Zu viele aufgeschobene Einschulungen – Bildungsressort plant Änderungen
In den ersten Klassen der tschechischen Schulen ist es in den letzten Jahren keine Ausnahme mehr: Neben einem Schüler, der erst vor kurzem seinen sechsten Geburtstag hatte, sitzt ein fast achtjähriger Mitschüler. Denn verhältnismäßig viele Kinder in Tschechien werden später als im Alter von sechs Jahren eingeschult. Das Bildungsministerium will dagegen vorgehen.
Die allgemeine Schulpflicht beginnt in Tschechien genauso wie in Deutschland im Alter von sechs Jahren. Vor einigen Tagen gingen die Einschreibungen der Kinder für die erste Klasse zu Ende. Ähnlich wie in den vergangenen Jahren ist schon jetzt klar, dass rund ein Viertel der sechsjährigen Kinder im September nicht mit dem Schulbesuch beginnen wird. Bedeutend häufiger als in anderen europäischen Ländern wird die Einschulung aus verschiedenen Gründen um ein Jahr hinausgeschoben.
Annas Tochter wird im Juli sechs. Die Frau aus dem mährischen Olomouc / Olmütz beschrieb in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks die Gründe, warum ihre Tochter jedoch dieses Jahr noch nicht in die Schule gehen wird.
„Bei ihr spielten die mangelnde Grafomotorik sowie die zeitliche Orientierung die entscheidende Rolle. Uns wurde gesagt, dies seien wichtige Voraussetzungen, um lesen und schreiben zu lernen. Unsere Tochter sei aber noch nicht reif genug.“
Anna hatte zwar schon geplant, ihre Tochter einzuschulen. Die Kindergärtnerinnen hätten ihr jedoch gesagt, das Mädchen sei auf einen Schulbesuch noch nicht vorbereitet. Veronika aus Prag hat bereits im vergangenen Jahr erlebt, dass ihr Sohn Kryštof, der nächsten Monat sieben wird, noch nicht eingeschult wurde:
„Kryštof leidet seit der Geburt an Muskelhypotonie. Vor allem im Bereich der Grafomotorik sind seine Fähigkeiten eingeschränkt.“
Wegen der geschwächten Muskeln empfindet Kryštof jedoch im Unterschied zum Schreiben keinerlei Beschränkungen im Bereich Mathematik und Sprachunterricht. Eine spätere Einschulung sei dennoch für den Sohn nützlich, meint die Mutter:
„Das war notwendig wegen der Grafomotorik. Ich bin davon überzeugt, dass die Entscheidung für eine spätere Einschulung richtig war.“
Das tschechische Bildungsministerium schlägt nun Änderungen im System der Einschulungen vor. Falls diese umgesetzt werden, würde Kindern wie diesen vermutlich eine aufgeschobene Einschulung nicht mehr ermöglicht. Das Ministerium möchte die Zahl der späteren Einschulungen von jetzt fast 25 Prozent auf die in Europa übliche Prozentzahl reduzieren. In Deutschland fangen beispielsweise rund fünf bis sieben Prozent der Kinder später als andere mit dem Schulbesuch an. Emanuel Vittek von der Presseabteilung des tschechischen Bildungsministeriums erklärt, welche Nachteile er im hiesigen System sieht:
„Anstatt die Kinder bei ihrer individuellen Entwicklung zu unterstützen, lassen wir sie flächendeckend in den Kindergärten oder den vorbereitenden Schulklassen sitzen.“
Das Bildungsministerium schlägt vier Varianten vor, wie das bisherige System geändert werden könnte. Die erste rechnet mit der Aufhebung der vorbereitenden Schulklassen. Laut der zweiten Variante wären Schuldirektoren damit beauftragt, die aufgeschobenen Einschulungen zu überprüfen. Weitere Möglichkeiten bestehen laut dem Bildungsressort darin, spätere Einschulungen nur für Kinder zu bewilligen, die im Sommer geboren sind, die gesundheitlich benachteiligt sind oder die in unterschiedlichen Kultur- und Lebensbedingungen aufwachsen. Emanuel Vittek:
„Wir müssen uns auf eine Individualisierung des Unterrichts in den ersten Klassen konzentrieren. Den Schulen müssen wir methodische sowie personelle Unterstützung bieten und die Angst vor Misserfolg in der Schule bekämpfen.“
Kateřina Lánská vom Informationszentrum für Bildung, Eduin, stimmt Emanuel Vittek zu. Ihren Worten zufolge haben alle vier Varianten einige Punkte gemeinsam:
„Dazu gehört das Ziel, den Kindern einen einfacheren Übergang vom Kindergarten zur Schule zu ermöglichen. Zudem wird erwogen, die Noten in der ersten bis dritten Klasse abzuschaffen. Es wird des Weiteren über die Anstellung von mehr Lehrerassistenten gesprochen.“
Veronika Pavlas Martanová ist Kinderpsychologin. Sie arbeitet in der pädagogisch-psychologischen Beratung im sechsten Prager Stadtbezirk. Sie sagt, es sei vor allem notwendig, jene Ansprüche zu reduzieren, die an die Schulleistungen der Erstklässler sowie an ihre Lehrer gestellt werden:
„Die Unterstützung besteht nicht nur darin, dass die Noten abgeschafft werden, sondern auch darin, dass der Anspruch korrigiert wird, dass alle Kinder am Ende der ersten Klasse lesen und schreiben können.“
Beiden Expertinnen zufolge sollte das Vorhaben des Bildungsministeriums in drei bis vier Jahren eingeführt werden.