Wenn Tschechen eine Reise tun...- Entwicklungen in der Tourismusbranche
Es ist der 18. Sommer, in dem Tschechen und Slowaken die uneingeschränkte Reisefreiheit genießen. Hat sich das Reiseverhalten der Tschechen in diesen fast zwei Jahrzehnten verändert? Sind sie Strandhocker und Sonnenanbeter oder lieben sie den Action-Urlaub? Welche Reiseziele steuern Tschechen besonders gerne an. Über diese Fragen hat Christian Rühmkorf mit Jan Papez gesprochen, dem Sprecher des Verbands der Reisebüros in der Tschechischen Republik (ACK).
"Der heimische Tourismus wächst. Das heißt, immer mehr Tschechen bleiben im eigenen Land und reisen in Böhmen und Mähren, als das früher der Fall war."
Nehmen die Tschechen dabei oft den Service eines Reisebüros in Anspruch oder stürzt man sich auf eigene Faust ins Abenteuer?
"Da muss man unterscheiden. Die mittleren und älteren Jahrgänge bevorzugen Reisen mit einem Reisebüro, weil sie die Sicherheit haben möchten, dass alles, was sie erleben, positiv ist. Die jüngeren Leute hingegen, die viele Sprachen sprechen und sich nach Abenteuer sehnen, reisen immer häufiger auf eigene Faust. Es gibt aber allgemein den Trend, den Urlaub auf aktive Art und Weise zu verbringen. Die Leute wollen immer häufiger außergewöhnliche Sachen erleben, wie Tauchen, Golf, Trekking, Rafting, Fahrradtouren - und das auch im Ausland."
Die Strandhocker und Sonnenanbeter werden wohl trotzdem nicht aussterben. Wie breit ist das geografische Spektrum der Reiseziele? Haben die Tschechen Lieblingsländer?
"Das Spektrum ist im Wesentlichen so breit wie in den westlichen Ländern. Es gibt eigentlich keinen Ort mehr auf der Welt, wohin Tschechen nicht reisen. Darunter sind auch extreme Sachen wie Grönland oder Südafrika, Australien, Neuseeland, Tahiti, Fidschi - es ist also ein sehr breites Spektrum. Aber in extrem weit entfernte Länder fliegen nur wenige Leute, weil es einfach sehr teuer ist. Was die näher gelegenen Reiseziele betrifft, so ist Kroatien immer noch ein Dauerbrenner, aber auch Bulgarien, Spanien und Griechenland. Das sind alles Evergreens des tschechischen Tourismus."
Herr Papez, Sie sind schon seit 1990 in der Branche tätig. Wie sieht die Entwicklung des Reisens seit der Samtenen Revolution 1989 aus? Haben sich da die Vorlieben der Tschechen über die Jahre verändert?
"Ich denke das Reisen hat sich seit der Revolution genauso entwickelt wie die Gesellschaft im Ganzen. Am Anfang waren die Leute bereit unter allen Umständen und Bedingungen zu reisen, nur um einfach ins Ausland zu kommen. Sie hungerten geradezu nach Reisen. Aber im Laufe der Zeit haben sich die Ansprüche der Kunden sehr gesteigert. Sie werden sich immer mehr bewusst, dass die Reisebranche ein Dienstleistungssektor ist. Sie werden, was den Service betrifft, immer anspruchsvoller. Aber auch der Kunde selbst hat sich bedeutend verändert. Am Anfang war für ihn alles eine Überraschung, weil er mit dem Fall des Kommunismus aus einer "Grauzone" herausgetreten ist. Heute sind die Tschechen gewöhnliche Reisende, genauso wie die Menschen aus dem westlichen Europa. Es gibt Leute, die sich für Kunst interessieren, Leute, die sich für die Natur oder für Architektur interessieren. Es zählen das Entdecken und das Ausruhen - wie überall auch."
Gibt es also keinen Unterschied mehr zwischen dem Reiseverhalten in den alten europäischen Ländern und Tschechien?"Vielleicht kann man sagen, dass sich die Tschechen in einem Punkt doch noch etwas unterscheiden von Westeuropäern. Es gibt hier immer noch Leute, die imstande sind, das ganze Jahr zu sparen, damit sie eine Woche in Urlaub fahren können."
