Das „Nichts“ fotografieren: Ausstellung in Zittau zeigt verschwundene Synagogen in Tschechien
Ein Großteil der Synagogen in Tschechien wurde im 20. Jahrhundert zerstört – entweder durch die Gewalt der Nationalsozialisten oder nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch die Missachtung der Kommunisten. Von den einstigen Sakralbauten ist hierzulande vielerorts nichts übriggeblieben. Fotografien der Orte, an denen einmal Synagogen standen, zeigt nun eine neue Ausstellung. Zu sehen ist sie derzeit in der Hillerschen Villa in Zittau.
Die Ausstellung in Zittau wurde anlässlich des Holocaust-Gedenktages eröffnet. Sie trägt den Titel „Unsichtbare Synagogen“ und zeigt Fotografien von Štěpán Bartoš. Er ist in Tschechien auf Spurensuche gegangen und hat mit seiner Kamera alle Orte besucht, an denen im 20. Jahrhundert eine Synagoge zerstört wurde. Im Gespräch mit Radio Prag International erklärt er, wie es zu dem Projekt kam.
„Ich bin von Beruf Fotograf. Unter anderem habe ich mich auf historische Bauwerke spezialisiert. Einmal bekam ich den Auftrag, jüdische Baudenkmäler im Osten Böhmens zu fotografieren. Bei meiner Recherche musste ich jedoch leider feststellen, dass heute der Großteil der Bauten gar nicht mehr steht. An vielen Orten ist von den Synagogen rein gar nichts mehr übrig.“
Denn die jüdischen Sakralbauten wurden nach 1938 entweder von den Nazis zerstört, oder sie verfielen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg durch das mangelnde Interesse des kommunistischen Regimes. Bartoš kam so die Idee zu seinem Projekt…
„Ich hielt das für ein spannendes Thema, dieses Nichts zu fotografieren. Ich habe also an Orten Fotos gemacht, an denen heute nichts mehr ist – jene Orte, an denen früher die Synagogen standen.“
Zunächst lichtete er die Standorte in Böhmen ab, dann auch die in Mähren und Schlesien. In der Kulturkneipe Jolesch der Hillerschen Villa in Zittau ist nun eine Auswahl der Fotografien zu sehen, die im Grenzgebiet zu Deutschland entstanden sind. Dass die Aufnahmen in dem soziokulturellen Zentrum in Zittau gezeigt werden, ist unter anderem Petra Zahradníčková zu verdanken. Sie betreut an der Hillerschen Villa ein Projekt mit dem Namen Netzwerkstatt.
„Im Rahmen der Netzwerkstatt gibt es eine neue Stelle, die durch den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds gefördert wird. Das ist meine Stelle. Meine zentrale Aufgabe ist es, tschechische Inhalte über die Grenze nach Deutschland zu bringen. So ist es dazu gekommen, dass wir auf Herrn Bartoš aufmerksam geworden sind. Wir wollten seine Arbeiten zu den ehemaligen Synagogen gern in Zittau zeigen.“
In der Hillerschen Villa finden dabei auch über die aktuelle Ausstellung hinaus oft grenzüberschreitende Projekte mit Tschechien-Bezug statt, seien es Konzerte, Jugendbegegnungen oder Festivals.
„Die Zerstörung der Synagogen hat Wunden hinterlassen.“
Die Bilder in der Fotoausstellung ziehen die Besucher in ihren Bann. An den Orten, an denen einst die Synagogen standen, befinden sich heute Supermärkte, Wohnhäuser, Freiflächen oder Straßen. Die Umrisse der einstigen Bauten sind aber dennoch zu sehen. Denn Štěpán Bartoš hat sie durch ein besonderes Verfahren deutlich gemacht. Die Aussagekraft der leeren Fotos allein hätte ihm nicht gereicht, sagt der Fotograf:
„Die Zerstörung der Orte jüdischen Glaubens hat in den Städten und Gemeinden Wunden hinterlassen. Diesen Gedanken wollte ich auf die Fotos übertragen. Die gedruckten Bilder habe ich deshalb mit einem scharfen Werkzeug bearbeitet. Ich habe die Strukturen der einstigen Synagogen in das Material hineingeritzt.“
Aus den „unsichtbaren Synagogen“ werden so sichtbare. Im Grenzgebiet zu Deutschland und dem gesamten früheren Sudetengebiet sei der Verlust der Synagogen besonders zu spüren, meint Bartoš.
