Keine Angst vor Nachhaltigkeit: Organisation „Fakta o klimatu“ macht Klimawandel verständlich
Ondráš Přibyla ist Physiker. Er betrachtet die Dinge sehr klar und systematisch, ja geradezu nüchtern. Eine solche Haltung in der Diskussion um den Klimawandel beizubehalten, ist nicht selbstverständlich – vor allem in Tschechien, wo die Debatte hitzig verläuft und von Desinformationen durchdrungen ist. Um sie in sachliche Bahnen zu lenken, hat Přibyla vor ein paar Jahren die Organisation „Fakta o klimatu“ (Fakten über das Klima) gegründet. Am Rande der Konferenz „Zelená Modernizace Česka“ (Grüne Modernisierung Tschechiens), über die wir vor etwa zwei Monaten berichtet hatten, konnte Radio Prag International ein Interview mit Ondráš Přibyla führen.
Es sitzt sich entspannt auf einer Parkbank an diesem prächtigen Frühsommertag. Die Sonne scheint, es weht ein angenehm milder Wind, und der Hirschgraben auf dem Prager Burggelände präsentiert sich als grüne Oase. Hier lässt sich leicht vergessen, dass es die Klimakrise gibt. Aber Ondráš Přibyla hat die Gabe, seinem Gesprächspartner mit so ruhigen wie wirksamen Worten die Realität ungeschönt vor Augen zu führen:
„Tschechien hat sich in den vergangenen 60 Jahren um zwei Grad Celsius erwärmt. Das ist ziemlich viel und wirkt sich auf die Lebensbedingungen etwa für Fichtenwälder aus. Und für den Borkenkäfer. Diese Tiere sind in den 1960er Jahren in Südmähren zweimal pro Saison ausgeschwärmt. In den letzten Jahren ist dies viermal pro Saison der Fall. Die höheren Temperaturen sorgen dafür, dass der Käfer schneller wächst. Das bedeutet auch, dass er die Wälder schneller vernichtet. Was früher über lange Zeit bewahrt werden konnte, ist heute unhaltbar.“
Es sind Informationen wie diese, über die tagtäglich gesprochen wird und die auf die Menschen eine bedrohliche Wirkung haben. Auf der Website faktaoklimatu.cz gibt es noch viel mehr davon. Allerdings ist es nicht der Schockeffekt, den die Organisation mit dem gleichen Namen erreichen will. In der Selbstdarstellung heißt es vielmehr, dass zu einer sachlichen und kultivierten Diskussion über den Klimawandel in Tschechien beigetragen werden soll.
Mit dieser Absicht habe er die Initiative „Fakta o klimatu“, also die „Fakten über das Klima“, überhaupt erst gegründet, blickt Přibyla ein paar Jahre zurück. Der Impuls sei 2018 gekommen, als der Weltklimarat (IPCC) seinen Sonderbericht zur Erderwärmung um 1,5 Grad Celsius herausgab. Als Physiker habe er sich berufen gefühlt, sein eigenes Wissen beizusteuern, so Přibyla:
„Die wissenschaftliche Seite des Problems muss übersetzt werden für die Kommunikation mit den Menschen, damit es für sie zugänglich wird und sie die Dinge verstehen. Ein weiterer Wendepunkt waren für mich die Studentenstreiks für das Klima, die 2019 begannen. An einem dieser Streiks habe ich auch teilgenommen, und mich interessierte, wie die Journalisten darüber berichten würden. Als ich ein Team des öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehens danach fragte, antworteten sie, sie hätten sich nur das Programm der Streiks angeschaut. Da war mir klar, dass die Presse lediglich darüber schreiben würde, wie viele Studenten teilgenommen haben und was ihre Losungen waren – also solche Dinge, die am einfachsten herauszufinden waren. Als ich weiter fragte, ob sie vielleicht recherchiert hätten, um wie viel Grad sich Tschechien schon erwärmt hat, meinten die Journalisten, dass sie dazu nicht genügend Zeit hätten. In diesem Moment sagte ich mir: Ich weiß, wo diese Daten zu finden sind und wie sie genutzt werden können. Und ich habe Informatiker-Freunde, die eine passende Webseite programmieren können. Tun wir uns also zusammen und packen wir das an!“
Damit war „Fakta o klimatu“ geboren. Die kleine Gruppe habe nur ein paar Abende gebraucht, um eine brauchbare Datenübersicht zusammenzutragen, fährt Přibyla fort. Heute hingegen würden sie ganze Datenanalysen erstellen über Temperaturentwicklungen oder über den Transformationsprozess der Energieproduktion in Tschechien. Ihre Graphiken seien mit einer öffentlichen Creative-Commons-Lizenz versehen, sodass sie leicht von Politikern, Lehrern oder auch Dozenten genutzt werden könnten, fügt der NGO-Leiter noch hinzu.
