Zehn Jahre nach der Trennung

Willkommen zu dieser Ausgabe der tschechisch-slowakischen Begegnungen, die wir in Zusammenarbeit mit der deutschsprachigen Redaktion von Radio Slowakei International vorbereiten und immer am letzten Donnerstag im Monat bringen. Unser gemeinsames Thema lautet 10 Jahre nach der Auflösung der Tschechoslowakei.

Willkommen zu dieser Ausgabe der tschechisch-slowakischen Begegnungen, die wir in Zusammenarbeit mit der deutschsprachigen Redaktion von Radio Slowakei International vorbereiten und immer am letzten Donnerstag im Monat bringen. Unser gemeinsames Thema lautet 10 Jahre nach der Auflösung der Tschechoslowakei. Das Wort hat zuerst die Redaktionsleiterin der deutschen Redaktion von Radio Slowakei International, Lydia Korecka:

Am 1. Januar 1993 war es so weit - es entstand die selbstständige SR. Die Trennung verlief zwar friedlich, von einer Zufriedenheit konnte jedoch auf gar keinen Fall die Rede sein. Viele wollten hierzulande von den Tschechen endlich getrennt werden, denn man hatte es satt vom grösseren Brudervolk immer und überall bevormundet und beiseitegeschoben zu werden. Auf der anderen Seite fühlte man sich noch nicht reif für die Selbstständigkeit. Soweit die Stimmung unter der Bevölkerung. Diese wurde aber nicht gefragt, die Politiker beschlossen die Sache ohne auf die Stimme des Volkes zu hören. Ein Referendum in der Slowakei wäre vor 10 Jahren sicher zu Ungunsten der Teilung ausgefallen.

Fragt man die Leute heute, ist man anderer Meinung. Sogar die härtesten Gegner der Teilung der Tschechoslowakei sind meistens zufrieden. Die Resultate nach 10 Jahren der Entwicklung der Slowakei können sich ja sehen lassen. "Wir haben es genauso weit gebracht wie die Tschechen", meinen viele mit Stolz. Das Selbstbewustsein der Slowaken ist gewachsen, die Slowakei fühlt sich mit Recht als gleichberechtigt in der Familie der europäischen Staaten.

Die soziologischen Forschungen bestätigen nach zehn Jahren die Beruhigung der Gemüter. Soziologin Olga Gyarfasova meint, die Leute kümmert es heute gar nicht mehr, sie haben sich mit der Teilung der Tschechoslowakei abgefunden und wollen das Beste daraus machen.

Beide Völker stehen sich auch heute sehr nahe und die Slowaken können es nicht lassen, sich mit dem einst grösserem Bruder zu vergleichen. Im vergangenen Jahr haben beide Staaten die Einladung in die EU bekommen. Viele betrachten es als eine mögliche Wiedervereinigung. Laut Soziologin Gyarfasova ist es eher eine politische Methapher. Denn in der EU wird die SR nicht nur mit Tschechien, sondern mit weiteren 24 Ländern vereint werden.


Haben sich die zehn Jahre, die seit der Auflösung der tschechoslowakischen Föderation vergangen sind, auf das Verhältnis der Tschechen zu den Slowaken ausgewirkt? Wie sehen die Tschechen ihre östlichen Nachbarn heute? Danach fragte ich Jan Cervenka vom Soziologischen Institut der Tschechischen Akademie der Wissenschaften:

"Aus langfristiger Perspektive betrachtet, werden die Slowaken als Gruppe in Tschechien sehr positiv bewertet. Wir befassen uns mit der Bewertung der einzelnen Nationen durch die Tschechen, und die Slowaken werden am besten eingestuft, d. h. die Tschechen haben eine sehr positive Beziehung zu den Slowaken. Inwieweit dieses Verhältnis durch die Teilung der Tschechoslowakei beeinflusst wurde, dazu gibt es folgende Ergebnisse. Den jüngsten Umfragen zufolge sind 32% der tschechischen Bevölkerung der Meinung, dass sich die bilateralen Beziehungen nach der Trennung verbessert haben. 45% der Tschechen sind davon überzeugt, dass die Beziehungen genauso sind wie vor zehn Jahren und nur 16% der Befragten meinen, dass es inzwischen zur Verschlechterung der Beziehungen zwischen beiden Völkern gekommen ist."

Anlässlich des zehnten Jahrestags der Auflösung der Föderation und der Entstehung einer selbständigen Tschechischen und der Slowakischen Republik tauchten in den Medien Überlegungen auf, wie der historische Schritt rückblickend zu bewerten ist. Es scheint, dass es in der tschechischen Gesellschaft zwei vorherrschende Meinungen gibt. Dazu nochmals Jan Cervenka:

"Aus gegenwärtiger Sicht halten 43% der tschechischen Bürger die Auflösung der Föderation für einen richtigen Schritt, nach Meinung von 45% der Bürger war es ein Fehler. Dies geht aus Untersuchungen hervor, die im November vergangenen Jahres durchgeführt wurden. Interessant sind jedoch auch die Resultate der Befragung, was die Haltung der Tschechen vor zehn Jahren anbelangt. 23% der Befragten stellten fest, dass sie damals der Auflösung der Föderation zugestimmt haben, 59% der Gefragten sagten, sie seien damals dagegen gewesen."

Es lohnt sich, diese Ergebnisse mit den im Herbst 1992 durchgeführten Umfragen zu vergleichen. Im September 1992 stimmten 46% der Bewohner der Tschechischen Republik der Auflösung der Föderation zu und 45% waren damals dagegen. In der Slowakei herrschte damals leicht die ablehnende Haltung vor - 41% der slowakischen Bevölkerung waren für die Trennung, aber 46% waren dagegen. Im Herbst 1992 wurden den Gefragten auch die Frage danach gestellt, ob die Auflösung der Föderation erforderlich ist oder nicht. In der Tschechischen Republik herrschte damals die Meinung vor, dass sie notwendig ist - im Oktober 1992 waren 51% der tschechischen Bürger von der Notwendigkeit überzeugt, die Föderation aufzulösen. Nur 38% der Tschechen meinten, dass es nicht erforderlich ist, während die Lage in der Slowakei umgekehrt war. Nur 37% der Slowaken hielten die Entstehung zweier selbständiger Republiken für notwendig. Es gab jedoch regionale Unterschiede im Rahmen der Tschechischen Republik, was die Haltung zum Weiterbestehen der Tschechoslowakei anbelangt. In Mähren gab es mehr Gegner der Auflösung der Föderation. Jan Cervenka nannte noch weitere Differenzen:

"Je nach Bildungsstand der Befragten gab es Unterschiede. Die Meinung war jedoch oft mit der politischen Orientierung des Menschen verbunden. Im Jahre 1992 befürworteten in der Tschechischen Republik vor allem Anhänger der rechten Parteien die Teilung der Tschechoslowakei - d. h. der Demokratischen Bürgerpartei (ODS) und der Demokratischen Bürgerallianz (ODA). Dagegen waren Anhänger der Sozialdemokraten (CSSD), der damaligen Liberal-Sozialen Union (LSU) sowie die Kommunisten."

Soweit die Ausführungen von Jan Cervenka, Mitarbeiter des Soziologischen Instituts der Tschechischen Akademie der Wissenschaften.

Autoren: Martina Schneibergová , Lydia Korecka
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