Zeuge der Geschichte: Villa Tugendhat II

Tugendhat Villa

Die alte Dame hat nie ein leichtes Leben gehabt – bis auf die ersten Jahre ihrer Existenz, an die sie sich doch im Guten erinnern kann. Die Rede ist von der Villa Tugendhat, dem berühmten Werk von Ludwig Mies van der Rohe. In der vergangenen Ausgabe der Sendereihe „Reiseland Tschechien“ begannen wir Ihnen die Geschichte des wertvollen Bauwerks zu schildern, das auf der Unesco-Weltkulturerbeliste steht. Dabei versprachen wir, die Führung durch die Villa fortzusetzen.

Obwohl die Villa Tugendhat in einer Stadt erbaut wurde, die gegenüber der modernen Architektur sehr aufgeschlossen war, waren die Reaktionen der Architekten nicht gerade begeistert. Die Villa hat einiges mit dem deutschen Pavillon von der Weltausstellung 1928 gemeinsam. In der Zeit, als Mies van der Rohe die Baupläne für das Ehepaar Tugendhat vorbereitete, arbeitete er am deutschen Pavillon für die Weltausstellung in Barcelona. Dagmar Černoušková vom Dokumentationszentrum des Brünner Stadtmuseums, das die Villa heutzutage verwaltet, bemerkt jedoch:

Villa Tugendhat
„Frau Greta Tugendhat hat einmal gesagt, dass Mies mit ihnen über den Pavillon von Barcelona gar nicht gesprochen hat, und dass sie nicht geahnt hatten, dass er daran gearbeitet hat. Die Tugendhats haben über den Pavillon erst erfahren, als ihre Villa bereits erbaut wurde. Aus der Sicht des Architekten handelte es sich beim Pavillon von Barcelona und der Brünner Villa um ähnliche Konzepte, aber das eine war ein Ausstellungspavillon und das andere ein Wohnhaus.“

1963 wurde die Villa in die Liste der Kulturdenkmäler der Tschechoslowakei eingetragen. Dies war das Verdienst des Brünner Architekten František Kalivoda, der seit dem Anfang der 60er Jahre auf das wertvolle Bauwerk aufmerksam gemacht. Kalivoda hat sich zudem dafür eingesetzt, dass die Villa repariert und entsprechend genutzt wird. Zu dieser Zeit wurden die Räumlichkeiten der Villa nämlich als Turnsäle genutzt.

Villa Tugendhat
Die Familie Tugendhat verließ die Tschechoslowakei im Mai 1938. Vor den Nazis flüchtete sie zuerst in die Schweiz und von dort aus weiter nach Venezuela. Im Oktober 1939 wurde die Villa Tugendhat von der Gestapo beschlagnahmt. Als deutsches Eigentum wurde die Villa an Walter Messerschmidt vermietet. Messerschmidt hat in der Villa gewohnt und hat dort auch ein Projektbüro eingerichtet, sagt die Historikerin:

„Er hat in der Villa die ersten Änderungen durchgeführt. Es wurde unter anderem ein Teil des Eingangsraums eingemauert. Die Familie Tugendhat hat einige wertvolle Teile der Einrichtung mitgenommen. Aber beispielsweise die verrundete Wand aus Makassar-Holz, die den Speiseraum von den anderen Räumen trennte, wurde im Herbst 1940 beseitigt. Zur schwersten Beschädigung des Gebäudes kam es am Ende des Kriegs. Im April 1945 zogen die Truppen von Marschall Malinowski mit ihrer Kavallerie hier ein. Im Haus wurden Pferde eingestallt. Die Soldaten haben Reste der eingebauten Möbel als Heizstoff benutzt. Im Archiv gibt es Berichte darüber, dass im Wohnraum, in der Küche sowie im technischen Souterrain Berge von Pferdemist gefunden wurden. Damals wurde auch der ursprüngliche Fußboden vernichtet. Nach dem Krieg hatte eine private Tanzschule in der Villa ihren Sitz. 1950 wurde das Haus dem Gesundheitsressort übergeben. Bis 1970 gehörte es dem städtischen Krankenhaus. Für eine kurze Zeit wurde die Villa nicht genutzt. Da sie Jahre lang nicht imstande gehalten wurde, befand sie sich in einem sehr schlechten Zustand. 1980 übernahm die Stadt Brünn die Villa und entschied, dass sie renoviert werden soll. Sie diente jedoch nur zu Repräsentationszwecken. Es wurde überhaupt nicht damit gerechnet, dass sie der Öffentlichkeit gezeigt werden könnte.“

