Das Wendejahr 1989 als Startschuss für nie gekannten Reiseboom
In den Westen zu reisen, war in der kommunistischen Ex-Tschechoslowakei offiziell möglich. In Wirklichkeit war es aber ein Weg voller Hürden. Das Anschaffen jeweiliger Genehmigungen für Individualreisen oder stundenlanges Schlangestehen vor einem Reisebüro, um etwas vom knappen Angebot zu ergattern, war oft erfolglos. Von der Reisefreiheit konnte keine Rede sein.
Im November 1989 wurde das Regime gestürzt. Was dann gleich nach der Grenzöffnung in der Tourismusbranche über die Bühne ging, wird bis heute als eine Explosion des Papinschen Topfes bezeichnet. Abertausende Tschechen sind in den Westen aufgebrochen, viele von ihnen zum ersten Mal im Leben und nur für ein paar Schupperstunden. So wie das Ehepaar Jaroslav Kluch und Jaroslava Kluchová aus Prag:
„Wir sind gleich im Frühjahr 1990 gemeinsam mit unseren Freunden mit dem Auto für einen Tag nach Wien gefahren. Beim Anblick des Warenangebots waren wir total aus dem Häuschen. Für uns war es verblüffend, ja, atemberaubend!“
Etwas zum Essen habe man lieber von zu Hause mitgenommen, um Geld für etwas Anderes zu sparen:
„Zum Essen haben wir uns dort den ganzen Tag nichts gekauft. Wir wollten vor allem einkaufen: Elektronik, Konsumgüter und Bekleidung. Mit meiner Freundin haben wir uns auch Strickwolle gekauft, die es bei uns gar nicht in der opulenten Auswahl wie dort gab.“
Und die Möglichkeiten waren äußerst begrenzt. Die eine war, mit einem der zwei bis drei existierenden Reisebüros zu reisen. Es hieß dann in der Regel, die ganze Nacht vor dem angekündigten Verkaufstermin Schlange zu stehen, um etwas von den begrenzten Quoten des Reiseangebots zu ergattern. Bei der ebenfalls stark eingeschränkten Möglichkeit, eine individuelle Reise in den Westen zu unternehmen, musste man einen Antrag auf Genehmigung zum Devisenankauf stellen. Nur ein Bruchteil der Antragsteller war aber erfolgreich. Aber auch dann war man noch nicht durch. Für das - wie es damals hieß - „kapitalistische Ausland“, war noch die Genehmigung der Parteiorganisation des Betriebes und der Polizei erforderlich. Diese Ausreisekonditionen hat die Partei- und Staatsmacht als Ausdruck der Fürsorge um die Bürger des sozialistischen Staates präsentiert:
Eine Mutter erlaube ihren Kindern auch nicht dorthin zu gehen, wo es für sie gefährlich sei, antwortete in den 1980er Jahren der Parteiboss Vasil Bilak in einem Interview mit dem deutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Die Kluchs haben es 1987 versucht. Jarka erinnert sich gut daran:
„Wir wollten mit unseren Bekannten und ihren Kindern fahren, mit denen wir jedes Jahr einen gemeinsamen Urlaub machten. Sie haben aber nicht in Prag, sondern in Ostböhmen gelebt. Wir mussten also den Antrag an unterschiedlichen Orten stellen und dann gespannt auf das Resultat warten. Es war überhaupt nicht sicher, dass unsere beiden Familien die Devisen zugesprochen bekommen. Unsere Hoffnungen waren aber groß, weil wir bis dahin weder im Westen noch in Jugoslawien waren. Und es hat tatsächlich geklappt.“
Beide Familien durften zum ersten Mal in das damalige Jugoslawien fahren, das sie absolut bezaubert hat. Zwei Jahre später kam die Wende.
Bald schossen landesweit Reisebüros wie Pilze aus dem Boden und passten ihr Angebot dem Portemonnais der reiselustigen Durchschnittsverdiener an: Billige Fahrten mit alten unbequemen Bussen und bescheidene Unterkünfte in attraktiven Urlaubszielen Europas, oft mit Verpflegung auf eigene Kosten. Mit hausgemachten Schnitzeln, zu Hause eingeweckten Fleischkonserven und anderen Mundvorräten konnte man relativ gut über die Runden kommen. So ausgerüstet verbrachte auch das Ehepaar Kluch mit ihren zwei Kindern wiederholt den Sommerurlaub an der Adria im früheren Jugoslawien beziehungsweise Kroatien. Hauptsächlich der Kinder wegen, sagt Jaroslav Kluch:
„Das war eigentlich ein Opfer, dorthin mit dem Auto zu fahren, als es auf der Trasse keine Autobahnen gab. Über Ungarn und Serbien bis an die kroatische Küste hat es 24 Stunden gedauert. Wir haben es aber für die Kinder gemacht. Sie freuten sich immer, am Meer zu sein.“
Für die vierköpfige Familie hat Jaroslava Kluchová für jeden Tag am Meer ein Hauptgericht als Konserve zubereitet. Vor Ort haben die Kluchs außer Obst, Milch und Brot, Eis für die Kinder und ab und zu auch einmal Bier oder Wein nicht viel gekauft. War dieses „Urlaubsregime“ ein Muss für die meisten Tschechen? Eine Frage an die Familienmutter:
„Für den Normalbürger schon, denke ich. So war es nämlich wesentlich billiger. Uns hat das eigentlich nichts ausgemacht.“
Wie sah so ein Urlaubstag der Familie an der Adria gewöhnlich aus? Die Antwort kommt diesmal zunächst von Herrn Kluch:
„Tagsüber waren wir meistens am Strand, ab und zu gingen wir auf ein Bierchen, am Abend gab es das Abendbrot, und das war´s. Abends plauderten wir oft beim Wein“
„Jeden Abend gingen wir aber auch mit unseren Kindern spazieren. Für die hieß es natürlich, Eis zu essen. Das Eis war unvergleichlich besser als bei uns und auch die Portionen waren viel größer als bei uns. Das hat sich bis heute nicht verändert“.
Von Tschechen habe es dort immer gewimmelt, die auch ihren Adria-Urlaub im Zelt verbrachten, sagen beide übereinstimmend. Sie hätten dort auch viele Deutsche gesehen, die in Wohnwagen logierten und abends meistens in Restaurants saßen. Neidisch sei man aber eigentlich nicht gewesen.
Im letzten Sommer haben die Kluchs bereits zum siebten Mal Kroatien besucht. Mittlerweile reisen sie aber schon ohne Kinder. Verändert hat sich aber noch mehr, meint der Familienvater:
„Erstens reisen wir nicht wie früher mit dem Zelt. Für die Unterkunft suchen wir uns solide Appartements aus. Zum Essen gehen wir auch ins Restaurant, nicht jeden Tag allerdings, und Ausflüge mit dem Schiff bezahlen wir vor Ort. Jetzt ist es besser“.
Man sei mehr bequem und verwöhnt geworden, gesteht Jarka:
„Auf den Urlaub im Zelt würde ich mich heute auf keinen Fall einlassen. Früher hat mir das nichts ausgemacht, auch wenn die Kinder noch klein waren. Auch das nicht, dass abends vor dem Zelt auf dem Gaskocher gekocht wurde.“
Im Vorjahr haben rund 4,5 Millionen Tschechen Urlaub im Ausland gemacht, davon etwa 800 000 in Kroatien. Diese Rekordzahl ist nach Ausbruch der weltweiten Wirtschaftskrise etwas zurückgegangen, aber immer noch gilt das Land an der Adria als das beliebteste Reiseziel der Tschechen.