„Der Wandel zur Nachhaltigkeit ist möglich.“
Was sagen die Fakten über das Klima nun aus? Ondráš Přibyla, der an Universitäten und in Firmen regelmäßig Vorträge zum Thema hält und auch Mediationsarbeit leistet, vermag den Kern der Klimakrise klar zu benennen:
„Dieser ganze Wandel findet vor allem statt, weil sich die Atmosphäre verändert. Ihre Zusammensetzung gestaltet sich aktuell so, wie sie zuletzt vor vier Millionen Jahren war. Das ist ein größerer Zeitraum, als der Homo erectus für seine Entwicklung brauchte – also eine schrecklich lange Zeit. Und die Zusammensetzung der Atmosphäre verändert sich deswegen, weil wir fossile Brennstoffe verwenden. Durch die Verbrennung von Erdöl und Erdgas werden jährlich weltweit etwa 40 Milliarden Tonnen Kohlendioxid freigesetzt. Und das macht sich in der Atmosphäre einfach bemerkbar.“
Schon wieder so eine bedrohliche Zahl, die in den Menschen oft Gefühle von Hilflosigkeit und Lähmung hervorruft. Aber Přibyla setzt auf die hoffnungsvollen Tendenzen in all den Daten:
„Der positive Umgang damit ist, dass wir gegen all dies etwas tun können. Sehr vereinfacht gesagt: Wir haben die Technologien und auch das Geld dafür, um uns als Gesellschaft zu ändern. Es lohnt sich hinzuzufügen, dass dies das erste Mal in der Geschichte der Menschheit so ist. Unsere Gesellschaft kann wirklich nachhaltig werden. Vor 100 Jahren wäre das noch nicht gegangen. Denn der einzige Weg, ausreichend Energie zu produzieren, bestand in fossilen Brennstoffen. Wenn damals eine Gesellschaft prosperieren sollte, dann war sie notwendigerweise verschwenderisch und nicht nachhaltig.“
Inzwischen sei das anders: Heute könne ein Land gedeihen und trotzdem nachhaltig wirtschaften, wird der Wissenschaftler fast leidenschaftlich angesichts der historischen Chance.
Nun muss man kein Misanthrop sein, um der tschechischen Gesellschaft eine eher geringe Bereitschaft für einen solchen Wandel zu zertifizieren. Hat der Experte Tipps für die Argumentation im Gespräch mit Menschen, die nicht auf die Fakten hören? Přibylas Antwort kommt vorsichtig und ist überraschend:
„Es ist die Frage, ob sie das tun sollten. Dies geht ja von einer Vorstellung aus, nach der wir alle Menschen davon überzeugen müssen, dass der Klimawandel ein Problem ist. Die meisten wissen das aber mehr oder weniger. Meinungsumfragen zeigen, dass mehr als 75 Prozent der Menschen in Tschechien den Klimawandel für ein Problem halten, das existiert.“
Auch wenn der Einzelne sich für einen nachhaltigen Lebenswandel entscheide, führt Přibyla weiter aus, bestehe sein Beitrag doch nur in einem verantwortungsvollen Warenverbrauch und der Müllvermeidung, maximal in der Wärmeisolierung seines Wohnhauses oder in der Anschaffung eines Elektroautos...
