Normales Leben durch Transplantation möglich
Zittrige Hände, weiche Knie, ein blasses Gesicht, Schwitzen und andere Symptome gelten als Warnzeichen, die die Senkung der Blutzuckerwerte anzeigen. Eine starke Unterzuckerung, in der Fachsprache als Hypoglykämie bezeichnet, kann in einem Koma münden. Schuld daran ist die gestörte Funktion der Bauchspeicheldrüse, die Diabetes – im Volksmund Zuckerkrankheit. Aus aktuellem Anlass informierten kürzlich Spitzenexperten des Prager Instituts für klinische und Experimentalmedizin, kurz IKEM, auf einer Pressekonferenz über Transplantationen, die für einige Diabetiker die letzte Hoffnung bedeuten.
Der aktuelle Anlass war ein Jubiläum der tschechischen Transplantationsmedizin im Bereich der Diabetesbehandlung. Obwohl man im Prager IKEM bereits Mitte der 70er Jahre mit der Vorbereitung eines Projektes zur kombinierten Transplantation der Bauchspeicheldrüse und der Niere begonnen hatte, diese Organe werden nur selten getrennt verpflanzt, konnte sie dort erst am 28. Juni 1984 durchgeführt werden. Die erste ihrer Art in der damaligen Tschechoslowakei und dem so genannten Ostblock insgesamt. Der 32-jährigen Patientin, die bereits im Kindesalter von elf Jahren an Diabetes erkrankt war, wurde ein Teil der Drüse ersetzt. Professor Miloš Adamec:
„Die damalige Methode wurde aber von einer ganzen Reihe von chirurgischen Komplikationen begleitet. Ende der 80er Jahre haben wir die Operationstechnik verändert. Es dauerte zwei oder drei Jahre, bis man uns in den USA eine neue Operationstechnik, mit der die ganze Drüse transplantiert wird, beigebracht hat. Daher ist in dem tschechischen Transplantationsprogramm eine Pause aufgetreten. Durch die neue Operationstechnik konnten die chirurgischen Komplikationen wesentlich begrenzt werden. Im Prinzip kommt sie bis heute bis auf wenige Modifikationen zur Anwendung“.
Das neue Programm wurde im IKEM 1994 gestartet. In diesem Jahr hat Doktor Adamec die neue chirurgische Technik der Transplantation der ganzen Bauchspeicheldrüse eingeführt. Diese erlernte er zuvor bei einem mehrmonatigen Aufenthalt in Minneapolis. In einem Gespräch für Radio Prag erinnerte er sich:
„Bei mir war es vielleicht etwas einfacher. Im Lauf meiner wissenschaftlichen Karriere habe ich bereits viele Transplantationen an Tieren in einer Experimentalabteilung durchgeführt. Enorm geholfen hat mir aber der Aufenthalt in den USA, wo man mir des Öfteren ermöglichte, einen Teil der Operation selbständig zu machen. Als ich zurückkam, habe ich die Transplantationsdurchführung praktisch gekonnt.“
Zu den Patienten, bei denen Doktor Adamec eine erfolgreiche kombinierte Transplantation durchführte, gehört auch Jiri Sís, Jahrgang 1951. Im Jahr 1969 erkrankte er an Typ 1-Diabetes. Obwohl sich seine Krankheit durch typische Symptome manifestierte, wurde sie vom praktischen Arzt als eine Entzündung der Harnwege diagnostiziert. Erst als bei ihm das diabetische Koma aufkam, musste Herr Sís ins Krankenhaus eingeliefert werden, wo man die wahre Ursache seiner Probleme feststellen konnte. Eine Zeitlang musste er zweimal täglich Insulin spritzen:
„Am Anfang hat es geholfen. Ich war ein fast Musterpatient, wie ich die Empfehlungen der Ärzte befolgte. Im Laufe der Zeit nahm ich es aber nicht mehr wahr, dass ich mich nicht wohl fühlte. Gefühlsmässig lässt sich das als auftretender ´Treibstoffmangel´ bezeichnen. Als erstes Organ ist davon leider das Gehirn betroffen, die Wahrnehmungen stumpfen ab. In den kritischen Momenten hat mir mein Gehirn nicht signalisiert, dass ich schnell Zucker zu mir nehmen soll. Und wenn mir jemand anders sagte, ich sehe nicht gut aus und soll schnell essen, habe ich es abgelehnt, weil ich beispielsweise im Einklang mit meiner vorprogrammierten Tagesverpflegung zu einem späteren Zeitpunkt die Nahrung zu mir nehmen sollte.“Die Zeit, in der sich der Gesundheitszustand von Herrn Sís kontinuierlich verschlechterte, dauerte etwa zehn Jahre. Im Jahr 2000 wurden ihm die Bauchspeicheldrüse und eine Niere transplantiert. Frau Doktor Radka Koznarova, Chefin der Station und Ambulanz für Transplantationen der Diabetes-Klinik:
