Thema HIV/Aids: Auch in Tschechien zunehmend verdrängt

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65 Millionen Menschen sind weltweit mit dem HIV-Virus infiziert, 25 Millionen von ihnen sind bereits gestorben. Zwei Drittel der erkrankten Personen leben in Afrika. Im Vergleich zu den Nachbarländern ist die Lage in Tschechien nicht schlecht. Am 1. Dezember, dem Welt-Aids-Tag hat man sich aber auch hierzulande bei verschiedenen Veranstaltungen einmal mehr bewusst gemacht, dass die bisher unheilbare Krankheit da ist, Tendenz steigend. Aus dem aktuellen Anlass wendet sich Jitka Mladkova diesem Thema in der neuen Ausgabe der Sendereihe Forum Gesellschaft zu.

Das geht mich nichts an! Mit dieser Feststellung winken viele unter uns den Gedanken an Aids ab. Der 1. Dezember ist eine gute Gelegenheit, sich daran zu erinnern bzw. daran erinnert zu werden, dass das Problem existiert und alle Erdbewohner angeht. Auch wenn die Bilanz der HIV-Infizierten oder Aids-Kranken in der Tschechischen Republik keineswegs katastrophal ist, nimmt ihre Zahl kontinuierlich zu. Jüngster Statistik zufolge haben sich in den zurückliegenden 25 Jahren in Tschechien insgesamt 904 Menschen infiziert, 123 sind gestorben. Als bester Schutz gilt natürlich nach wie vor Prävention, doch auch die Medizin kann sich heutzutage auf wesentlich erfolgreichere Behandlungsmethoden als früher stützen. Nach Marie Bruckova, der Leiterin des Nationalen Referenzlabors für Aids, können immer mehr Infizierte auch 20 Jahre oder sogar länger mit der unerfreulichen Diagnose überleben. Und außerdem:

"Es gelingt uns auch, den Zeitraum von der eigentlichen Infizierung an bis zum Moment der ersten klinischen Symptome zu verlängern. Leider liegt es immer noch nicht in unseren Kräften, die Kranken zu heilen."

Marie Bruckova
Mit den Erfolgen der modernen Medizin wachsen aber auch die Kosten der Krankenbehandlung, mit denen die Staatskasse nur schwer Schritt halten kann. Der Manager des tschechischen HIV/AIDS-Bekämpfungsprogramms, Jaroslav Jedlicka, äußerte sich verärgert über die sogar sinkenden Ausgaben der Regierung für diesen Bereich. Hier ein konkretes Beispiel von ihm:

"Im Vorjahr standen uns insgesamt 22,5 Millionen Kronen, ca. 700.000 Euro, zur Verfügung, in diesem Jahr waren es nur noch 16 Millionen."

Diesem Trend steht die aktuelle Entwicklung gegenüber: Im laufenden Jahr haben sich in Tschechien 77 Menschen mit dem Killervirus infiziert - zehn Prozent mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres. Zum 31. Oktober 2006 wurden in Tschechien insgesamt 906 HIV-positive Menschen registriert, darunter 204 AIDS-Kranke.

Seit über zehn Jahren wird der Weltaidstag am 1.Dezember auch in Tschechien begangen. Die Organisatoren verschiedener Veranstaltungen wollen jedes Mal von neuem eine womöglich breite Öffentlichkeit auf das Problem aufmerksam machen, das viele lieber aus dem Bewusstsein verdrängen. Die südmährische Epidemiologieexpertin Renata Vaverkova behauptet: Man wolle über die Gefahr einer HIV-Infizierung nicht nachdenken. Man könne sich sehr gut informieren, wenn man nur wolle, doch gerade am Willen hapert es oft, sagt sie:

"Im Internet findet man sehr gute aktuelle Informationen. Ihre Verbreitung in Schulen und verschiedenen Institutionen funktioniert auch ganz gut. Trotzdem gibt es immer noch große Reserven in der Bereitwilligkeit, die Angebote auch anzunehmen."

