"Drei Tore" sollen die Pinkas-Gasse wieder beleben
Das Programm des Prager Jüdischen Museums konzentrierte sich in diesen Tagen auf den Holocaust-Gedenktag. Im Rahmen der Gedenkveranstaltungen anlässlich des 60. Jahrestags der Befreiung des KZ Auschwitz wurde auch ein Projekt initiiert, mit dem eine kleine Gasse neben der Pinkas-Synagoge belebt werden soll. Mehr erfahren Sie im folgenden Spaziergang durch Prag von Martina Schneibergova und Menno van Riesen.
Die ehemalige "Kleine Pinkas-Gasse", die sich heutzutage zwischen dem Garten des Kunstgewerbemuseums, dem Alten jüdischen Friedhof und der Pinkas-Synagoge befindet, ist eine der wenigen erhalten gebliebenen Stellen, die Bestandteil des ursprünglichen Straßennetzes des Prager Stadtteils Josefov waren. Hier befand sich bis 1848 das jüdische Ghetto. Die schmale Gasse hieß ursprünglich Goldrichodvorská - höchstwahrscheinlich bezog sich der Name auf das anliegende Gut, das in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts im Besitz des Ritters Karl Goltz war. Später, d. h. in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts begann man sie "Malá Pinkasova" oder auch "Pinkasova ulicka" - zu Deutsch etwa die "Kleine Pinkas-Gasse" nennen.
Auch wenn es mit Rücksicht auf diese spätere Bezeichnung scheinen mag, dass es sich schon immer um eine bedeutungslose Seitengasse handelte, war es dennoch in den älteren Zeiten des jüdischen Ghettos anders. Die Straße stellte zuerst eine Verbindung zwischen zwei von Christen bewohnten Altstadtteilen dar, die durch die Judenstadt voneinander getrennt waren. Mit der Erweiterung der Fläche der Judenstadt - insbesondere in nördlicher Richtung zur Moldau - gewann die Straße vor allem für die Ghettobewohner an Bedeutung. Durch die Straße konnte man zur Pinkas-Schule kommen, die seit dem Ende des 15. Jahrhunderts eines der bedeutendsten geistlichen Zentren im damaligen jüdischen Prag war.
Die älteste Nachricht, die von der Existenz einer Synagoge an diesem Ort berichtet, stammt aus dem Jahr 1492. Damals war die Synagoge Bestandteil des Hauses "U Erbu" (Zu den Erbs), das der Familie Horowitz (Horovský) gehörte. Erhalten geblieben ist eine Gedenkplatte aus Marmor, die aus dem Jahr 1535 stammt und die einst an der Westfront der Synagoge angebracht war. Heute findet man sie in der Synagoge. Die hebräische Überschrift gibt Auskunft über einen Umbau, dessen Initiator Aron Meshulam Horovský war. Weitere bedeutende Bauänderungen wurden am Anfang des 17. Jahrhunderts unter der Leitung des Baumeisters Juda Coref de Herz durchgeführt. Aus derselben Zeit stammt auch die Erwähnung der Synagoge als "Pinkas-Schule".
Es ist jedoch unmöglich, diese Bezeichnung heute auf eine konkrete Person zu beziehen, deren Name viele Jahre später auch auf zwei Straßen in der Nachbarschaft übertragen wurde. Bei dem Namen könnte sich um den ursprünglichen Besitzer des Hauses "U Erbu" - Rabbi Pinchas oder um einen Angehörigen der Familie Horovský handeln, in welcher der Name Pinchas häufig auftauchte.
Die kleine Pinkas-Gasse ermöglichte den Ghettobewohnern nicht nur den Zutritt zur Schule, sondern im Falle eines Brandes auch den lebenswichtigen Zugang zum Fluss. Wie wichtig dies war, davon zeugt die Tatsache, dass beispielsweise nach dem Brand, der 1754 in der Judenstadt ausbrach, die Pinkas-Synagoge und die Klausensynagoge sowie die anliegenden Häuser unversehrt blieben. Die Pinkas-Synagoge erlitt auch keine größeren Schäden während des großen Brandes im Jahres 1689. Die Straße ging aus von einem der Eingangstore des Ghettos am westlichen Ende der Zidovska-Sraße (Judenstraße bzw. der späteren Pinkas-Straße), die 1870 Bestandteil der damaligen Josefovska-Straße (der heutigen Siroka) wurde. Sie führte weiter entlang der Westfront der Pinkas-Synagoge und ging am Rande des südwestlichen Teils des Alten jüdischen Friedhofs vorbei bis ans Moldauufer. Auf diesem Grundstück, dessen Gelände sich infolge der Regulierung der Moldauufer änderte, wurde in den Jahren 1897-98 das Gebäude des Kunstgewerbemuseums erbaut.
Die ganze Straße ist auf dem Plan der Judenstadt gut zu sehen, der 1690 vom Landesgeometer Andreas Bernard Klausner stammt. Dort ist der Zustand kurz nach dem vernichtenden Brand dargestellt, von dem im Sommer 1689 das ganze Gebiet der Judenstadt und teilweise auch die Altstadt betroffen wurden. Auf einem anderen Plan für den Wiederaufbau des Ghettos, der nach einem weiteren großen Brand im Jahre 1754 ausgearbeitet wurde, wurde die Goldrichodvorska-Straße schon als eine Sackgasse gekennzeichnet, die am Eintrittstor des Alten Jüdischen Friedhofs mündete. Es wird angenommen, dass der nordwestliche Teil der Straße in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verschwand, nachdem es den Vertretern der jüdischen Gemeinde 1768 gelang, das halbzerfallene Haus des Henkers von der Altstadt abzukaufen und den Alten jüdischen Friedhof zu erweitern.
