9) „Trachteninsel“: Volkskleidung Böhmens und Mährens an einem Ort
Die Pracht der Trachten kann man auf einer „Trachteninsel“ in Mittelböhmen bewundern. Im Meierhof Ostrov (zu Deutsch: Insel) wird die größte private Sammlung historischer volkstümlicher Kleidung hierzulande gezeigt.
„Ostrov ist ein kleines Dorf. In Tschechien gibt es 27 Gemeinden dieses Namens. Man muss daher aufpassen, um nicht in einem ganz anderen Ort anzukommen. Den Kern bildet ein Meierhof, und wir stehen gerade in seinem Wirtschaftsgebäude. Die Trachten aus Böhmen werden in einem ehemaligen Kuhstall ausgestellt, die aus Mähren in einem Pferdestall.“
Soweit Jan Mičánek. Er hat das Schloss Ostrov und die umliegenden Scheunen, Ställe und weiteren Gebäude vor etwa 15 Jahren in Stand gesetzt. Und danach über die Nutzung der Räumlichkeiten nachgedacht. Im September dieses Jahres wurde das Trachtenmuseum eröffnet:
„Die Idee entstand durch einen Zufall. Der erste Impuls war, dass uns eine Frau ihre private Trachtensammlung geschenkt hat.“
Die Volkstracht ist eine Kleidung, die ihren Ursprung in ländlichen Gebieten hat. An der Tracht einer Person konnten sich Beruf, Stand und Vermögen ablesen lassen. Wer reich war, ließ dies auch in der Verzierung seiner Kleidung oder aber etwa an der Anzahl der Unterröcke erkennen.
„Das Museum besitzt etwa 260 komplette Trachten, die an Figuren ausgestellt sind. Ergänzt werden sie von Exponaten, wie etwa 100 Paar Schuhe oder Trachtenpuppen.“
Alle Trachtengebiete Tschechiens an einem Ort
Des Weiteren werden Stickereien, geklöppelte Spitzen, Bänder, Hauben, Tücher, Strümpfe und anderen Bekleidungsstücke gezeigt.
„Die Grundlage des Bestands bilden vier große Privatsammlungen, die wir erwerben konnten. Zudem haben wir dutzende weitere Trachtenteile und Trachten geschenkt bekommen oder gekauft. Die Ausstellung ergänzen auch Leihgaben aus elf anderen Museen.“
Die Ausstellung sei die überhaupt erste öffentliche Präsentation aller Trachtengebiete der Tschechischen Republik an einem Ort, betont Mičánek. Auf einer Karte gleich am Eingang sind insgesamt 124 Regionen markiert. Eine ergänzende Karte dokumentiert, wann die Trachten aus der jeweiligen Region verschwunden sind:
„Dieser Prozess dauerte rund 200 Jahre, wobei es mehrere Impulse gab. In den Industriegebieten, wie Příbram oder dem Erzgebirge, hatte man die Trachten schon früher abgelegt. Dies war auch in Gegenden der Fall, in denen ein größerer Teil der Bevölkerung in Städten lebte. Ein entscheidendes Datum war die Aufhebung des Untertanentums 1848, die eine größere Mobilität der Bewohner zur Folge hatte.“
Die überwiegende Mehrheit der insgesamt 4000 Ausstellungsstücke musste restauriert werden, sagt Jan Mičánek. Übernommen hat dies ein Team aus fünf Frauen, ehemaligen Lehrerinnen aus der nahen Gemeinde Zbraslavice. Und sie arbeiten weiter in einer kleinen Werkstatt im Museum:
Sie beherrschten alles. Vom Waschen, Bleichen, Bügeln, bis zum Häkeln, Klöppeln, Sticken – kurzum alles, sagt Alena Hanousková mit Lächeln. Und ihre Kollegin Zdena Málková ergänzt:
„Die Trachten befanden sich meistens in einem schlechten Zustand, da sie in Kisten irgendwo auf dem Dachboden gelagert wurden. Hatte ein Hemd eine Spitze, mussten wir sie zunächst abtrennen, das Hemd waschen, auf dem Rasen bleichen und stärken und danach die Spitze wieder annähen. An vielen Tüchern fehlten Perlen, die mussten wir wieder anbringen. Viele Hauben mussten repariert werden, weil sie fast auseinanderfielen. Dafür hat Anička gesorgt. Míla ist wiederum eine sehr geschickte Schneiderin.“
Neue Pracht der alten Trachten
Die Damen arbeiten unter der Aufsicht des Ethnographen und Kurators der Ausstellung, Jan Kuča. Ohne seine Zustimmung hätten sie gar nicht anfangen können, sagt Anna Ruthová. Doch auf das Vorgehen hätten sie oft selbst kommen müssen. Kuča wisse zwar, wie das Kleidungsstück letztlich aussehen soll, habe aber keine Ahnung, wie man das erreiche, fügt sie hinzu.
