Slawisches Epos: Alfons Muchas Vision der slawischen und tschechischen Geschichte
Am Staatsfeiertag zum Kirchenreformator Jan Hus geht es hier bei uns um einen Gemäldezyklus über die Geschichte der Slawen und der Tschechen. Wir stellen das „Slawische Epos“ des Malers Alfons Mucha vor. Seine 20 großformatigen Bilder sind keine Dokumentation und Illustration der Geschichte, sondern entsprechen Muchas eigenem Konzept und seiner Vision der slawischen und tschechischen Historie. Besonders hebt er dabei die protestantische Linie hervor, die bei dem Kirchenreformator Jan Hus beginnt und über seine Nachfolger, über die Kirche der Böhmischen Brüder, bis zu ihrem letzten Bischof Jan Amos Komenský reicht.
„Der Besucher darf nicht jedes Bild wortwörtlich lesen, wie ein konkretes Bild aus der Geschichte. Das Slawische Epos illustriert die Geschichte nicht, sondern Mucha schuf hier seine fiktive eigene Welt. Die einzelnen historischen Ereignisse hat er so angepasst, dass sie seinem Anliegen entsprechen. Und sein Anliegen war die Metapher auf ein Volk zu schaffen, das friedlich ist, Kultur und Schrifttum pflegt und dem mit der Zeit gelingt, seine Freiheit zu verteidigen, indem es Harmonie erreicht und zum Vorbild für die Menschheit wird.“
Die Ausstellung geht von Muchas Originalkonzept aus. Die Bilder sind daher chronologisch nach den dargestellten Ereignissen angeordnet. Zehn davon gelten den Slawen, zehn der tschechischen Geschichte.„Der Zyklus geht von den drei einleitenden Gemälden über die älteste Geschichte der Slawen, über verschiedene Bilder aus der tschechischen und slawischen Geschichte bis zur Verherrlichung der Slawen, mit der Mucha sein Werk in der zweiten Hälfte der 20er Jahre gekrönt hat. Bei diesem Gemälde hat er die Entstehung der selbständigen Tschechoslowakei berücksichtigt.“
Mucha teilte die Gemälde nach ihrem Inhalt in vier Gruppen: allegorische Bilder, religiöse Bilder, Kriegsbilder – wobei er immer die Lage nach der Schlacht und nicht das Schlachtgetümmel dargestellt hat -, sowie Bilder aus dem Bereich Kultur.„Mucha unterstrich nie Machtgelüste oder aggressive Tendenzen, die man selbstverständlich auch bei den slawischen Völkern finden kann. Er wählte grundsätzlich solche Themen, die einen kulturellen Aufschwung slawischer Völker belegten.“
Zehn der großformatigen Bilder beschäftigen sich mit der tschechischen Geschichte. Sie bilden auch die Achse des Zyklus. Mucha konsultierte damals seine Ideen und Vorstellungen mit Historikern, einschließlich des berühmten französischen Historikers Ernst Denis. Er studierte auch Fachliteratur, schaute sich Museumssammlungen an und reiste an die Orte, an denen sich seine Bilder abspielen. Seine Themenauswahl traf er dabei nach einem bestimmten Konzept:„Mucha war der Meinung, dass das tschechische Volk im Rahmen der Slawen die höchste Kultur erreicht hat und ein Vorbild für die anderen sein sollte. Er konzentrierte sich auf eine bestimmte Linie der tschechischen Geschichte. Sie wird durch das Hussitentum repräsentiert. Besonders die Jednota bratrská – die Kirche der Böhmischen Brüder - lag ihm sehr am Herzen. Das Bild des letzten Bischofs der Böhmischen Brüder, Jan Amos Komenský, wurde von Mucha als überhaupt einziges der Gemälde signiert.“
Das Slawische Epos wurde in den Jahren 1912 bis 1926 geschaffen, mit der slawischen Idee war Alfons Mucha aber sein ganzes Leben lang verbunden.„Es war Muchas Traum - nach den vielen Jahren, die er als sehr erfolgreicher Weltkünstler durchlebt hatte. Er hatte im Auftrag gearbeitet und angewandte Kunst – zum Beispiel Plakate und Entwürfe für Sarah Bernhardt – gefertigt. Er sehnte sich danach, ein wirklich ernsthaftes Werk zu schaffen. Mucha wünschte sich, dass das Slawische Epos sein Geschenk an Prag beziehungsweise an das tschechische Volk, an die Slawen und an die Menschheit wird. Er war überzeugt, dass ein so ernstes Werk nicht verkauft werden darf, sondern dass es geschenkt werden muss.“
Das Slawische Epos traf im Ausland auf mehr Anerkennung als in seiner Heimat. Hierzulande wurde ihm von Künstlerkollegen und Kritikern Anachronismus vorgeworfen.
„Wir müssen in Betracht ziehen, dass im Jahr 1912, als Mucha die ersten drei Gemälde seines Slawischen Epos dem Prager Magistrat übergab, auch das abstrakte Bild „Fuge in zwei Farben“ von František Kupka entstanden ist. Und die junge Generation in Prag bekannte sich mit Begeisterung zum Kubismus. In diesem Zusammenhang schien es, dass Mucha all zu sehr im 19. Jahrhundert verwurzelt war, dass er seine Zeit verpasst hat. Heute, mit dem Abstand von hundert Jahren, können wir dies anders beurteilen und schätzen.“
Im Ausland wurde das Slawische Epos allerdings schon damals begrüßt und weckte großes Interesse.„Dies gilt bereits für die Ausstellung von fünf Gemälden in den USA, in Chicago und später im Brooklyn-Museum in New York, Anfang der 1920er Jahre. Gutes Echo erhielt Mucha auch 1936 in Paris. Dies wiederholte sich bei weiteren Ausstellungen im Ausland. In jüngerer Zeit wurde das Slawische Epos unter großem Publikumsinteresse im österreichischen Krems 1994 ausgestellt, und wiederholt hatte es großen Erfolg in Japan.“
In Muchas Heimat tauchte jedoch immer wieder die Frage auf, wohin damit:„Mucha stellte von Anfang an die Bedingung, dass die Stadt Prag einen eigenen Pavillon für das Slawische Epos baut. Prag bemühte sich, dieser Aufgabe gerecht zu werden, es ist aber nicht gelungen. Als im Jahr 1928 der Messepalast eröffnet wurde, stellte Mucha dort erstmals das komplette Slawische Epos aus. Er wollte nicht, dass das Slawenepos als Museumsstück von gleichgültigen Besuchern angeschaut wird, sondern dass es zu Taten animiert. Er stellte sich vor, dadurch zur Schaffung von besseren Verhältnissen auf der Erde beitragen zu können.“
Zwischen den 1930er und 1960er Jahren lagerten die Gemälde im Archiv. Ab 1963 wurden sie im Schloss von Moravský Krumlov / Mährisch Kromau ausgestellt. Die Ausstellung im Prager Messepalast ist vorerst nur für zwei Jahre geplant, bereits jetzt wird aber eine Verlängerung erwogen. Gleichzeitig plant Moravský Krumlov nach der Renovierung seines Renaissanceschlosses Muchas Gemälde wieder zurückzuholen. Die Zukunft des Slawischen Epos bleibt also offen, seine Bedeutung ist allerdings unumstritten. Kunsthistorikern Lenka Bydžovská.