Kulturzentrum anstatt Weberei: Immer mehr Industriebrachen in Tschechien werden neu genutzt
Halb verfallene Lagerhallen oder Büroräume verwandeln sich in Restaurants oder Kulturzentren, und Industriebrachen werden zu Wohnvierteln. Diese Nutzung sogenannter Brownfields boomt derzeit in Tschechien.
Ursprünglich stand in Tušimice in Nordböhmen eines der größten Braunkohlekraftwerke Tschechiens. Doch heute befindet sich dort ein weitläufiges Gewächshaus. Es ist das Reich von Lukáš Rázl und seinen Tomatenpflanzen:
„Es sind sehr viele Pflanzen, konkret 176.000. Wir züchten sie im Wasser, doch die Wurzeln befinden sich in einer Art Matratze. Grundlegend ist aber, dass wir sie praktisch ohne Chemie heranziehen.“
Rázl hat die Firma Naše rajče (Unsere Tomaten) ins Leben gerufen und dafür eben eine der vielen Industriebrachen genutzt. Dies war aber nur möglich, weil er in seinen Gewächshäusern nicht auf den kontaminierten Boden am Ort des früheren Kraftwerks angewiesen war.
Weiter östlich im Land, in Ústí nad Orlicí / Wildenschwert, soll der ehemalige Kesselraum einer Textilfabrik renoviert werden…
„Wir haben uns bemüht, das Gebäude von allen Bauelementen der vergangenen Jahrzehnte zu befreien. Dabei ist wichtig auseinanderzuhalten, was einen Wert hat und was nicht. Letzteres entfernen wir“, sagt der Architekt Ondřej Chybík.
Aus dem Kesselraum und dem Umspannwerk soll später eine Galerie mit einem Café werden.
Auch rund 40 Kilometer südöstlich, in Moravská Třebová / Mährisch Trübau, will man ein Brownfield umwandeln. Eine Weberei, in der sich später eine Molkerei angesiedelt hatte, soll nun ein multifunktionales Kulturzentrum werden. Pavel Charvát (Bürgerdemokraten) ist Bürgermeister von Moravská Třebová:
„Auf dem Areal sind mehrere Dinge in Planung: eine Bibliothek, ein Veranstaltungssaal, ein Kino und Räume für kleinere kulturelle Veranstaltungen. Und ein nahegelegenes Museum will hier sogar seine Lagerräume einrichten.“
Die Nutzung von Industriebrachen boomt gerade in Tschechien. Darauf hat auch das Industrie- und Handelsministerium reagiert und ein Förderprogramm aufgelegt. Die Gelder wurden jetzt noch weiter erhöht, sodass 600 Millionen Kronen (25,6 Millionen Euro) zur Verfügung stehen.
„Bisher wurden 20 Projekte in ganz Tschechien gefördert, durch die Erhöhung der Gelder können es nun bis zu 27 Projekte sein. Dazu gehören zum Beispiel die Umwandlung des ehemaligen Wasserwerks in Písek, die Revitalisierung des Areals des alten Heizkraftwerks in Dobruška oder die Restaurierung des ehemaligen Gesundheitszentrums in Drásová“, sagt Ministeriumssprecher Marek Vošahlík.
Hierzulande besteht auch eine Datenbank mit Brownfields. Mehrere Hundert Objekte werden dort zum Kauf angeboten. Betrieben wird die Datensammlung von der staatlichen Investitionsagentur CzechInvest. Dass sich das Interesse an der Nutzung von Industriebrachen in Tschechien stark erhöht hat, liegt laut der Agentur unter anderem am Mangel an neuen Bauflächen. David Hořínek ist Sprecher von CzechInvest:
„Im vergangenen Jahr hat sich die Nachfrage nach Brownfields um 51 Prozent erhöht. Die meisten Brachflächen befinden sich im Mährisch-Schlesischen Kreis und im Kreis Ústí nad Labem. Auf dem dritten Platz liegt der Kreis Liberec.“
Der Vorteil beim Bau auf Brownfields besteht darin, dass diese meist schon an die Infrastruktur angebunden sind. Der Nachteil sind jedoch eventuelle Altlasten in den Gebäuden und im Boden.