Wintersport nur noch dank Schneekanonen? Tschechien diskutiert über künstliche Beschneiung
Die Winter waren in den vergangenen Jahren in Tschechien ziemlich mild. Schnee fiel nur in kurzen Phasen. Dieses Jahr haben schon Mitte Februar einige Skigebiete hierzulande geschlossen. Und viele weitere können nur mit Kunstschnee betrieben werden. Doch wie weit kann man da gehen? Wie ökologisch ist dies?
Die Biathlon-WM in Nové Město na Moravě / Neustadt in Mähren ist gerade zu Ende gegangen – sie fand mitten im Grünen auf Kunstschnee statt. Und der traditionelle Isergebirgslauf Jizerská 50 Anfang Februar wurde abgesagt, weil die weiße Unterlage fehlte. Das geschah zum sechsten Mal in der knapp 60-jährigen Geschichte dieses Skimarathons. Hinzu kommt, dass das Rennen in den vergangenen zehn Jahren auch mehrmals wegen mangelnden Schnees schon auf der Kippe stand.
Das Wintersportzentrum Bedřichov / Friedrichswald, das den Isergebirgslauf ausrichtet, plant für die Zukunft jedoch mit Schneekanonen und Schneilanzen. Sie sollen auch im Wald stehen, sodass selbst bei Schneemangel genügend Loipen gespurt werden können. Es geht dabei nicht vorrangig um den Marathon, sondern um die vielen Tausend Besucher, die jedes Wochenende in dieses wichtige Langlaufzentrum kommen. Die Genehmigung für das Beschneien wurde bereits beantragt.
Wissenschaftler und Ökologen sind jedoch leicht geschockt von den Plänen. Jakub Hruška leitet das Forschungsteam zum Klimawandel an der tschechischen Akademie der Wissenschaften:
„In Höhen von 600 oder 700 Metern über dem Meeresspiegel werden wahrscheinlich in den kommenden Jahren keine guten Bedingungen mehr herrschen, damit dort Naturschnee fällt. Die Temperaturen steigen ständig an. In Bedřichov hat sich die Durchschnittstemperatur in den vergangenen 60 Jahren bereits um mehr als zwei Grad erhöht. Die Prognosen sind also schlecht. Und dagegen mit Kunstschnee ankämpfen zu wollen, ist nicht der richtige Weg.“
Die derzeitigen Pläne in Bedřichov seien allerdings noch nicht stark umweltbelastend, räumt Hruška ein. Er befürchte jedoch, dass die Betreiber des Wintersportzentrums das Beschneien mit der Zeit ausweiten werden.
Libor Knot ist Vorsitzender des Verbandes der tschechischen Wintersportzentren (Asociace horských středisek České republiky). Er betont, dass man von Fall zu Fall und von Ort zu Ort beurteilen müsse. Und weiter sagte er in einem Streitgespräch in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks:
„Beim erwähnten Beispiel in Bedřichov geht es nicht vorrangig darum, dass nun der Isergebirgslauf wegen Schneemangels abgesagt werden musste. Die Beschneiung ist ein langfristiges Projekt, das nur entfernt damit zusammenhängt. Vor allem soll dort, wo die Busse aus Liberec ankommen und Parkplätze bestehen, für eine zwei bis fünf Kilometer lange Rundloipe mehr Schneesicherheit garantiert werden. Das dient nicht so sehr dem Leistungssport, sondern vor allem einem breiten Publikum inklusive Kindern. Daher ist es ein sinnvolles Projekt.“
Knot betont, dass auch in den Alpen fast jedes Skigebiet mit Schneekanonen ausgestattet sei. Tatsächlich behilft man sich in Italien beispielsweise schon auf 90 Prozent der Pisten mit Kunstschnee und in Österreich auf 70 Prozent. Laut dem Verbandschef dient das Beschneien dort wie auch in Tschechien einfach der Aufrechterhaltung des Tourismus.
Wirtschaftsfaktor Tourismus
Aber gerade dieses Geschäftsmodell, mit beschneiten Pisten das Skifahren praktisch überall in Tschechien weiter zu erhalten, kritisiert Hruška…
„Es ist eine Frage des Maßes. Wenn die Wintersportzentren komplett zur künstlichen Beschneiung übergehen und dies zur Grundlage ihres Geschäftsmodells machen, dann wird dies zu einem sehr energieintensiven Unterfangen. Für den Kunstschnee braucht es sehr viel Strom und eine relativ große Menge an Wasser. In kleiner Menge entsteht daraus kein Schaden. Aber 2017 ist ein Drittel der Skiareale von der Umweltinspektion dafür bestraft worden, dass sie beim Beschneien überdurchschnittlich viel Wasser aus Oberflächengewässern entnommen hatten. Das Wasser wird wegen des Klimawandels auch in den höchsten Mittelgebirgsregionen immer weniger. Im Isergebirge ist zum Beispiel rund ein Drittel des Oberflächenwassers verschwunden. Dazu gibt es sehr genau Messungen.“
Und unter diesen Umständen sei eine umfangreiche Produktion von Kunstschnee schädlich, sagt der Wissenschaftler.