„Zittau befindet sich unmittelbar an der Grenze zu Tschechien. In diesem Gebiet wurden auf der tschechischen Seite fast alle Synagogen zerstört. Im Landesinneren sieht das mitunter anders aus. In Prag zum Beispiel gab es durch ein unglückliches Missverständnis im Zweiten Weltkrieg einen Luftangriff von US-Truppen. Dabei wurden die Synagoge im Stadtteil Vinohrady zerstört. Die anderen jüdischen Sakralbauten sind aber erhalten geblieben.“
Aus seinen unzähligen Aufnahmen musste Bartoš für die Schau einige wenige auswählen. Für den Fotografen, der in Pardubice auch eine Galerie betreibt, war dabei unter anderem wichtig, die unterschiedlichen Typen von Synagogen abzubilden.
„Manche Synagogen, vor allem in den großen Städten wie etwa in Budweis, waren prächtige und pompöse Bauwerke. Es gab aber auch auf dem Land viele kleinere Bauten, die sich kaum von den sonstigen Häusern in den Dörfern unterschieden.“
Mangelnde Erinnerungskultur
Bei seinen Fotoreisen durch Tschechien kam Štěpán Bartoš auch mit den Menschen vor Ort in Kontakt. Oft hätten die Anwohner gefragt, was er da fotografiere. Wenn Bartoš dann antwortete, er sei an diesem Ort, weil hier einmal eine Synagoge gestanden hätte, seien die Reaktionen verschieden gewesen, meint er:
„Manch einer wusste gar nicht, was eine Synagoge ist. Viele hatten nicht die leiseste Ahnung von der Geschichte des Sudetenlandes. Die ursprüngliche Bevölkerung lebt ja dort nicht mehr. Die Menschen, die dort jetzt wohnen, haben ganz andere Interessen. Ich habe aber auch Leute getroffen, die sich noch an die Synagogen von einst erinnern können. Auf einem meiner Fotos ist ein Mann in Kardašova Řečice zu sehen. Er zeigt mit der Hand auf den Ort, an dem einmal die Synagoge stand. Das Bild ist auch Teil der Ausstellung.“
Dass die Menschen oftmals nicht wissen, dass sich an den betreffenden Orten einmal Synagogen befanden, darf nicht verwundern. Denn zumeist sucht man vergeblich nach einer Hinweistafel, die an die Bauten erinnert. Dies bemängelt auch Markéta Lhotová. Sie ist Historikerin an der Technischen Universität Liberec.
„Früher wurde daran gar nicht erinnert. In Opava zum Beispiel tauchte am Standort der ehemaligen Synagoge erst Anfang der Nuller Jahre eine Gedenkplatte auf. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich zum ersten Mal dort war: Es gab nichts, was auf die einstige Synagoge hinwies, ich musste mich anhand alter Bilder und Landkarten orientieren. Das war früher vielerorts so – und daran hat sich mitunter bis heute nichts geändert.“
Nach den Novemberpogromen folgte die Missachtung der Kommunisten
Markéta Lhotová hat sich in ihrer Forschung auf das Schicksal der Synagogen im Grenzgebiet spezialisiert. Zu den ehemaligen jüdischen Gemeinden würden heutzutage jedoch kaum noch Informationen existieren – anders etwa als im Falle von Prag. Vor allem in Nordböhmen und dem Norden des Landes hätte es dabei früher vermehrt prächtige Synagogen gegeben. Und die wurden dann 1938 eines der Hauptziele der Nazis. Denn Hitler-Deutschland besetze bereits im Oktober des Jahres die deutschsprachigen Sudetengebiete.
Die Zerstörung von Synagogen im 20. Jahrhundert teilt Markéta Lhotová in mehrere Phasen ein, wobei die erste von ihnen noch vor den Novemberpogromen liegt. Denn gleich zu Beginn des Jahrhunderts sei aufgrund städtebaulicher Umbauten eine größere Anzahl jüdischer Baudenkmäler verschwunden – etwa in Prags jüdischem Viertel Josefov. Den endgültigen Schlussstrich für viele Synagogen in Tschechien brachte dann der November 1938. Die großen Gebäude wurden von den Nazis eingerissen, kleinere geplündert. Die sogenannte „Reichskristallnacht“ war dabei nur der Anfang.
