Wunderbare Zapfen: Die lange Tradition des Hopfenanbaus in Tschechien
Vor knapp einem Monat wurde die Saazer Hopfenlandschaft im Westen Tschechiens in die Weltkulturerbeliste der Unesco aufgenommen. Lang hat’s gedauert, mag man da denken, angesichts der jahrhundertealten Tradition der Hopfenzucht im Lande. Die Zapfen aus Žatec und Umgebung sind weltweit für ihre hervorragende Qualität bekannt. Noch bis in die frühe Neuzeit hinein wurde die Schlingpflanze aber überall im Land angebaut. Welche Umstände zu der Konzentration des Hopfenanbaus in Tschechien auf nur wenige, dafür aber immens fruchtbare Gegenden geführt haben, erfahren Sie in der nun folgenden Ausgabe unseres Geschichtskapitels.
Humulus lupulus – Echter Hopfen wächst, wenn man ihn lässt, bevorzugt in Auwäldern oder an den Ufern von Wasserläufen. Da er aber eine unverzichtbare Zutat für die Bierherstellung ist, wird er seit vielen Jahrhunderten als Nutzpflanze gezielt gezüchtet. In Böhmen lasse sich dies bis in das frühe Mittelalter zurückverfolgen, sagt die Historikerin Lucie Radová. Sie leitet die Abteilung für den Denkmalfonds im Regionalstandort des tschechischen Nationalen Denkmalinstituts in Ústí nad Labem:
„Die ersten Aufzeichnungen, aus denen sich herauslesen lässt, dass Hopfen als Kulturpflanze genutzt wurde, stammen aus dem 11. Jahrhundert. Ähnlich wie noch aus späteren Zeiten sind dies zumeist Dokumente im Rahmen einer Klostergründung, mit denen der König dem neuen Kloster Land oder andere Güter schenkte. Darin werden oft auch Hopfenfelder erwähnt.“
Abgeerntete Hopfenzapfen sind ohne ein sehr diffiziles Trockenverfahren nicht für eine lange Lagerung geeignet. Weil es damals noch keine entsprechende Technik gab, war es bis in die frühe Neuzeit hinein wichtig, die Vorräte schnell und vor Ort zu verarbeiten. Und weiter berichtet Radová:
„Bis zum Dreißigjährigen Krieg war es hierzulande so, dass jede Brauerei ihr eigenes Hopfenfeld hatte. Es war die Aufgabe der Braumeister, den Hopfen für ihren Betrieb zu besorgen. Dadurch waren die Hopfenfelder gleichmäßig über das gesamte Land verteilt. Aber der Hopfen hatte schon zu dieser Zeit eine sehr unterschiedliche Qualität. Bereits damals wusste man, dass der Hopfen aus Žatec oder Úštěk besser ist. Es gab allerdings noch keine technischen Möglichkeiten, den Saazer Hopfen so aufzubereiten, zu transportieren und aufzubewahren, dass er auch in anderen Brauereien verwendet werden konnte.“
Das besondere Prestige der Saazer Hopfenlandschaft, das nun auch die Unesco mit einem Eintrag als Weltkulturerbe fördert, wurde also schon im Mittelalter begründet. Lucie Radová benennt aber noch weitere wichtige Anbaugebiete aus dieser Zeit:
„In älteren Zeiten hatte auch der Hopfen aus Klatovy und aus Sokolov einen guten Ruf. Er konnte ab Mitte des 19. Jahrhunderts aber nicht mehr mit dem Saazer Hopfen konkurrieren. Seitdem dieser in großem Maße in andere Gebiete geliefert werden konnte, begannen die kleineren, aber trotzdem bekannten Anbaugebiete einzugehen. Seit der Jahrhundertmitte erlebte das Gebiet um Saaz herum einen erheblichen Konjunkturaufschwung, in dessen Verlauf sich der Hopfenanbau sehr schnell weiterentwickelte.“
Erntehelfer wurden stigmatisiert