Libor Knot verweist jedoch auf die wirtschaftlichen Aspekte:
„Eine Krone, die von den Besuchern im Skigebiet ausgegeben wird, generiert sieben Kronen an Einnahmen im Wintersportort. Und der Tourismus in den tschechischen Wintersportorten beschäftigt insgesamt etwa 45.000 Menschen. Natürlich ist die Nutzung der Gebirge durch Landschaftsschutzgebiete und Nationalparks eingeschränkt, und das muss respektiert werden. Aber es geht nicht nur um das Einkommen der Liftbetreiber.“
Und auch bei der Frage des Wasserverbrauchs widerspricht der Verbandschef dem Ökologen. Dabei zitiert Knot zwei Studien des tschechischen Umweltministeriums zum Oberflächenwasser in den Bergen…
„Die Studien besagen, dass im Winter der Durchfluss in den Flüssen und Bächen weiterhin höher liegt als im Sommer. Und wenn man die letzten Winter herannimmt, dann gab es meist genügend Wasser. Das einzige Problem, zu dem es zu der Jahreszeit kommen kann, ist das Zufrieren der Gewässer. Das geschieht aber nicht häufig. Eher kommt es zu Tauwetter und Hochwasserlagen. Und dann stellt sich die Frage, wenn wir das Wasser die Elbe hinab nach Hamburg abfließen lassen, ob wir demagogisch herumlaufen und behaupten dürfen, dass es an Wasser fehle. Natürlich fehlt es, aber vor allem im Juni und Juli“, so der Verbansvorsitzende.
Das wiederum hält Jakub Hruška für die falsche Rechnung. Wenn es taut, könne eh kein Kunstschnee produziert werden, wendet er ein. Dies geschehe hingegen bei Frost, und dann sei auch der Durchfluss in Flüssen und Bächen geringer.
Allerdings haben die Skigebiete hierzulande selbst damit begonnen, Speicherbecken anzulegen. Bisher gibt es 35 solcher künstlichen Teiche. Damit kann das Problem der Oberflächenwasserentnahme reduziert werden. Zugleich betont der Wissenschaftler, dass es ihm nicht um Einzelfälle beim Einsatz von Schneekanonen gehe, sondern um die Planungen für eine nachhaltige Zukunft:
„Das Kardinalproblem liegt darin, dass wir uns als Gesellschaft daran gewöhnt haben, im Winter unter allen Umständen Ski fahren zu müssen. Meiner Meinung nach darf es jedoch nicht den Anspruch geben, dies auch unter der Voraussetzung hohen Energieverbrauchs für Kunstschnee durchzuziehen. Mir scheint das in gewisser Weise unethisch, wenn uns als Gesellschaft die globale Erwärmung gleichzeitig als größte Bedrohung der Menschheit erscheint. Gegen diese können wir nur ankämpfen, indem wir die Treibhausgasemissionen reduzieren. Mit künstlicher Beschneiung erhöhen wir diese Emissionen aber eindeutig. Denn dafür muss viel Energie aufgewendet werden. Ich verstehe, dass die Menschen in die Berge wollen, dass sie rausgehen und Sport treiben wollen. Auch ich betätige mich gerne sportlich. Aber die Frage ist, welchen Preis wir dafür zahlen.“
Keine Suche nach Lösungen
Libor Knot hält diese Debatte jedoch für unnötig. Denn der Ressourcenverbrauch ist seiner Meinung nach gering im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen in Tschechien.
„Die beschneiten Skipisten nehmen eine Fläche von ungefähr 1500 Hektar ein. Das entspricht einer größeren landwirtschaftlichen Produktionsgesellschaft. Maximal werden drei Millionen Kubikmeter Wasser im Winter verbraucht, das sind 0,2 Prozent der gesamten Oberflächenwasserentnahme in Tschechien. Ein einziges Stahlwerk nutzt achtmal mehr Wasser. Und der Strombedarf beim Beschneien ist im Vergleich zum Bedarf der tschechischen Haushalte marginal. Da müssten wir viel eher die Kühlung in den Eisstadien verbieten oder das Bewässern der Rasen auf Fußballplätzen. Ich weiß nicht, was das Ziel der Debatte ist. Sollen die Menschen zu Hause bleiben und am Samstag und Sonntag in die Shopping-Zentren gehen oder in die Alpen fahren, wo ebenfalls beschneit wird?“, so die rhetorische Frage von Knot.
Tatsächlich entsteht durch das Beschneien selbst nicht der größte Klimaschaden beim Skifahren. Viel eher ist es die An- und Abreise in die Wintersportorte, wie eine Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich zeigt. Nur fünf bis acht Prozent der Treibhausgasemissionen gehen demnach auf das Konto von Beschneiung, Pistenpräparation und Betrieb der Lifte.
Aber die tschechischen Mittelgebirge leiden wie die Alpen unter „Overtourism“, das bedeutet viel zu viele Besucher. Die Aufrechterhaltung des extensiven Wintersports unter anderem durch beschneite Pisten verschärfe das Problem noch, anstatt die Suche nach Lösungen in Gang zu setzen, sagt Jakub Hruška:
„Im Isergebirge gibt es schon seit langem Overtourism. Wenn wir mit dem Beschneien die Wintersaison verlängern, ermöglichen wir noch mehr Menschen zu kommen. Dadurch leiden die Berge. Die zentrale Frage ist, zu welchem Zweck wir beschneien. Wenn damit extensiv umgegangen wird, ist dies nicht nachhaltig. Denn die klimatischen Bedingungen fürs Skifahren werden sich immer weiter verschlechtern. Das heißt, das das Beschneien intensiviert werden müsste.“
Und in diesem Moment müsse sich auch die Gesellschaft fragen, ob sie dies noch so wolle, meint der Umweltwissenschaftler. In der vergangenen Woche mussten übrigens einige kleinere Wintersportzentren in Tschechien bereits die Lifte und Seilbahnen abstellen – und das Mitte Februar. Die großen Skigebiete rechnen hingegen mit Gewinnen, weil die Besucherzahlen zu Beginn der Saison hoch lagen und sie mit Kunstschnee immer noch einen Großteil der Pisten offen halten können.