Mit der zunehmenden Zahl der HIV-Infizierten sind in Tschechien aufgrund staatlicher und privater Initiativen auch Hilfsorganisationen entstanden, die diesen Menschen auf verschiedene Art und Weise unter die Arme greifen. Zu ihnen zählt auch die Nationale Telefon Help Line AIDS, die 1995 am Gesundheitsinstitut im mittelböhmischen Kolin vom Gesundheitsministerium eingerichtet wurde. In den zurückliegenden 11 Jahren hat man dort rund 80.000 Anrufe entgegengenommen. Die häufigste Frage ist, wo und wann man sich untersuchen lassen kann, sagte uns Dr. Miloslava Brezovska von der Help Line AIDS:

"Wichtig ist, dass man ihnen sagt, dass eine Untersuchung nicht unmittelbar nach der vermeintlichen Infizierung vorgenommen werden kann. Einige rufen nämlich schon zwei drei Tage später bei uns an, von uns erfahren sie dann, dass sie zunächst zwei bis drei Monate abwarten müssen. Sehr oft kommt es vor, dass diejenigen, die besonders große Befürchtungen hegen, wiederholt anrufen. Einer der Gründe ist aber auch, dass sie ihre Besorgnis niemandem, nicht einmal jemandem ihrer Nächsten, anvertraut haben, was eigentlich richtig ist. In der Zeit bis zur Untersuchung ist dann unsere Beratungsstelle der eigentliche Begleiter dieser Menschen."

Wenn die Wartezeit endlich um ist, kann man sich aufgrund der erhaltenen Informationen mit seinen Sorgen an konkrete Stellen wenden. Dr. Brezovska klärt seit fast 15 Jahren die Interessenten über Telefon, aber auch beim persönlichen Gespräch auf:

"Da wir für das ganze Land zuständig sind - die Anrufe kommen tatsächlich aus ganz Tschechien - werden unsere Klienten je nach Wohnort angewiesen, an welche AIDS-Beratungsstelle sie sich am besten wenden können."

Allein in der mittelböhmischen Region gibt es die Beratungsstellen in fünf grösseren Städten - außer Prag auch in Kladno, Melnik, Pribram und Kolin. Ein ähnliches Netz dieser Einrichtungen existiert auch in den übrigen Teilen des Landes. Doch sie gewähren nicht nur faktische Beratung. Gefragt ist auch die Seelsorge!

"Das ist ganz bestimmt eine unserer bedeutendsten Aufgaben. Man darf aber nicht glauben, dass alle, die bei uns anrufen, gleich in Panik geraten. Viele wollen sich lediglich informieren. Sie wollen zum Beispiel ihre Kenntnisse oder irgendwelche Informationen aus der Lektüre mit uns konsultieren oder einfach erfahren, ob sie einen Grund haben, nach einer erlebten Situation das Schlimmste zu befürchten. Bei Menschen, wo die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Infektion sehr hoch ist, stellt sich natürlich großer Stress ein."

Jeder müsse aber auf beide Alternativen gefasst sein, sowohl die positive als auch die negative sagt Dr. Brezovska. Bei der psychologischen Unterststüzung baue man eindeutig auf der Hoffnung, sagt sie. Und ob sich einige auch später irgendwann zurückmelden, frage ich:

"Es rufen vor allem diejenigen an, deren Untersuchung negativ ausfiel. Das passiert immer wieder. Einige kommen sogar persönlich. Viele bedanken sich dafür, dass wir ihnen geholfen haben, die Wartezeit voller Angst zu überstehen. Nur selten kommt aber jemand, bei dem die HIV-Diagnose bestätigt wurde. Die HIV-Positiven werden nämlich nach der Untersuchung an AIDS-Zentren weitergeleitet, die sich in allen regionalen Hauptstädten befinden. Dort werden die meisten von ihnen auch behandelt."

Vorbeugung und Förderung der Gesundheit, das ist nicht nur das Motto, sondern auch der Hauptgegenstand der beruflichen Laufbahn von Miloslava Brezovska. Über die Tätigkeit des Gesundheitsinstituts, das auch die Aids-Telefonberatung bietet, sagt die Ärztin Folgendes:

"Ich hoffe, dass unsere Arbeit positive Ergebnisse bringt. Sie sind zwar schwer messbar, aber ich bin davon überzeugt, dass auch wir durch diese Arbeit einen Beitrag dazu leisten, dass Tschechien trotz der steigenden Zahl der HIV-Infzierten im Vergleich mit anderen Ländern gut abschneidet. Und da klopfe ich immer wieder auf Holz!"