Michal Frankl über das dritte Theresienstädter Gedenkbuch und weitere Projekte des ITI

In unseren Sendungen haben wir bereits einige Male über die so genannten Theresienstädter Gedenkbücher berichtet, die vor allem mit dem Ziel herausgegeben werden, das Schicksal der Opfer des Theresienstädter Ghettos zu dokumentieren. Vorige Woche wurde der jetzt erschienene dritte Band in Prag vorgestellt, der sich mit dem Schicksal der nach Theresienstadt deportierten österreichischen Jüdinnen und Juden befasst. Martina Schneibergova sprach anlässlich der Präsentation des neu erschienen Gedenkbuchs mit den Mitarbeitern des Instituts der Theresienstädter Initiative (ITI). Mehr erfahren Sie in der heutigen Ausgabe der Sendereihe "Begegnungen".

Nach den Bänden, die sich auf das Schicksal der Juden aus Böhmen und Mähren sowie aus Deutschland konzentrierten, gab das Institut der Theresienstädter Initiative in Zusammenarbeit mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes nun das dritte Gedenkbuch heraus. Den Projektleiter des Instituts, Michal Frankl, fragte ich nach Einzelheiten:

"Das Gedenkbuch beinhaltet drei Listen, drei Gruppen der Häftlinge. Die erste enthält Namen von österreichischen Juden, die aus Österreich - meistens aus Wien - mit den großen Transporten nach Theresienstadt deportiert wurden. Das waren etwa 15.000 Personen. Im Buch gibt es des Weiteren eine Liste von ungarischen Juden, die aus Österreich am Ende des Kriegs nach Theresienstadt deportiert wurden. Diese ungarischen Juden wurden vorher im Winter 1944-45 aus Ungarn nach Österreich zur Zwangsarbeit gebracht. In der dritten Gruppe, die das Buch erwähnt, sind österreichische Juden, die vor der Verfolgung in andere Länder geflohen waren oder aus Österreich vertrieben worden waren, und erst dann nach Theresienstadt verschleppt wurden. Es geht um eine Liste von etwa 1700 Personen, die meistens aus dem Protektorat Böhmen und Mähren, Deutschland, den Niederlanden und aus anderen Ländern nach Theresienstadt transportiert wurden. Diese Liste ist bestimmt unvollständig, denn wir finden immer wieder neue Namen, die dazu gehören. Dann gibt es noch eine sehr spezifische Liste. Es ist eine Liste von zehn Kindern, die in Theresienstadt zur Welt kamen. Die meisten von ihnen sind umgekommen."

Michal Frankl,  Foto: Autorin
Wodurch unterscheidet sich dieses Gedenkbuch von anderen ähnlichen Büchern, die vor etwa dreißig Jahren herausgegeben wurden?

"Die Quellenlage zum Theresienstädter Ghetto und zu Opfern des Ghettos ist relativ gut, auch wenn die deutsche Kommandantur des Ghettos am Ende des Krieges anordnete und eigentlich auch vollzog. Es gibt aber doch ausreichend Quellen, um die Listen und Karteien der Opfer zusammenzustellen. Dies geschah schon gleich nach dem Krieg. Man war bemüht eine Dokumentation darüber zusammenzustellen, was mit den tschechischen sowie anderen Häftlingen passiert ist. Man versuchte diese Daten zu sammeln. Später. an der Wende der sechziger und siebziger Jahre wurden diese Listen vom jüdischen Komitee von Theresienstadt bearbeitet, das in Wien gegründet wurde. Es wurde an Listen von Häftlingen aus verschiedenen Ländern gearbeitet. Während der Vorbereitungen des Gedenkbuchs haben wir dann aber viele neue, bislang nicht bearbeitete Informationsquellen verwendet - die Transportlisten, viele Karteien, die entweder in Prag oder in Wien aufbewahrt werden, viele Listen, die unsere Kollegen aus anderen Ländern lieferten. Wir haben beispielsweise auch die so genannten ´Todesfallanzeigen´ aus dem Ghetto benutzt, die oft vergessen wurden. Zu einem viel besseren Datenstand trug die Tatsache bei, dass wir die Dateien des ITI und des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes verglichen haben."

