsätze des Schkola-Konzeptes noch einmal abgeklopft - das heißt mit Eltern, Schulträger und Mitarbeitern unser Schule. Und da kam klar zum Ausdruck, dass wir speziell im Oberland - das ist die Grenzregion Rumburk, Ebersbach, Neugersdorf - das Konzept unserer Grundschule weiterführen werden - mit den Kernpunkten des altersgemischten Unterrichts und insbesondere natürlich auch das Konzept Nachbarschaft und Sprache, gemeinsam mit der Partnerschule in Rumburk.
Sie haben vor zehn Jahren mit dieser Idee angefangen, es gab einen langen Kampf, für die Schulen des Freien Schulträgerverbandes auch eine staatliche Anerkennung zu bekommen. Jetzt steht in Sachsen ein neues Schulgesetz zur Debatte. Was würde es für Ihren Schulträgerverein bedeuten, wenn es in Kraft träte?
Das würde für uns einen Rückschritt von mindestens 10-15 Jahre bedeuten. Die Freiheitsrechte der freien Schulen sollen enorm verändert werden. Wir sollen angepasst werden an die strukturellen Gegebenheiten der staatlichen Schulen, und zwar sowohl was die Zügigkeit als auch die Klassenstärken und die Flexibilität der Unterrichtsorganisation anbelangt. Und das ist für uns als reformpädagogische, freie Schulen im Grenzraum natürlich ein Desaster. Es ist zum einen die inhaltliche Konstituierung des Gesetzes, über die wir sehr unglücklich sind, weil wir als reformpädagogische Schulen diese Freiheiten brauchen. Zum zweiten ist es natürlich der ganze Berg der Finanzierung. Man will die freien Schulen noch weiter drücken, was die Zuschüsse des Freistaats Sachsen angeht.
Wäre es für Sie mit ernsthaften finanziellen Problemen verbunden, wenn das neue Schulgesetz tatsächlich verabschiedet wird?
Der Freistaat Sachsen sagt, dass sich die Finanzlage der Schulen verbessern wird, da das Schulgeld nicht mehr gedeckelt wird. Bislang war es ja so, dass wenn man mehr Schulgeld genommen hat, dieses Mehr von den staatlichen Zuschüssen abgezogen wurden. Das entfällt jetzt. Der Freistaat sagt, ihr könnt Schulgeld nehmen. Es gibt zwar noch eine Obergrenze, aber die liegt fern jeglicher Realitäten. Nur muss man auch bedenken, dass wir hier im Grenzgebiet in einer sehr strukturschwachen Gegend leben. Das Potenzial der Elternschaft ist nicht so, dass wir Schulgeld über 100 Euro nehmen könnten. Das heißt, wir sind gar nicht in der Lage, das vom Staat anberaumte Defizit gegen zu finanzieren mit Hilfe des Schulgeldes. Das ist das Hauptproblem. Wir leben hier eben nicht in Dresden, sondern hier in der Grenzregion gibt es 25 Prozent Arbeitslosigkeit.
Wie werden Sie ganz konkret darauf reagieren, wenn das Schulgesetz in Kraft tritt?
Zunächst gehen wir davon aus, dass es nicht in Kraft tritt. Denn auch die anderen freien Träger, sei es die katholische Kirche, die Diakonie, die evangelischen Träger, haben deutlich klar gemacht, dass wir auf jeden Fall verfassungsrechtlich vorgehen werden, weil für uns Grundsätze der sächsischen und auch der bundesdeutschen Verfassung nicht mehr gegeben werden. Das heißt, wir gehen davon aus, dass es in der jetzigen Fassung nicht zustande kommt. Das heißt, wir gucken vorwärts, und nicht rückwärts. Sollte es wider Erwarten dennoch zu dem neuen Gesetz kommen, muss man sehen, welche konkreten Schritte dann folgen. Es wird in jedem Fall eine Flut von Klagen geben und da muss man mal sehen, wie das ausgeht.
Sie arbeiten ja seit Jahren eng mit Schulen in Tschechien zusammen. Wie ist in ihrer Wahrnehmung dort die Stellung freier Schulen?