Wenn Hopfen reif ist, muss er schnell abgeerntet werden. Die richtige Terminierung wirkt sich erheblich auf die Qualität der Zapfen aus. Und dies habe immer auch den Preis beeinflusst, zu dem tschechische Kleinbauern ihre Erträge verkaufen konnten, betont Lucie Radová. Darum sei schon zu Mitte des 19. Jahrhunderts der Ernteeinsatz eine lange und gut organisierte Angelegenheit gewesen, zu dem Tausende von Helfern für zwei bis drei Wochen in die Dörfer kamen. Die meisten Bauern hätten dazu Kontakt zu einem festen Kreis erfahrener Leute gehalten, schildert die Historikerin und fährt fort:
„Manchmal fiel die Ernte so reich aus, dass auch neue Leute gesucht wurden. Dann rekrutierte man gern Bergarbeiter aus dem Erzgebirge. Die Arbeit war zudem lukrativ für Menschen aus den Städten, die sich im Sommer etwas hinzuverdienten. Das war allerdings mit einer sozialen Stigmatisierung verbunden. Die Erntehelfer wurden allgemein als arm angesehen. Aus der Zeit der Ersten Tschechoslowakischen Republik gibt es Berichte darüber, dass die Pflücker mal wieder aus Prag zur Hopfenernte ziehen. Sie wurden als eher schmutzig beschrieben und als gesellschaftliche Unterschicht. Dabei befanden sich unter ihnen etwa auch viele Lehrer. Diese Menschen versuchten ihr Reiseziel manchmal zu verbergen. Zeitzeugen haben darüber geschrieben, dass sie häufig behaupteten, sie würden eine Tante auf dem Land besuchen. In Wahrheit fuhren sie aber zur Hopfenernte und schämten sich, das offen zu sagen.“
Für die Hopfenbauern war die Ernte nur einer von mehreren wichtigen Schritten auf dem Weg zu einem guten Jahresabschluss. Eine echte Wissenschaft war außerdem die nachfolgende Trocknung. Ab dem Mittelalter wurden die Zapfen auf den Dachböden der Höfe ausgelegt, dabei wurde auf die richtige Temperatur gehofft und durch häufiges Wenden für die nötige Durchlüftung gesorgt. Das habe Kenntnisse erfordert, die in Jahrhunderte alten Quellen festgehalten seien, weiß Radová. In Brauereien seien zudem die Mälzereien und sogenannte Malzdarren genutzt worden. Es war aber der Inhaber einer Gießerei, der die passende Technik zum Trocknen von Hopfen erdachte. Jan Linhart aus Rakovník und sein Partner Jan Vltavský hätten das Geschäftspotential darin erkannt, merkt Historikerin Radová an und verweist auf deren Erfindung aus dem Jahr 1898:
„Beiden ist die Modernisierung der ganz unterschiedlichen häuslichen Trockenvorrichtungen der Leute auf dem Land zu verdanken. Dabei gingen Linhart und Vltavský von dem aus, was schon zu Beginn der Neuzeit funktioniert hatte – nämlich die Malzdarren. Auf deren Grundlage erdachten sie ein System zum Trocknen von Hopfen. Heute sagen wir Hopfendarre dazu. Dies sind hohe turmartige Bauten, die meist über die normale Bebauung der Höfe herausragen. Darin befanden sich Dielen und darunter eine Heizstelle. Der Verdienst von Linhart und Vltavský bestand darin, dass sie eine wirklich gute Technologie entwickelten. Beim Trocknen ist nämlich die Art und Weise sehr wichtig. Im Darren muss die Luftzirkulation gleichmäßig funktionieren, und es darf keine zu hohe Temperatur herrschen. Hopfen muss bei höchstens 35 Grad Celsius getrocknet werden, ansonsten wird er unbrauchbar. In allen Gebäudeteilen musste also eine entsprechende Temperatur garantiert werden.“
Innerhalb von zwei Jahrzehnten habe nicht nur jeder Hof in Böhmen über eine solche Darre verfügt, ergänzt Radová. Das Konzept sei auch bis nach Bayern exportiert worden.