Ein weiteres Buch ist erschienen, damit wurde aber ihre Forschungsarbeit nicht beendet. Woran arbeiten Sie jetzt und wie sehen die Herausgeberpläne des Instituts aus?

"Unser Projekt, mit dem die Daten der Opfer dokumentiert werden, geht noch nicht zu Ende. In der Zukunft werden wir wahrscheinlich noch einen Band der Theresienstädter Gedenkbücher über niederländische Juden, die nach Theresienstadt deportiert wurden, herausgeben. Darüber hinaus versuchen wir jetzt nicht nur die einfachen Daten - das heißt Namen, Geburtsdaten, Transport- und Todesdaten - zu sammeln, sondern auch Dokumente wie beispielsweise Fotos und andere Materialien, die uns helfen, hinter diesen langen Namenlisten konkrete Menschen zu sehen. Das Institut entwickelt jetzt ein Projekt mit dem Titel ´Das Theresienstädter Album´. Wir versuchen etwas Ähnliches wie ein Familienalbum zu gründen - mit Fotos, Beschreibungen, Notizen und Informationen darüber, was mit den Menschen geschah. Wir hoffen, dass es zur Holocaust-Erziehung beitragen und das Gedenken an die Opfer fördern wird."

Passiert es, dass sich Verwandte der Theresienstädter Häftlinge an das Institut mit Bitte um Informationen wenden?

"Ja, viele Familienangehörige, aber auch interessierte Leute oder Lokalhistoriker schreiben uns und rufen bei uns an. Jede Woche beantworten wir mehrere Fragen. Es ist interessant, dass oft nicht einmal die Familienmitglieder wissen, was mit ihren Verwandten passierte. Oder aber fragen sie manchmal nach weiteren Dokumenten. Sie haben beispielsweise Probleme damit, sich die Erlebnisse ihrer Großmutter vorzustellen, oft haben sie kein Foto von ihr. Wenn wir diese Materialien sammeln, wollen wir damit den Familien auch helfen, der Opfer zu gedenken."

Michael Wögerbauer,  Foto: Autorin
Bei der Präsentation des Gedenkbuchs im Österreichischen Kulturforum in Prag war auch Michael Wögerbauer anwesend, der sich als ehemaliger Gedenkdiener an der Herausgabe des Bandes beteiligte. Über die Teilnahme der österreichischen Gedenkdiener am Projekt sagte er:

"In Prag gibt es seit Beginn der neunziger Jahre jeweils zwei Gedenkdiener am Institut der Theresienstädter Initiative. Einer der Gedenkdiener beschäftigt sich immer mit EDV Angelegenheiten und vor allem mit der Datenbank des Instituts auf Grundlage derer dieses Buch gemacht wurde. Da arbeitete praktisch jedes Jahr ein Gedenkdiener an der Erstellung dieses Buches. Wie hier zu hören war, wurde dieses Buch seit 1998 zusammengestellt. Ich war in den Jahren 2000-2001 selbst Gedenkdiener und arbeite seitdem mit dem Institut zusammen. Ich bin jetzt Mitherausgeber der Theresienstädter Studien und Dokumente. Das ist ein Jahrbuch, das auf Tschechisch und Deutsch erscheint und in dem sich internationale Historiker mit Fragen des Holocaust und vor allem mit der Geschichte Theresienstadts beschäftigen. Ansonsten schreibe ich eine Dissertation über das literarische Leben in Prag zwischen 1760 und 1820 - also ein ganz anderes Thema im Prinzip. Die einzige Gemeinsamkeit ist vielleicht, dass es immer darum geht, zwischen den beiden Ländern - Österreich und Tschechien - zu vermitteln beziehungsweise ein bisschen diese nationalen Grenzen und Abgrenzungen zu überwinden."