„Der Klimawandel und die Treibhausgasemissionen hängen aber nur in sehr geringem Maße mit dem täglichen Verbrauch der Menschen zusammen. Dies ist doch auch eine gute Nachricht: Wer für die Dekarbonisierung ist, muss seinen Lebensstil nicht komplett ändern. Die Abkehr von fossilen Brennstoffen erfordert eine andere Art des gesellschaftlichen Wandels, als dass die Menschen sich drastisch einschränken sollten oder auf die Bäume zurückkehren müssten.“
Transformation als Aufgabe für die „großen Player“
Womit wir bei der Hauptthese von Ondráš Přibyla angelangt wären, die er auch in seinem Vortrag bei der Konferenz „Grüne Modernisierung Tschechiens“ dargelegt hat: Die Transformation und damit die Bekämpfung des Klimawandels sind Sache der „großen Spieler“. Im Interview geht der NGO-Gründer darauf ein:
„Politikern zum Beispiel sollten wir nicht die Frage stellen, ob sie an den Klimawandel glauben, sondern vielmehr, ob sie ihn verstehen. Das wäre ein wichtiger Schritt nach vorn. Und genauso anspruchsvoll sollten wir gegenüber den Direktoren von Unternehmen sein, vor allem von den großen aus der Fossilindustrie. Von ihnen wissen wir seit langem, dass sie die Transformationspläne torpedieren. Sie verfolgen ökonomische Interessen. Hören wir also auf, die Last der Veränderung auf die normalen Menschen abzuladen.“
Zwar würde die Welt durchaus besser werden, wenn die sogenannten normalen Leute weniger verbrauchen und mehr Solidarität zeigen würden gegenüber den Produzenten der Waren, wirft Přibyla ein. Sogleich kommt er aber auf seine These von der Modernisierung als „Spiel der Großen“ zurück und begründet:
„Ein Großteil der Emissionen stammt von den großen Playern. Das kann für die einzelnen Branchen benannt werden: Der Energiesektor Tschechiens verantwortet ein Drittel aller Emissionen im Land, die Industrie ein weiteres knappes Drittel. Auf beiden Gebieten können einzelne Leute sehr wenig ausrichten. Denn keiner hat zu Hause einen Ausschaltknopf für ein ganzes Kohlekraftwerk, nicht wahr?“
Eine weitere positive Nachricht sei, dass die Transformation in großem Maße schon passiere, fährt der Datenexperte fort:
„Die Braunkohlekraftwerke werden in den kommenden Jahren ihren Betrieb einstellen, weil sich der Preis für die Emissionszertifikate erhöht. Das ist ein rein ökonomischer Druck, der zu jenem Mechanismus gehört, den die EU schon um 2007 herum als erste in der Welt eingeführt hat. Er ist also schon lange in Kraft, die Firmen wissen um ihn und können sich auf ihn einstellen. Das manche dies nicht tun, ist ein anderes Problem. Aber der Mechanismus funktioniert, und er sondert die Braunkohlewerke aus der Energieproduktion aus. Dies ist das ‚große Spiel‘, das die Staaten zur Aufgabe haben: die Marktbedingungen so zu gestalten, dass sie Entscheidungen für die Nachhaltigkeit ermöglichen.“
Klingt einfach – ist aber offenbar eine der schwersten Aufgaben, die sich der Politik in Tschechien und auch in vielen anderen Ländern derzeit stellen. Es sei jedoch legitim, deren Erfüllung von den Regierungen einzufordern, unterstreicht Přibyla. Und wie zur Ermunterung fügt er hinzu, dass selbst eine ganze Systemtransformation in kleine praktikable Schritte unterteilt werden könnte:
„Einer davon ist die Vergünstigung von erneuerbaren Energiequellen, also der Wind- und Sonnenkraft. Der Preis für solche Stromanlagen ist in den letzten 20 Jahren drastisch gesunken, weil große Staaten – im Falle von Solar ist das etwa China – darin investieren und Kraftwerke bauen. Inzwischen sind die Erneuerbaren die billigsten Energiequellen, die wir haben.“
Da wundert man sich doch, warum es in Tschechien kaum Windkraftanlagen gibt…
„Das ist eben die schwierige Frage bei all dem. Das Problem, den Klimawandel aufzuhalten, ist kein technologisches. Und auch nur in relativ geringem Maße ein ökonomisches. Das Problem ist vielmehr ein gesellschaftliches, weil sich die Allgemeinheit noch nicht entschlossen hat, dass sie den Wandel will. Es fehlt an Mut. Ich denke, ein Grund dafür ist, dass die Gesellschaft – konkret die Entscheidungsträger wie Politiker, Lehrer, Bürgermeister oder Firmendirektoren – sich nicht klar sind über die Palette an Entscheidungen, die getroffen werden könnten. Aber dies ist etwas, das mit guter analytischer Arbeit behoben werden kann.“
Und genau hier kommt die Organisation „Fakta o klimatu“ ins Spiel. Der „Atlas klimatické změny“ (Atlas des Klimawandels) etwa ist nur eine ihrer frei zugänglichen Publikationen, die eine Übersicht über die Ursachen und Auswirkungen der derzeitigen Krise gibt. Er ist vor kurzem auch in englischer Sprache erschienen und unter https://factsonclimate.org/atlas abrufbar. Mit den darin enthaltenen Daten und ihrer Analyse solle ein Art Menü erstellt werden, so Přibylas Vergleich, aus dem die Entscheidungsträger dann auswählen können, in welchem Bereich sie in Aktion treten wollen – indem sie Maßnahmen ergreifen zur Adaption an den Klimawandel oder zu seiner Eindämmung. Denn dass der Wandel in der tschechischen Gesellschaft möglich ist, davon zeigt sich Ondráš Přibyla überzeugt.