Jeden Tag höhere Strafe: Tschechien hat EU-Whistleblower-Richtlinie noch nicht umgesetzt
Erstmals überhaupt wird Tschechien eine Strafe zahlen müssen, weil es eine EU-Richtlinie nicht rechtzeitig umgesetzt hat. Es geht um den Schutz von Whistleblowern – also jenen, die auf Missstände in Behörden und Unternehmen hinweisen.
Mehr als ein Drittel der Tschechen sagt, sie seien einmal Zeugen davon geworden, wie auf der Arbeit mindestens unethische, wenn nicht sogar illegale Praktiken angewendet wurden. Dies ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage, die die Nichtregierungsorganisation Oživení (Belebung) vor drei Jahren durchführen lassen hat. Ein weiteres Ergebnis der Erhebung: Die meisten dieser Zeugen haben ihre Beobachtungen niemandem anvertraut.
„Es ist schwer, das zu melden, wenn man eine untergeordnete Stellung hat und vom Arbeitgeber abhängig ist. Man riskiert, sein Team zu zerstören und selbst gemieden zu werden. Oder man erhält weniger Lohn, wird zu einer anderen Arbeit zugeteilt, und schlimmstenfalls verliert man sogar seinen Job“, so die Leiterin von Oživení, Šárka Zvěřina Trunkátová.
Genau vor diesen Folgen sollen sogenannte Whistleblower rechtlich geschützt werden. Denn die EU verlangt in einer Richtlinie, dass Unternehmen und Behörden sichere Meldekanäle für sie einrichten. Tschechien hat allerdings – genauso wie fünf weitere Staaten inklusive Deutschland – das entsprechende Gesetz noch nicht verabschiedet. Deswegen muss der tschechische Staat erstmals seit dem EU-Beitritt von 2004 eine Strafe zahlen wegen der Nicht-Umsetzung europäischen Rechts. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg vor kurzem beschlossen. Martin Smolek ist Staatssekretär im tschechischen Außenministerium:
„Wenn die Europäische Kommission ihre Klage am Gerichtshof einreicht, ist sicher, dass wir zahlen müssen. Die Höhe wird praktisch der Summe entsprechen, die die Kommission vorgeschlagen hat. Zum 28. März lag die hypothetische Strafe bei 2,29 Millionen Euro. Aber das ist nicht die endgültige Summe, denn bisher ist noch kein Urteil ergangen, und Tschechien hat die Richtlinie immer noch nicht umgesetzt.“
Eigentlich hätte der Schutz von Whistleblowern spätestens zum 17. Dezember 2021 geregelt sein müssen. Jeder Tag Verspätung kostet 4900 Euro Strafe. Da das entsprechende Gesetz aber noch im tschechischen Abgeordnetenhaus liegt, dürfte es nicht vor Ende dieses Jahres in Kraft treten. Deswegen steigt die Strafsumme bis dahin weiter an.
Dabei war hierzulande eigentlich schon im Dezember 2021 ein Hinweisgeberschutzgesetz ausgearbeitet gewesen. Ondřej Kopečný leitet das tschechische Büro der Antikorruptions-Organisation Transparency International:
„Hätte die derzeitige Regierung so schnell wie möglich ein Gesetz verabschieden wollen, dann hätte sie schon kurz nach ihrer Ernennung dazu die Möglichkeit gehabt. Denn die Vorgängerregierung hatte bereits eine Novelle vorbereitet. Diese war aus unserer Sicht sogar viel besser war als die aktuell geplanten Regeln. Sie ermöglichte zum Beispiel auch anonyme Hinweise.“
Doch Letzteres will das von den Bürgerdemokraten geführte Justizministerium nicht. Das heißt, Firmen oder Behörden würden sich nicht mit anonymen Meldungen beschäftigen. Dabei gehen die meisten Hinweise ohne Unterschrift ein. Laut der NGO „Rekonstrukce státu“ (Wiederaufbau des Staates) sind das 58 Prozent. Und gerade diese Meldungen sind wichtig, denn in ihnen wird den Erhebungen nach häufig auf schwere Straftaten aufmerksam gemacht.
Deswegen will beispielsweise die Piraten-Partei noch Nachbesserungen im Gesetzesentwurf, der derzeit in den Ausschüssen des Abgeordnetenhauses behandelt wird…
„Wir haben uns parteiintern bereits entschlossen, dass ebenso die Meldung von Verstößen und nicht nur die von Straftaten ins Gesetz aufgenommen werden sollte. Und allen Indizien nach sieht es danach aus, dass wir in Bezug auf die öffentliche Verwaltung auch anonyme Hinweise hinzugefügt sehen wollen“, sagt die STAN-Abgeordnete Hana Naiclerová.
Als Nächstes steht in der unteren Parlamentskammer die zweite Lesung an. Welchen Zuschnitt das Hinweisgeberschutzgesetz dabei erhalten könnte, ist noch nicht abzusehen.