Wir haben ja erst im vergangenen Schuljahr in Rumburk mit dem dortigen Elternverein die Grundschule Pastelka gegründet. Dort sieht es so aus, dass die freien Schulen im ersten Jahr 60 Prozent der Zuschüsse vergleichbarer staatlicher Schulen bekommen. Und im zweiten Jahr, nach einer erfolgreich überstandenen Inspektion, können sie sogar 100 Prozent bekommen.. Die Inspektion an der Pastelka ist jetzt gewesen und ist wohl auch recht positiv verlaufen.
Wie war das Interesse an der Gründung der Pastelka seitens der tschechischen Eltern?
Die Pastelka hat zur Zeit 60 Kinder. Das Interesse war überraschend groß. Dazu muss man aber auch sagen, dass der Zusammenhalt in der Lehrer- und Elternschaft riesengroß war in der Gründungsphase. Und die war nicht einfach, denn der Staat hat ja auch hier versucht, die Gründung zu verhindert - mit dem Argument, dass ja auch staatliche Schulen geschlossen werden auf Grund der rückläufigen Schülerzahlen.
Worin unterscheidet sich die Pastelka von einer 'normalen' staatlichen Schule in Tschechien.
Zum einen durch die Motivation der Eltern, Lehrer und Schüler. Und das spürt man gerade an dieser Schule sehr deutlich. Das zweite ist natürlich das reformpädagogische Konzept. Das heißt, auch in der Pastelka geht man neue Wege von neuem Unterricht, von freiem Unterricht, von Demokratieverständnis, das sich ja in Tschechien noch viel mehr entwickeln muss als in den letzten Jahren. Und der dritte Punkt - sehr wesentlich für die Pastelka und die Schkola - ist die gemeinsame wöchentliche Begegnung und der gemeinsame Unterricht deutscher und tschechischer Kinder, ähnlich wie auch in Hartau und in Johnsdorf, wo wir schon seit vielen Jahren mit der tschechischen Stadt Hradek zusammenarbeiten. Und das zeichnet auch den gesamten Schulverbund Schkola aus.
Ja, das ist unsere erste deutsch-polnische Schule. Wir haben auch Partner in Polen gefunden, die sich bei uns gemeldet haben. Und das ist das Schöne daran: dass mittlerweile wirklich auch Leute kommen und sagen, wir haben von dem Konzept gehört und würden auch gerne etwas Ähnliches machen. Und da haben wir entschieden, dass wir dort auch selber als Träger auftreten. Und so gibt es seit diesem Schuljahr 20 Kinder, die nach dem bewährten Konzept der Schkola deutsche und polnisch lernen - gemeinsam mit der polnischen Partnerschule der Schkola.
Sie haben das Schkola-Netzwerk damals mit der Idee gegründet, im Grenzraum die Möglichkeit zu schaffen, dass Schüler die Sprache des Nachbarn lernen und diese dann auch beruflich nutzen können. Kann man nach zehn Jahren schon eine Bilanz ziehen, wie das Interesse an dieser Idee aussieht?
Wir haben derzeit die ersten Kinder der Grundschule von Hartau, die damals dort mit der ersten Klasse dort gestartet sind, in der achten Klasse in der weiterführenden Schule in Johnsdorf. Und dort haben wir erreicht, dass diese Schüler mindestens einmal im Jahr ein Praktikum in Tschechien machen, dass sie zum Schüleraustausch in tschechische Schulen fahren, mindesten fünf Tage im Schuljahr, dass tschechische Schüler auch regelmäßig zum Austausch in deutschen Schulen sind. Das heißt, hier tragen wir die Früchte in der Form, dass die Kinder nach wie vor nach Tschechien gehen - und das ist, denke ich, ein Ergebnis, das sehr positiv bewertet werden kann. Gerade in diesem komplizierten Alter der Pubertät, wenn die Fragen des Umfeldes beginnen, warum lernt ihr denn tschechisch? Und das sind ja meistens keine sehr positiven Fragestellungen, wenn man sich die Region auf deutscher und tschechischer Seite anschaut. Da müssen unsere Schüler eine Menge aushalten - und das meistern sie eigentlich sehr gut. In zwei Jahren werden hier erstmals Schüler die Abschlussprüfung in Tschechisch oder einer anderen Nachbarsprache ablegen - und dann werden wir sehen, wie die Vermittlungschancen sind, ob sie durch die Zweisprachigkeit Vorteile haben oder ob das einfach nur eine wichtige erzieherische Komponente war.