Plötzlicher Reichtum durch einen günstigen Hopfenpreis
Durch das professionalisierte Trocknen war der Hopfen nun auch länger haltbar. So konnten die besten Zapfen des Landes, also die aus der Saazer Gegend, auch in entlegenere Brauereien Böhmens und Mährens geliefert werden, die wiederum ihre eigenen Hopfengärten aufgaben. Die Ausweitung des Eisenbahnnetzes habe bei dieser Entwicklung eine wichtige Rolle gespielt, so Radová, und seit Ende des 19. Jahrhunderts auch den Export von tschechischem Hopfen ins Ausland ermöglicht:
„Der Hopfenhandel hing sehr vom Weltmarkt ab, und die Preise änderten sich wirklich jeden Tag. Darum war es eine wichtige Entscheidung, ob der Hopfen in der zweiten Septemberwoche oder in der ersten Novemberwoche verkauft wurde. Der Preisunterschied konnte durchaus 100 Prozent betragen. Davon profitierten die Zwischenhändler, die durch die Dörfer fuhren und mit den örtlichen Landwirten verhandelten. Über diese lokalen Zwischenhändler gelangte der Hopfen in die ganze Welt.“
Im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert seien diese Zwischenhändler in Tschechien oft Juden gewesen, erläutert die Historikerin weiter:
„Es gibt einen schöne Geschichte darüber, dass jedes Jahr am gleichen Tag der gleiche jüdische Händler ins Dorf kam. Die Bauern saßen schon bereit, und er bot ihnen einen Preis an. Nun begannen die Landwirte zu feilschen. Dabei ging es darum, wer von ihnen länger aushielt, wer Informationen darüber hatte, für welchen Preis der Hopfen gerade in der Welt gehandelt wird, und wer sich sicher war, dass er seinen Hopfen im Notfall auch noch woanders oder später verkaufen kann. Am Ende gab es manchmal die witzige Situation, dass die Bauern dem Händler den Verkauf wegen seines zu geringen Preisangebots kollektiv verweigerten. Als sie dann alle auseinandergingen, eilten aber die einzelnen Bauern zu dem Händler zurück und wollten ihm ihre Ernte dann doch für den Preis abgeben.“
Manche Landwirte hätten ein derartiges Verhandlungsgeschick gehabt, dass sie innerhalb einer Hopfensaison unglaublich reich geworden seien, so Radová. Nicht selten hätten sie dann den Winter in Prag verbracht und ihr Geld in Vergnügungsetablissements verjubelt:
„Solche Geschichten finden sich sehr oft in den historischen Quellen. Auch die örtlichen Pfarrer beschwerten sich, dass die zu Reichtum gelangten Bauern nicht in die Kirche gingen, sondern alles – einschließlich des Glaubens – dem Hopfenanbau opferten. Dann verdienten sie auf einmal große Mengen an Geld und verließen sich darauf, dass dies jedes Jahr so sein werde. Wenn dies aber nicht eintrat, kam es oft zu sehr traurigen Entwicklungen, die zu Pfändungen und Armut führten und das Ende für den Hopfenbauern und seine Familie bedeuteten.“
Grund für eine dieser Hopfenkrisen waren in den 1920er Jahren etwa eine Überproduktion auf dem einheimischen Markt und auch die verringerte internationale Nachfrage infolge der Prohibition in den USA. Ebenso beeinflusste aber die Politik das Hopfengeschäft: Mit dem Münchner Abkommen 1938 musste die Tschechoslowakei die Sudetengebiete an Nazi-Deutschland abtreten – einschließlich der Stadt Saaz und ihrer so fruchtbaren Umgebung. Die gesamte Branche habe dadurch einen erheblichen Rückfall erlebt, beschreibt Lucie Radová, zumal auch die jüdischen Zwischenhändler das Land verließen oder später deportiert wurden.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann die zurückgekehrte tschechoslowakische Regierung, sich um die Erneuerung des Hopfenanbaus im Land zu kümmern. Mit der Machtübernahme der Kommunisten 1948 habe dies sehr präzise organisierte Formen angenommen, sagt Radová. Dies habe aber den Verlust zahlreicher erfahrener Hopfenbauern nicht kompensieren können, der eine Folge der Vertreibung der deutschen Bevölkerung war:
„Schmerzhafte Rückschläge gab es von 1938 bis 1948 viele. Ganze Dörfer wurden entvölkert, und die neuen Bewohner kannten sich in der Hopfenzucht nicht aus. Was den tschechischen Hopfen so erfolgreich macht, ist – neben den idealen natürlichen Bedingungen – das Wissen darüber, wie man mit ihm umgehen muss. Dieses verschwand mit der Vertreibung. Die Menschen, die neu ankamen, hatten keine Verbindung zum Hopfenanbau, meist nicht einmal zur Landwirtschaft. Schon seit Beginn der 1950er Jahre gab es viele Beispiele, wie die neuen Bewohner die einträgliche Landwirtschaft in diesen so fruchtbaren Gegenden innerhalb von nur drei Jahren völlig liquidierten.“
Mit der Vertreibung verschwanden die Fachleute
Heute ist der Hopfenanbau in Tschechien wieder ein wichtiger und ergiebiger Wirtschaftszweig. Saazer Hopfen wird in großem Stile exportiert und natürlich auch für die einheimischen Biere verarbeitet. Mit 129 Litern jährlich steht Tschechien unangefochten an der Spitze des EU-Vergleichs im durchschnittlichen Pro-Kopf-Konsum des süffigen Getränks. Das kann durchaus als Bestätigung für die Qualität der hier gezüchteten Grundzutat gelesen werden. Oder wie es Lucie Radová ausdrückt:
„Ich erwähne gern – weil sich wahrscheinlich nur wenig Menschen dessen bewusst sind –, dass die Hopfenproduktion jene Branche ist, in der die Tschechen seit Jahrhunderten die Besten in der Welt sind. Und dies dauert an. Der Saazer Hopfen gilt immer noch als weltweiter Bewertungsstandard für feinen und aromatischen Hopfen. Darauf können wir wirklich stolz sein.“