In der Eingangshalle des Museums haben die Besucher die Wahl: Links geht es – bildlich gesprochen – nach Böhmen, rechts in den mährischen Landesteil. Jan Mičánek hebt beim Rundgang einige Regionen und Details hervor. Er zeigt etwa die Vitrine, die dem Gebiet von Haná / Hanna in Mittelmähren gewidmet ist.
„Man sagt, dass die Trachten reich ausgestattet sind, weil Haná eine reiche Region war. Und das stimmt auch. Schauen Sie sich dieses Leibchen an. Es ist mit Gold bestickt, das ist fantastisch. Oder das Tuch ‚úvodnice‘. Dieser Textilstreifen wurde bei Ritualen verwendet. Úvod (auf Deutsch: Einführung) ist ein Ritual, bei dem eine Frau ihr neugeborenes Kind zum Altar getragen hat. Dabei war es in diesen Schal gewickelt, den die Frau dann bei verschiedenen Festen trug. Diesem Stoffstück begegnet man in Böhmen nicht, man findet es aber in Mähren, in der Slowakei, in Polen und noch weiter im Osten.“
Viel schlichter als die Frauentracht aus Haná sieht die Tracht aus dem ostmährischen Horňácko aus:
„Dies liegt an der Silhouette der Frauenfigur. Sie ist natürlicher, weil die Frauen keine Unterröcke trugen. Charakteristisch für dieses Gebiet waren Röcke aus Hanfleinen, die mit Safran gefärbt wurden. Und auch das sogenannte Muster ‚činovať‘. Dank einer Sondertechnik entstehen durch Weben Muster, die wie Stickerei aussehen.“
Spitzen, Stickereien, Bänder und Hauben
Im böhmischen Ausstellungsteil macht Jan Mičánek etwa auf die hübsche Bekleidung aus dem Chodenland aufmerksam. Oder aber auf ein Detail, das die Trachten in der südböhmischen Region von Blata schmückt:
„Die Tücher, zweieinhalb Meter lang und breit, wurden bestickt – aber nicht mit Zwirn, sondern mit kleinen Perlen. Alle Stickereien sind aus kleinen, farbigen Kügelchen gemacht. Die Tücher wogen drei Kilo und mehr.“
In der südböhmischen Region um Třeboň / Wittingau, die durch ihre Teiche und Karpfenzucht geprägt ist, wurden die Trachten wiederum mit Fischschuppen geschmückt. Diese wurden mit Natron gereinigt, gebügelt, geschnitten und als Schmuck genutzt. In der Umgebung von Tábor setzte man wiederum auf Nadel, Zwirn und Schere:
„Dort wurde die Ausschnittstickerei zur Vollkommenheit gebracht. Damit wurden vor allem Vortücher geschmückt, aber auch Bänder der Hauben, Kragen und Handtücher.“
Soweit unsere kleine Kostprobe aus der „Trachteninsel“. Zuletzt hebt der Museumsbesitzer noch eine Besonderheit seiner Sammlung hervor:
„Wir zeigen hauptsächlich Volkstrachten aus dem 19. Jahrhundert. Und da damals ein Drittel der hiesigen Bevölkerung Deutsch sprach, sind viele unserer Figuren in Trachten gekleidet, die in deutschsprachigen Regionen getragen wurden. Ich sage bewusst: Dies sind nicht deutsche Trachten, sondern Trachten der deutschsprachigen Böhmen.“
Zusammen mit ihrem Mann hat sich auch Frau Novotná das Museum angeschaut. Sie interessiere sich für die Volkskunde, weil sie vom Land stamme, sagt die Besucherin und zeigt auf eine Ausstellungsfigur:
„Ich stamme aus Haná, also einer Region um Olmütz. Diese Tracht, die diese Puppe trägt, habe ich als Kind gehabt. Meine Kusine hat sie für mich genäht und bestickt. Getragen habe ich sie damals etwa beim Umzug zum Muttertag oder bei der Kirchweih, insgesamt aber eher selten. Denn in unserer Region werden die Trachten seit 150 Jahren nicht mehr getragen.“
Und wie gefällt ihr das Museum?
„Ich bin entzückt. So etwas habe ich nicht erwartet – so viele Trachten, so viele gründliche Informationen dazu. Es ist ein erstaunliches Museum, wie ich es noch nicht gesehen habe.“
Das Trachtenmuseum „Ostrov lidových krojů“ befindet sich in Ostrov bei Kutná Hora / Kuttenberg. In den Wintermonaten ist ein Besuch nach telefonischer Absprache (Telefonnummer: +420 778 460 093) möglich.