Während der Assanierung der Judenstadt an der Wende des 19. und des 20.Jahrhunderts musste der südliche Teil der Kleinen Pinkas-Gasse einem neuen Straßennetz Platz machen. Von der ursprünglichen Länge der Straße wurde nur noch etwa die Hälfte beibehalten. 1907 wurden alle Objekte außer der Synagoge abgerissen, und die Wohnhäuser wurden durch Mauern ersetzt, die den Raum der früheren Straße von den Privatgrundstücken trennten. Infolge der verschiedenen Baueingriffe verlor die Kleine Pinkas-Gasse damals endgültig ihre Rolle als Straße und wurde zu einer vergessenen Sackgasse.
Um die erwähnte Pinkas-Gasse, die heutzutage im Vorbeigehen kaum zu sehen ist, wieder zu beleben, initiierte das Jüdische Museum ein Projekt mit dem Titel "Drei Tore". Der Leiter des Jüdischen Museums in Prag, Leo Pavlát, erklärte:"Es ist ein Versuch, ein modernes Bildhauerwerk im offenen Raum unterzubringen. Das Werk kann auf vielen Ebenen gedeutet werden. Ganz bestimmt kann man hier den Zusammenhang mit der Schoah sehen. Ich bin davon überzeugt, dass das Projekt Aufmerksamkeit erwecken wird."
Professor Ales Veselý entwarf für die Pinkas-Gasse drei große Plastiken, die die Form eines Tores haben. Seine Entwürfe sind in diesen Tagen in einer Ausstellung zu sehen, die in der Robert Guttmann-Galerie installiert wurde. Die Kuratorin der Ausstellung Michaela Hájková dazu:
"Wir wären froh, wenn die Öffentlichkeit unser Vorhaben verstehen würde - in dem Sinne, dass wir mit dem Projekt so zu sagen einen Schritt aus dem fiktiven Ghetto heraus machen. Es würde uns freuen, wenn sich die Prager zu dem vorgelegten Projekt äußern würden, denn ihre Meinung interessiert uns selbstverständlich. Es ist die Frage, wie man an die Geschichte in einem öffentlichen Raum erinnern kann."
Die Tatsache, dass die Gasse in unmittelbarer Nähe von zwei bedeutenden und viel besuchten Sehenswürdigkeiten des Jüdischen Museums liegt, regt dazu an, sie zugänglich zu machen. Denn vom öffentlichen Raum der Hauptstraße ist sie jetzt durch ein Gitter getrennt, und man kann die Gasse nur durch eine Passage im südwestlichen Vorsaal der Pinkas-Synagoge betreten. Da die Gasse inzwischen ihren ursprünglichen Charakter verloren hat, ist es den Initiatoren des Projektes zufolge notwendig, eine neue Art der Deutung dieses Raums zu finden. Die Kuratorin dazu:
"Ich meine, dass dies der erste Schritt dazu ist, ein künstlerisches Environment zu deuten, das sich auf eine historische Stelle bezieht. Die drei Tore sollen nicht als eine Holocaust-Gedenkstätte gedeutet werden. Diese ist in der Pinkas-Synagoge untergebracht. Die Tore sollen an die Geschichte erinnern und in die Zukunft gerichtet sein. Die Tore sind als drei selbstständige Bildhauerobjekte entworfen, sie sollen vier Meter von einander entfernt installiert werden. Das erste Tor ist aus drei großen Baumstämmen zusammengestellt, die in Bronze gegossen wurden. Das zweite Tor besteht aus einem Kalksteinblock, der mit großen Schrauben zwischen zwei starken Stahlplatten befestigt wurde. Das dritte Tor besteht aus einer Tragkonstruktion aus Stahl, von oben wird die massive Stahlplatte durch einen Stein durchgebohrt. Hinter dem dritten Tor folgt nur noch eine niedrige Tür in der Friedhofsmauer, durch die man auf den Alten jüdischen Friedhof gehen kann."
In einer anlässlich der Ausstellung herausgegeben Broschüre erinnert sich der Schöpfer des Projektes, Ales Veselý, an die Zeit kurz nach dem Krieg:
"Als ich drei Jahre nach dem Krieg mit meinen Eltern nach Prag umgezogen bin, haben wir in der Veletrzní-Straße gewohnt - zufälligerweise gegenüber dem Seiteneingang zum Areal der provisorischen Messepavillons, die während des Kriegs als Sammelplätze dienten. Dort wurden Juden versammelt, um von dort aus, mit Registrierungsnummern versehen, in die Ghettos in Lodz und in Theresienstadt transportiert zu werden. Ich sah durch das Fenster den Eingang, den viele meiner Verwandten passierten, die nie mehr zurückgekehrt sind.... Die Baracken mit dem Zaun wurden inzwischen abgerissen, aber umso intensiver spürte ich diesen Ort, dieses fiktive Tor. In meinen Vorstellungen tauchte es als ein Tor der Erinnerung auf, das ich einmal an dieser Stelle installieren würde. Als ich vor zwei Jahren angesprochen wurde, etwas für den engen Raum der Pinkas-Gasse zu entwerfen, fielen mir sofort Tore und Korridore ein..."
Soweit Ales Veselý zu seiner Ausstellung. Er betonte anlässlich der Vernissage, es sei für ihn wichtig, dass keines seiner Projekte den universellen Charakter verliere und dass keines nur eine einzige Deutungsmöglichkeit zulasse. Die "Drei Tore" stellen dem Künstler zufolge seine persönliche Aussage dar, die von seinen persönlichen Erfahrungen ausgehe.
Die Ausstellung zum Projekt der "Drei Tore" ist in der Robert-Guttmann-Galerie bis zum 12. Februar geöffnet.