„Die nächste Welle der Zerstörung kam nach Besetzung der sogenannten ‚Rest-Tschechei‘ vom 15. März 1939. Sie dauerte etwa ein halbes Jahr. Daran beteiligt waren auch tschechische Faschisten, es waren also nicht nur die Nazis. Aber natürlich waren die Nationalsozialisten für den Großteil der Zerstörungen verantwortlich, und am meisten geschah dies in den deutschsprachigen Gebieten.“
Auf die Zerstörungen folgten später Kriegsschäden. Von Bomben getroffene Bauten wurden nach 1945 oft abgerissen. Aber auch wenn eine Synagoge all die städtebaulichen Umbauten überstand sowie die Abrisse durch die Nazis und den Zweiten Weltkrieg, war ihr kein gutes Schicksal beschert. Denn die jüdischen Gemeinden waren ja durch den Holocaust praktisch ausgelöscht, was Folgen hatte. Markéta Lhotová erklärt, was passierte…
„1952 wurden acht Gemeinden für ganz Böhmen und Mähren eingerichtet. Sie hatten also ein großes Gebiet zu verwalten, aber nur relativ wenige Mitglieder. Es gab sehr viele Bauwerke, also etwa Synagogen oder Friedhofsbauten, um die man sich kümmern musste. Doch dazu waren die Gemeinden gar nicht im Stande. Ungenutzte Bauten verkauften sie deshalb zum Beispiel an die Städte.“
In der Folge wurden die Gotteshäuser zweckentfremdet. Sie dienten etwa als Lagerräume. Ob sie in Stand gehalten wurden oder nicht, hing laut Lhotová davon ab, wie sehr und wofür sie genutzt wurden. Nach der Samtenen Revolution von 1989 setzte das Umdenken zudem zunächst nur langsam ein…
„Ein trauriger Fall ist etwa die Synagoge von Loštice. Sie sollte in den 1990er Jahren abgerissen werden. Glücklicherweise haben die Anwohner dagegen protestiert, und das Gebäude wurde so gerettet.“
Ein neues Bewusstsein
Die Synagoge in Loštice / Loschitz – mittlerweile wurde sie rekonstruiert und dort ein Museum eingerichtet. Und wenngleich vielerorts die Erinnerung noch ausstehe, ähnliche Beispiele wie das aus Loštice würden sich mittlerweile immer mehr finden, sagt die Historikerin:
„In der letzten Zeit ist das Interesse gestiegen, die jüdischen Denkmäler, die es noch gibt, zu schützen. Viele Synagogen und Bauwerke werden restauriert. Zum Beispiel ist heute der Zustand der jüdischen Friedhöfe im Grenzgebiet mit dem vor 20 Jahren kaum zu vergleichen.“
Als weiteres positives Beispiel aus dem Grenzgebiet könne auch die Synagoge in Liberec / Reichenberg dienen, sagt Markéta Lhotová. Die Alte Synagoge in der Stadt wurde während der Novemberpogrome 1938 von den Nationalsozialisten zerstört. Am Ort, an dem sich einst Juden zum Beten trafen, wurde ein Parkplatz eingerichtet. Erst in den 1990er Jahren brachte man eine Gedenktafel an. Mittlerweile findet sich an der Stelle nicht nur eine Bibliothek, sondern auch die Neue Synagoge von Liberec. Sie wurde am 9. November 2000 eröffnet und ist damit die einzige nach 1945 geweihte Synagoge in Tschechien. Und auch dieses Motiv darf unter den Fotografien von Štěpán Bartoš nicht fehlen.
Die Ausstellung „Unsichtbare Synagogen“ ist in der Kulturkneipe Jolesch der Hillerschen Villa in Zittau zu sehen. Sie kann zu den Öffnungszeiten noch bis zum 31. März besucht werden. Auf der Website des Projekts, www.unsichtbaresynagogen.eu, können die Bilder auch online angeschaut werden.