„Diese Operation wird bei Patienten durchgeführt, die bereits große Probleme mit Diabetes haben und Herr Sís war einer dieser Patienten, die wiederholt einen Insulinschock mit Bewusstlosigkeit erleben, wodurch für ihn kein normales Leben möglich war. Herr Sís ist Maler. Außer dass ihm die Transplantation ein normales Leben ohne Hypoglykämie und das wiederholte Koma ermöglicht, hat sie auch seine durch Diabetes ausgelöste Augenkrankheit gestoppt. Er musste nicht erblinden und kann weiter die schönen Bilder vom alten Prag malen. Nach der Transplantation muss er kein Insulin mehr spritzen und sein Blutzuckerspiegel ist in Ordnung.“
Die Transplantationsmedizin ist ein hoch spezialisierter Medizinbereich, der hohe Ansprüche sowohl auf die Qualifizierung der Mediziner als auch auf die moderne medizinische und vor allem teure Technik stellt. Sie kann aber auch nicht ohne Organspenden auskommen. Um diese ist es in Tschechien nicht bestens bestellt, obwohl nur Organe verstorbener Menschen gebraucht werden. Doktor Adamec:
„Die Situation um die Organspender ist in Tschechien limitiert. Außerdem ändert sich ihr Spektrum, und zwar in dem Sinne, dass sie ständig älter werden. Für die Transplantation der Bauspeicheldrüse ist es allerdings nötig, dass das Transplantat von bester Qualität ist. In dieser Hinsicht nimmt die Zahl der potentiellen Spender ab. Daher können wir nur etwa 27 bis 30 Patienten pro Jahr eine neue Bauchspeicheldrüse einpflanzen. Das Bedarfspotential ist natürlich größer.
Im Hinblick auf diese Zahlen schneidet Tschechien im europäischen Vergleich aber gar nicht so schlecht ab, sagt der Chefarzt des Transplantzentrums IKEM, Pavel Trunečka:
„Europaweit belegt Tschechien den dritten Platz. Auf dem ersten Platz liegt Norwegen und auf Platz zwei rangiert Österreich.
Das Durchschnittsalter Typ 1 Diabetiker mit einer transplantierten Bauchspeicheldrüse liegt derzeit in Tschechien zwischen 40 und 50 Jahren. Die Wartezeit auf die kombinierte Transplantation der Niere und Bauchspeicheldrüse beläuft sich im Schnitt auf anderthalb Jahre. Wenig erfreulich ist aber die aktuelle Entwicklung in Bezug auf die Zahl der zuckerkranken Patienten. Dazu abschließend Dozent František Saudek, Leiter der Klinik für Diabetes-Behandlung:
„Nach inoffiziellen Angaben wird Typ 1 Diabetes bei 2-4 Promille der tschechischen Bevölkerung diagnostiziert. Das heißt, dass zwei bis vier Zuckerkranke auf tausend Menschen entfallen. Diese Statistikangabe ist jedoch nicht genau, weil bei einem Teil der Patienten zunächst die Diabetes Typ 2 zum Vorschein kam, der später in ein komplettes Ausbleiben der Insulinproduktion mündete. Nicht alle Ärzte sind in der Lage, diese Veränderung zu erkennen. Bei Kindern lässt sich diese Diagnose einfacher treffen. Gegenwärtig gibt es hierzulande etwa 1500 Kinder, die unter Typ 1 Diabetes leiden. Die Tschechische Republik gehört zu den Ländern mit einem hohem Vorkommen dieser Krankheit, Tendenz steigend.“
Was wünscht sich der Transplantationschirurg Miloš Adamec mehr? Mehr Geld oder mehr Organspender, um noch mehr Transplantationen durchführen zu können? Das war meine abschließende Frage an ihn:
„Ich würde mir eher mehr Organspender wünschen. Das Geld für Ausbildung der Mediziner und ihre Ausstattung kann man schon irgendwie zusammenbringen, bei Spendern sieht das anders aus.“
Auf der Warteliste befinden sich derzeit 80 Patienten.