Worin liegt Ihrer Meinung nach genau der Unterschied, sagen wir, zwischen einem Deutschen und einem Tschechen?
"Ich glaube, ein Deutscher ist nicht bereit, ein ganzes Jahr Geld auf die Seite zu legen, damit er es dann innerhalb einer Woche Urlaub ausgibt. Da sucht man sich lieber gleich ein billigeres Reiseziel. Bei den Tschechen sieht das anders aus. Es gibt viele Kunden, die das ganze Jahr sparen, um nach Jordanien zu fahren oder um eine Safari in Südafrika zu erleben und sich damit seinen Lebenstraum zu erfüllen. Tschechen und Slowaken sind darin sehr speziell. Sie sind bereit, hart zu sparen, um sich ihren Reisetraum zu erfüllen."
Sie haben gesagt, dass die Tschechen eifrige Sparer sind. Wie viel gibt ein Tscheche durchschnittlich pro Jahr für das Reisen aus?
"Reisebüros für den Massentourismus verkaufen in der Regel Reisen, die zwischen 12. und 22.000 Kronen kosten. Anbieter für den exotischen Tourismus verkaufen Reisen im Wert von 25 bis hin zu 60.000 Kronen. Das ganze Preisspektrum kann sich aber im Schnitt zwischen 15.000 bis zu einer Million Kronen im Jahr bewegen."
Also zwischen 500 und 35.000 Euro. Mit gestiegenen Ansprüchen und größeren Ausgaben steigen auch die Erwartungen. Macht sich das bei Reklamationen und Beschwerden bemerkbar?
"Die Erfahrungen der Reisebüros zeigen, dass sich am meisten die Leute beschweren, die am wenigsten reisen. Diese Leute haben vielleicht 9000 (ungefähr 310 Euro) Kronen über das Jahr angespart, sie haben unglaublich viel Energie darein gelegt, das Geld zusammen zu bekommen. Daher ist ihre Vorstellung darüber, was sie für dieses Geld bekommen, genauso groß wie die Energie, die sie dafür aufgewendet haben. Aber für dieses Geld können sie eben in einem Ein- oder Zwei-Sterne-Hotel nicht den Service eines Fünf-Sterne-Hotels erhalten. Der Widerspruch also zwischen der Vorstellung und der Realität führt oft zur Reklamation."
Fehler gab es auch auf Seiten der Reisebüros. Nach der Wende sind sie ja wie Pilze aus dem Boden geschossen - darunter viele schwer verträgliche oder gar Giftpilze, um im Bild zu bleiben.
"Zu Beginn der 90er Jahre konnte jeder ein Reisebüro aufmachen, der - wie wir sagen - ein Loch in der Nase hatte. Wer ein Reisebüro wollte, der konnte sofort eines eröffnen. Mit der Zeit sind nicht nur die Ansprüche der Kunden gestiegen, sondern auch die gesetzlichen Anforderungen an die Reiseanbieter. Deshalb konnte mit der Zeit aus der Branche eine professionelle Branche werden, mit einem gesetzlichen Rahmen, mit Geschäftsgrundsätzen usw. - und mit einem besseren Service. Aber diese Entwicklung musste fast jede Branche nach der Revolution durchmachen. Und ich meine, dass es für die Kunden von Jahr zu Jahr besser wird."Herr Papez, wohin reisen Sie in diesem Sommer?
"Ich liebe besonders Afrika und Asien. Gerade vor ein paar Tagen bin ich aus Simbabwe zurückgekehrt. In diesem Jahr fliege ich noch ein paar Mal nach Afrika und im Herbst geht es dann in die kanadischen Nationalparks und danach nach Peru."
Alles in diesem Jahr? Das hört sich nach Arbeit an?
"Das ist bei mir genauso wie mit der Stute des Schmieds, die ja bekanntlich auch keine Hufeisen hat. Ich hatte in den letzten Jahren einfach keinen Urlaub. Ich fahre immer als Reiseführer mit einigen Gruppen. Das ist die Kombination von Arbeit und Spaß. Ich liebe diese Arbeit, aber richtiger Urlaub ist das natürlich nicht."