Villa Tugendhat
In den Jahren 1981 – 1985 wurde die Villa Tugendhat rekonstruiert. Für die damalige Zeit war das Renovierungsprojekt recht professionell, sagt die Mitarbeiterin des Museums. Ihren Worten zufolge haben damals die Projektanten Kontakt mit Tugendhats jüngster Tochter Daniela geknüpft, die Kunsthistorikerin an der Wiener Universität ist. Darüber durfte man jedoch in den 80er Jahren nicht sprechen und nur ein enger Kreis von Menschen habe darüber gewusst, so die Historikerin.

Villa Tugendhat
„Professor Ivo Hammer, der Mann von Daniela Tugendhat, der Restaurator ist, stellte bei seinen Forschungen fest, dass an der Brünner Villa Tugendhat bis zu 80 Prozent authentische Oberflächenschichten erhalten geblieben sind. Dies betrifft beispielsweise den äußeren und inneren Putz oder die Holz- oder Metalloberflächen. Ivo Hammer erklärte anhand dessen, dass es sich um den am besten erhalten gebliebenen Bau von Mies van der Rohe in Europa handelt. Denn viele Gebäude, die nach Entwürfen von Mies in Deutschland erbaut wurden, wurden entweder vollständig vernichtet oder so renoviert und umgebaut, dass die Aura der Authentizität längst verschwunden ist. Auch aus dieser Sicht ist die Brünner Villa einzigartig.“

Kontakte zur Familie Tugendhat knüpfte bereits in den 60er Jahren der Brünner Architekt František Kalivoda, der die Eintragung der Villa in die Liste der tschechoslowakischen Kulturdenkmäler durchsetzte. Greta Tugendhat hat Brünn zum ersten Mal seit 1938 im November 1967 besucht. Als sie die Villa besichtigte, war sie einerseits schockiert, da sie anders als einst ausgesehen hatte. Andererseits sei Frau Tugendhat, so die Historikerin, froh gewesen, dass das Haus wenigstens einigermaßen in Stand war. Damals wurde es als medizinische Rehabilitationseinrichtung für Kinder genutzt. Man begann zu überlegen, wie man die Villa renovieren und für Kulturzwecke nutzen könnte, erzählt Dagmar Černoušková:

Villa Tugendhat
„1969 wurde im Kunsthaus in Brünn eine große Ausstellung des Lebenswerks von Ludwig Mies van der Rohe veranstaltet. Dies war nur dank der persönlichen Kontakte und des Engagements von Architekt Kalivoda möglich. Im Rahmen der Ausstellung hielt Frau Greta Tugendhat im Januar 1969 in Brünn einen Vortrag über die Kontakte zu Mies van der Rohe. Dieser Vortrag ist eine der wertvollsten Informationsquellen, um den Bau kennen zu lernen. Damals wurden sogar auch Kontakte zu den Ateliers von Mies van der Rohe in Chicago geknüpft. Sie versprachen bei der Renovierung der Villa zu kooperieren. Leider ist dann aus diesen Plänen nichts mehr geworden. Im August 1969 starb Mies van der Rohe, im Dezember 1970 starb tragischerweise Frau Greta Tugendhat und im Mai 1971 starb Architekt Kalivoda. Zudem begann in der Tschechoslowakei gerade die harte Zeit der so genannten ´Normalisierung´. Für den Schutz von Baudenkmälern dieser Art war es nicht die geeignete Zeit. Gebäude aus der Zwischenkriegszeit wurden damals nicht für Baudenkmäler gehalten.“

Villa Tugendhat wurde erst Anfang der 80er Jahre renoviert. Eine grundlegende Renovierung des Baudenkmals ist zurzeit wieder dringend notwendig. Inzwischen wurde ein Rechtsstreit darum geführt, wer das einzigartige Haus renovieren wird. Die Renovierungsarbeiten werden den Museumsmitarbeitern zufolge wahrscheinlich in der Mitte des nächsten Jahres beginnen.

Fotos: Autorin

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